Höllbachhof: Alternatives Wohnen

Weniger ist mehr: Diese Devise zieht sich in der Lebensgemeinschaft Höllbachhof bei Regensburg durch jeden Aspekt des täglichen Lebens – eine Alternative zur Konsumgesellschaft.

Die Erkenntnis kam über Nacht: „Ich muss hier raus.“ Raus aus einem konsumorientierten, materialistischen Stadtleben, das keine Verbindung zur Natur, geschweige denn ein umweltverträgliches Dasein ermöglicht. Die erfolgreiche Seminarleiterin und Lebensberaterin Vivian Dittmar beschloss, ihre 120 Quadratmeter große Eigentumswohnung in der Münchner Innenstadt zu verkaufen und ihre florierende Praxis – kurz: ihr etabliertes Leben – aufzugeben, um den Wunsch nach Einfachheit, Ursprünglichkeit, einem Leben in mehr Verbundenheit mit der Natur und anderen ­Menschen konsequent zu verfolgen.

Der Großteil der Einrichtung und andere Besitztümer fanden über eBay ein neues Zuhause. Sie selbst bezog mit ihrem kleinen Sohn eine Hütte im Wald, ohne fließendes Warmwasser, die weniger als ein Viertel des vorherigen Wohnraumes bot und mit Holz beheizt wurde. Von außen betrachtet eine drastische Umstellung, aber die 31-Jährige empfand die vermeintliche Einschränkung und die Aufgabe des gewohnten Komforts als sehr bereichernd. Bereits in ihrer Kindheit in einem balinesischen Dorf hatte sie Naturverbundenheit, Gemeinschaft und Spititualität sehr positiv erlebt. Gemeinsam mit gleichgesinnten Freunden machte sie sich auf die Suche nach einem Ort, wo sie die Vision des nachhaltigen Miteinanderlebens umsetzen und damit erfahrbar machen konnte.

Etwa ein Jahr, nachdem sie der Stadt den Rücken gekehrt hatte, war der gewünschte Ort gefunden: Der Höllbachhof, ein abgelegenes Gehöft 30 Kilometer östlich von Regensburg. „Als ich das Angebot im Internet entdeckte, wusste ich gleich: Das ist es“, erinnert sich Vivian Dittmar. Innerhalb eines halben Jahres wurde die Finanzierung der Übernahme gestemmt. Zusammen mit ihren Weggefährtinnen Chiara Greber und Puria Kästele gründete sie die Stiftung Höllbachhof. Mitte vergangenen Jahres bezogen sie mit ihren Familien den über 400 Jahre alten Hof, der von der Vorbesitzerin bereits als ­Seminarzentrum genutzt und ökologisch bewirtschaftet worden war.

Hier, in relativer Abgeschiedenheit, und direkt angrenzend an das Naturschutzgebiet „Hölle“, lassen sie seither ihre Vision Schritt für Schritt Wirklichkeit werden: Es geht darum, einerseits eine Forschungs- und Bildungstätte für nachhaltiges Leben, und zugleich einen Ort, an dem dies unmittelbar erfahrbar und lebbar ist, zu schaffen. „Unser wichtigstes Anliegen ist es, eine Kultur der Nachhaltigkeit entstehen zu lassen“, sagt Puria Kästele. Hierbei spielt die praktische Umsetzung der Prinzipien der Permakultur eine herausragende Rolle. Der Begriff steht für „Permanent Agriculture“ und für eine Wirtschaftsweise, die nicht mehr Energie verbraucht, als erzeugt oder erneuert werden kann. Zentral ist das Bewusstsein über Produktionskreisläufe sowie die Einsicht, dass langfristig nur ein Leben von den Zinsen und nicht auf Kredit möglich ist.

Diese nachhaltige Lebensweise, die etwa vom Österreicher Sepp Holzer seit mehreren Jahrzehnten überaus erfolgreich angewendet wird, basiert auf fünf Direktiven: „Beginne bei dir selbst“, „Gehe sorgsam mit deinem Lebensraum um“, „Teile deinen Besitz und dein Wissen“, „Verteile die Ressourcen so, dass jeder genug hat“, „Reduziere Wachstum“. Die ethischen Prinzipien lauten kurz und knapp: „Trage Sorge für die Erde und die Menschen und teile gerecht.“ Praktische Umsetzung findet dies beispielsweise durch Ablehnung gewisser Konsumentscheidungen, die Verringerung des Verbrauchs von Ressourcen, Wiederverwendung, Reparatur statt Ersetzen von Dingen und Recycling. Essenziell ist auch die Berücksichtigung natürlicher Kreisläufe. Kein System kann langfristig ertragreich sein, ohne dass ihm etwas zurückgegeben wird.

