Brief an einen Meditationsanfänger

Du möchtest gerne alles über Meditation wissen, hast aber keinen Lehrer, den du fragen kannst? Sally Kempton erklärt dir, was du als Meditationsanfänger wissen musst.

Wenn ich dir eine Sache über Meditation erzählen müsste, wäre es das Folgende. Meditation ist dein persönliches Experiment im Versuchslabor deines Körpers und Geistes. Deine Praxis wird zwar durch Lehrer geprägt, aber am Ende entscheidest du ganz allein für dich, wie du praktizierst. Natürlich muss ein Meditationsanfänger erst einmal damit anfangen, sich das Sitzen anzugewöhnen. Diese grundlegenden Techniken helfen dir dabei, diese Disziplin zu etablieren sowie eine bequeme Haltung und den inneren Fokus zu finden, damit deine Gedanken nicht ständig abschweifen. Aber wenn du regelmäßig meditierst, verändern sich die Dinge. Du erfährst Phasen der Stille, sogar der Zufriedenheit. Meditation ist eigentlich ein natürlicher Zustand, der von selbst eintritt, wenn du ihm Zeit gibst.

Und du entdeckst einige Vorteile der Meditation. Wie sie dir hilft, bei emotionalem Aufruhr stabil zu bleiben. Oder wie kreative Problemlösungen sich von selbst ergeben, wenn ruhig bist. Du stellst fest, dass sich dein Tag selbst nach einer Meditation schöner, gelassener oder energiegeladener anfühlt. Auch wenn du sie nicht als “gut” oder “ruhig” empfunden hast. Einfach durch die Zeit, in der du ruhig gesessen hast. Zugleich tauchen komplexere Fragen auf. Vielleicht stößt du immer wieder an dieselben inneren Mauern und fragst dich, wie du diese überwindest. Oder du empfindest deine Praxis als Routine und fragst dich, wie du sie interessanter gestalten kannst. Fange an, mit deiner Praxis zu spielen, zu experimentieren, werde kreativ. Es ist wichtig, sich selbst die Erlaubnis dazu zu geben, um nicht irgendwann frustriert aufzugeben. Ich möchte dir deshalb einige grundlegende Methoden vorstellen, mit deren Hilfe du die beste Meditationsübung für dich finden kannst.

Mache es dir bequem

Zunächst solltest du es dir bequem machen. Solange dein Rücken gerade ist und der Brustkorb weit, geht zunächst Bequemlichkeit über Form. Unterstütze vielleicht Becken und Knie mit Hilfsmitteln. Achte darauf, dass deine Hüften höher als die Knie sind. Ist es auf dem Boden zu unbequem, dann setze dich auf einen Stuhl. Wenn aufrecht Sitzen zu anstrengend ist, lehne dich an eine Wand und stopfe Kissen dahinter. So viele, dass du eine aufrechte Haltung einnehmen kannst. Wenn du in eine wirklich tiefe Meditation gelangen willst, musst du oft 45 bis 60 Minuten sitzen, bis sich Stille einstellt. Aber die gute Nachricht ist: Eine tägliche Praxis von 20 Minuten steigert deine Konzentration, stabilisiert dein Gefühlsleben, ermöglicht dir  Kreativität und erlaubt immer längere Einblicke in die Quelle deines inneren Friedens.

Grundtechnik für Meditationsanfänger

Als nächstes wählst du eine Grundtechnik und übst diese täglich, bis sie Gewohnheit wird. Deine Grundtechnik ist das Fundament, um die Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Das tägliche Üben ermöglicht den Weg zu den tieferen Schichten deines Ichs. Für Meditationseinsteiger ist es besonders wichtig, eine regelmäßige Praxis zu etablieren. Auch erfahrene Meditierende profitieren von einer Morgenroutine, die dem Geist Innenschau signalisiert. Sobald dieses Ritual ein fester Bestandteil ist, kannst mit anderen Techniken experimentieren. Immer in dem Wissen, dass du jederzeit zur Grundtechnik zurückkehren kannst. Wenn du mit dem Meditieren beginnst und keine körperlichen Beschwerden spürst, fange mit 10 Minuten an und verlängere deine Meditation täglich um eine Minute, bis du eine halbe Stunde erreicht hast. Aber wie findest du die richtige Grundtechnik?

