Nie wieder Nudeln?

Eine getreide­arme Ernährung soll nicht nur die Pfunde purzeln lassen, sie ist auch eine gängige Antwort auf Glutenunverträglichkeit und andere Gesundheitsprobleme. Es spricht aber auch vieles für Getreide. Unsere Gastautorin Kerri-Ann Jennings trennt die Spreu vom Weizen.

Nach Fett, Milch und weißem Zucker steht seit einiger Zeit eine weitere Gruppe von Grundnahrungsmitteln auf der schwarzen Liste der trendbewussten Gesundheitsapostel: Getreide. Das betrifft Bio-Buchweizen genau wie Frosted Cornflakes, Hirsebrei ebenso wie Weißmehlbrötchen. Sogar Vollkorngetreide – lange Zeit der Liebling der Ernährungsexperten – gilt manchen Verfechtern der Low-Carb-Welle als Bedrohung für die Volksgesundheit. Der allergrößte Feind aber heißt Weizen. Der amerikanische Kardiologe William Davis behauptet in seinem Bestseller „Weizenwampe“, der Verzehr dieses Standardgetreides sei ein Hauptgrund für die statistische Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit. Seine Theorie: Der in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr angebaute Hybridweizen enthalte ein höheres Maß an Gliadin. Dieses Eiweiß bildet gemeinsam mit Glutenin das Klebereiweiß Gluten, es soll aber auch an Opiatrezeptoren im Gehirn andocken und so den Appetit stimulieren. Noch einen Schritt weiter geht David Perlmutter, der sich selbst als „abtrünnigen Neurologen“ bezeichnet. Er behauptet, dass sämtliche Kohlenhydrate – und somit sämtliche Getreidesorten – Gift fürs Gehirn seien. Verkürzt ausgedrückt erhöhen sie seiner Theorie zufolge den Blutzuckerspiegel in einer Weise, die Entzündungen auslöst und zu einer Vielzahl von Krankheiten führt, allen voran Alzheimer. Entsprechend plakativ titelt sein Buch: „Dumm wie Brot. Wie Weizen schleichend Ihr Gehirn zerstört“.

Besser als sein Ruf

Beide haben teilweise Recht: Low-Carb-Diäten helfen tatsächlich (aber nur ebenso effektiv wie andere Diäten) beim Abnehmen. Das entschärft natürlich viele Gesundheitsprobleme, die mit Übergewicht in Verbindung stehen, etwa Diabetes und Energiemangel. Wahr ist auch, dass industriell verändertes oder verarbeitetes Getreide mit krankheitsauslösenden Entzündungen in Zusammenhang gebracht wird. Das Gleiche gilt allerdings auch für viele andere industriell verarbeitete Lebensmittel. Der Ernährungsexperte David Katz unterstreicht: „Die Befürworter der getreidefreien Ernährung berufen sich auf Studien, die die negativen Effekte von exzessivem Konsum industriell verarbeiteter Getreide zeigen und beziehen das dann auf alle Getreideprodukte. Oder sie verwenden Untersuchungen über potenzielle Gefahren von gentechnisch manipuliertem Weizen bei Labortieren und leiten daraus dann Verallgemeinerungen darüber ab, wie Weizen auf Menschen wirkt. Das kommt gut an, weil es so einfach wirkt: Man macht ein einzelnes schädliches Element der Ernährung ausfindig und hat einen perfekten Sündenbock für sämtliche Leiden.“ Dabei stimmt auch: „Gutes“ Getreide ist sogar sehr gesund. „Die wissenschaftlichen Belege für den Zusammenhang zwischen regelmäßigem Verzehr von Vollkornprodukten und guter Gesundheit sind ziemlich stark,“ sagt Katz. Zahlreiche Studien haben Vollkorngetreide mit verminderten Entzündungswerten, geringerem Risiko für Herzerkrankungen und sogar mit einer niedrigeren Sterblichkeit allgemein in Zusammenhang gebracht.

Auch die Theorie über die appetitanregende Wirkung des Weizenbestandteils Gliadin hält genauerer Betrachtung nicht stand: Dass alle Arten von Weizen (selbst die so genannten alten Sorten wie Kamut) das Eiweiß Gliadin enthalten, ist nichts Neues. Auch dass Gliadin im Körper einen opiatartigen Stoff, Gliadotropin, erzeugen kann, ist richtig. Aber der menschliche Darm kann diesen Stoff nicht aufnehmen, folglich erreicht er nie das Gehirn und kann dort auch keinen Appetitschub auslösen. Offenbar hat William Davis eine Studie herangezogen, für die Ratten Gliadotropin injiziert wurde – was nicht sehr viel mit dem menschlichen Weizenverzehr zu tun hat.

Alles in Maßen

Gesundheitlich bedenklich ist also nicht das Getreide an sich, sondern die Menge und die Art an Getreide, die wir zu uns nehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt täglich 200 bis 300 Gramm Brot oder Getreideflocken und 200 bis 250 Gramm Kartoffeln oder Nudeln – und sie unterstreicht, dass dabei Vollkorngetreide der Vorzug gegeben werden sollte.
Während Getreideprodukte in älteren Ernährungs­pyramiden noch den breiten Sockelplatz einnahmen, stehen nach heutigem Wissensstand Gemüse und Obst an dieser Stelle: mit 400 beziehungsweise 250 Gramm pro Tag. Bei den meisten Deutschen verhält es sich eher umgekehrt (einmal ganz abgesehen vom tendenziell viel zu hohen Zucker- und Fleischkonsum). Ganz wichtig: Je natürlicher und weniger verarbeitet das Getreide, desto besser. Im Gegensatz etwa zu Quinoa, braunem Reis oder Gerstenkörnern enthält der Weizen in handelsüblichem Mehl und fertig gekauften Back- und Teigwaren weder die ballaststoffreiche Hülle noch den nährstoffreichen Keim – dafür aber häufig eine Reihe von Emulgatoren und anderen Zusatzstoffen.

Low Carb hin oder her: Es ist auf jeden Fall richtig, den eigenen Getreidekonsum etwas genauer unter die Lupe zu nehmen: Welches Getreide esse ich in welcher Menge im Lauf der Woche? Wenn Sie dabei zu dem Ergebnis kommen, dass ein gewisses Umdenken nicht schaden könnte, kann mit der leckeren Zucchini-Pasta, Karotten-Walnuss-Muffins und Blumenkohl-Couscous mit Käse anfangen.

Kerri-Ann Jennings ist nicht nur freiberufliche Autorin, sondern auch Yogalehrerin. Sie schreibt am liebsten über Gesundheitsthemen und Ernährung.

 

 

 

 


Foto: Jennifer Olson

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