Einer der ersten Schritte zur konkreten Umsetzung war die deutliche Reduzierung der Bäder, um den Wasserverbrauch zu reduzieren. Auch von Wasserspül- auf Komposttoiletten umzustellen, ist angestrebt. Eine biologische Pflanzenkläranlage existiert bereits. Diese ermöglicht die Reinigung von Abwasser auf ökologisch vorbildliche Art. Selbstredend kommen auf dem Hof ausschließlich biologisch abbaubare Körperpflegeprodukte, Wasch-, Spül-, und Reinigungsmittel zum Einsatz. Die Ölzentralheizung soll mittelfristig von Solarsystemen oder Holz- beziehungsweise Pellet-Zentralheizung zur Wärmegewinnung abgelöst werden. Energiesparende Technologien sollen den Stromverbrauch drosseln. Statt Neuanschaffungen versuchen die Bewohner, Second Hand den Vorzug zu geben. Beim Lebensmitteleinkauf wird die Wahl verpackungsarmer Ware großgeschrieben, dennoch anfallender Müll wird konsequent getrennt und dem Recyclingkreislauf zugeführt. Alle verrottbaren Abfälle werden verkompostiert, um so die Grundlage für neues Wachstum zu schaffen. Im Herbst 2009 fand auf dem Hof der deutschlandweit erste Permakultur-Design-Ausbildungskurs nach den international anerkannten Richtlinien des australischen „Permaculture Institute“ statt. Hier holten sich die Bewohner zahlreiche Anregungen bezüglich der nachhaltigen Bewirtschaftung des etwa drei Hektar umfassenden Grundes.

„Das, was Kinder heute in der Schule lernen, ist nicht unbedingt das, was sie später benötigen. Wenn sie erwachsen sind, werden die Lebensumstände sich deutlich von den heutigen unterscheiden“, glaubt Vivian Dittmar, selbst Mutter zweier Söhne. Permakultur auch und gerade für Kinder zugänglich zu machen, ist eines ihrer größten Anliegen. In geplanten Tagesprojekten für Schulklassen sollen Kinder im Rahmen von Permakulturprojekten die Möglichkeit bekommen, spielerisch natürliche Zusammenhänge zu erfassen. Im Rahmen der Pflege partizipatorischer Künste wie Theater und Musik kann Erfüllung im gemeinsamen Schaffen gefunden werden, statt im erlernten Konsum materieller Dinge.

„Konsum ist eine Sucht“, sagt Vivian. Der Höllbachhof soll ein Ort sein, an dem jeder eingeladen ist, zu erfahren, was ihn wirklich nährt. „Ich lebe heute äußerlich auf kleinem Raum, mein innerer Raum hat sich jedoch deutlich vergrößert, seit ich mich materiell reduziert habe“, sagt Vivian. „Erst das persönliche Erleben offenbart die Lebensfreude und den Reichtum, die Permakultur und nachhaltige Lebensweise umfassen. Hier am Höllbachhof können wir und jeder, der Lust dazu hat, unmittelbar erfahren, dass die besten Dinge im Leben nicht käuflich sind.“

Als Seminarteilnehmer, Gast oder Volontär kann man dieses Leben ausprobieren. „Wir wünschen uns, dass der Höllbachhof für viele Menschen ein zweites Zuhause wird. Ein Ort, an dem alternative Werte, Handlungsweisen und Formen des Miteinanders spielerisch erprobt werden können – ohne dass man das gewohnte Lebensmodell aufgeben muss“, so die Initiatorinnen des Projekts. Mittelfristig soll der Hof zwischen 20 und 30 Personen aller Altersstufen ein permanentes Zuhause bieten.


Weitere Informationen und Veranstaltungstermine finden sich unter www.hoellbachhof.de

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