Wenn du keinen Lehrer hast, ist es probiere verschiedene klassische Techniken aus. Nimm dir für jede Zeit, damit du dich in sie hineinfühlst und ihre Wirkung spürst. Eine Technik funktioniert, wenn du feststellst, dass sie den Meditationsfluss aktiviert. Ein Paradox der Meditation ist es, dass die Technik selbst nur Mittel zum Zweck ist. Das Ziel ist nicht, die Technik meisterhaft zu beherrschen, sondern im natürlichen Zustand der Meditation. Die meisten Grundtechniken gehören zu einer von fünf einfachen Kategorien. Achtsamkeitsmeditation, Mantra, innerer Körper, Visualisierung und Selbsterforschung.

Jede Technik schult deine Aufmerksamkeit und jede hat eine andere Wirkung auf deinen inneren Zustand. Die Techniken werden oft kombiniert, aber wenn du Meditationsanfänger bist, ist es besser, wenn du dich zunächst nur auf eine konzentrierst. Mit einer Technik sollte man ungefähr einen Monat lang arbeiten, um die Wirkung zu erfahren. Mit der Grundtechnik fokussierst du deinen Geist. Sie sollte sich angenehm anfühlen und sich deine Aufmerksamkeit so bündeln lassen, dass du in einen tieferen Bewusstseinszustand eintrittst.

Wenn du kein visueller Mensch bist, beginne nicht mit einer Visualisierungstechnik. Wenn sich eine Technik nicht wenigstens ab und zu gut anfühlt, ist sie nicht die richtige für dich und funktioniert nicht. Niemand hat ständig Freude an der Meditation. Meditation kann langweilig sein und es gibt Tage, an denen das Sitzen einfach nur anstrengend ist. Deine Praxis sollte nicht immer ermüden. Das ist ein Zeichen dafür, dass du nicht die richtige Grundtechnik gewählt hast.

So natürlich wie die Atmung

Achtsamkeit ist eine der häufigsten Methoden. Dabei ist man dem Atem, dem Körper oder der Umgebung gegenüber aufmerksam. Das Atemspüren ist die grundlegendste und natürlichste Meditationstechnik. Sobald du dem Atemfluss folgst, richtet sich deine Aufmerksamkeit nach innen. Du kannst diese Technik auch in anderen Situationen nutzen. Beobachte, wie bei der Einatmung kühle Luft an der Nasenspitze nach innen strömt. Und bei der Ausatmung warme Luft wieder nach außen. Wenn Gedanken auftauchen, vermerke diese unter “Denken” und kehre mit der Aufmerksamkeit zur Atmung zurück. Eine weitere Möglichkeit ist das Beobachten eines Körperteils, das sich beim Atmen bewegt. Das kann der Brustkorb sein, der Beckenboden oder der Bauch. Versuchen nicht, den Atem zu lenken, sondern nimm einfach wahr, wie er sich im Körper hebt und senkt.

Das ist mein Mantra

Mantrameditation gibt dir als Meditationsanfänger einen Anhaltspunkt. Das Mantra ist ein meditativer Gedanke. Er ersetzt den normalen inneren Monolog. Das richtige Mantra ist angenehm und freundlich, sodass du mühelos nach innen sinkst. Am schönsten ein Mantra von einem Lehrer, der selbst damit geübt hat. Bestimmte Mantras besitzen aber auch ihre ganz eigene Kraft. Das bekannteste Mantra ist “Om”. Setze dich ruhig hin, atme langsam ein und denke dabei “Om”. Atme langsam aus und denke dabei “Om”. Spüre die Energie und die Vibration der Silbe und ihre Wirkung auf den Körper. Wenn andere Gedanken auftauchen, richte deine Aufmerksamkeit wieder auf das “Om”. Lass deinen Geist mit dem Mantra verschmelzen, so wie sich ein Boot von der Strömung eines Flusses davontragen lässt.

Finde deine Mitte

Eine weitere Methode, ist die Konzentration auf eines der spirituellen Zentren im Körper, wie das Herz-Zentrum oder das dritte Auge. Eine meiner liebsten Herz-fokussierten Techniken für Meditationsanfänger ist folgende.

Richte deine Aufmerksamkeit auf das Zentrum deiner Brust, tief hinter dem Brustbein. Du findest diesen Punkt, indem du fünf Finger breit unter der Lücke der Schlüsselbeine abmisst und deine Aufmerksamkeit von diesem Punkt nach innen in die Mitte richtest. Lass den Atem fließen, als ob er in die Mitte deines Brustkorbs hinein- und hinausströmt und dein Herzens berührt. Wenn du deine Aufmerksamkeit auf das Herzzentrum richtest, wähle ein Wort, um dich nach innen zu richten. Dieses Wort soll ein Gefühl von Sicherheit, Verbindung zur Liebe, oder zum inneren Selbst vermitteln. “Vertrauen” oder “Liebe” sind solche Worte. Denke dieses Wort bei jeder Ausatmung. Erlaube deinem Geist, ganz sanft in dein Herz zu sinken und dich dort zu verwurzeln.

Mit dem inneren Auge

Wenn du ein visueller Meditationsanfänger bist, ein visuelles Element in deiner Praxis gut. Ich empfehle oft die klassische Visualisierung, bei der du dich eine Flamme in der Mitte deines Kopfes vorstellen, hinter dem dritten Auge. Das dritte Auge (Ajna Chakra) findest du, indem du einen Finger auf die Stirn zwischen die Augenbrauen legst und deine Aufmerksamkeit von dort nach innen zur Mitte richtest. Sitze still und konzentriere dich auf das dritte Auge. Atme ein und spüre, wie der Atem in dieses Zentrum aufsteigt. Stell dir vor, dass dein Atem durch die Stirn ein- und ausströmt, als ob du dort eine Nase hätten. Visualisiere eine daumengroße, goldene Flamme in diesem Zentrum vor und imaginiere, wie der ein- und ausströmende Atem diese Flamme berührt und sie zum Leuchten bringt. Spüre die goldene Wärme.

Ein Ort jenseits der Gedanken

Shankara, einer der großen Lehrer der vedantischen Tradition, prägte die berühmte Definition vom wahren Selbst als “dem Beobachter des Geistes”. Techniken der Selbsterforschung sind vielfältig, aber das Ziel ist stets, die Aufmerksamkeit direkt auf diesen inneren Beobachter zu lenken. So gelangst du in Kontakt mit deiner eigenen, reinen Aufmerksamkeit, dem Bewusstsein und deinem wahren Ich. Beginne, indem du dich auf deinen Atemfluss konzentrieren, kühl bei der Einatmung, warm bei der Ausatmung. Wenn deine Gedanken abschweifen, frage dich, was genau in dir weiß, dass du denkst. Warte und beobachte, was als Antwort auf diese Frage auftaucht. Nach einigen Minuten sollte dir bewusst werden, dass es tatsächlich ein “Wissen” gibt, ein unpersönliches Bewusstsein, das deine Gedanken beobachtet. Versuche, dieses Wissen, diesen Zeugen deines Geistes, präsent zu halten.

Der Umgang mit Ablenkung

Egal welche Grundtechnik du als Meditationsanfänger wählst. Du brauchst Strategien für den Umgang mit den unweigerlichen Gedanken. Am einfachsten ist es, sich immer wieder an den Fokus zu erinnern. Sobald du abschweifst, konzentriere dich wieder auf dein Mantra, deine Atmung oder eine andere Technik. Du wirst den Fokus immer wieder verlieren und sich in Gedanken oder Tagträumen verlieren. Das ist ganz normal. Erinnere dich einfach daran, was du eigentlich tun willst, und sagen zu dir selbst: “Denken”.

Routine vermeiden

Sobald du mit deiner Grundtechnik vertraut bist, kannst du anfangen, kreativ zu werden. Eine Methode, deiner Meditationspraxis eine andere Note zu verleihen, ist das Experimentieren mit spirituellen Einstellungen. Du kannst beispielsweise deine Atem-Grundtechnik mit dem Satz “Ich werde geliebt” bereichern. Oder übe mit deinem Mantra, dich auf die Energie der Vibration konzentrieren, die das Mantra im Körper auslöst, und beobachte, wie sich deine Erfahrung vertieft, wenn du das Mantra energetisch wahrnimmst.

Wenn nicht mehr Meditationsanfänger bist, bemerkst du energetische Verschiebungen. Vielleicht wird deine Energie weicher. Oder du spürst ein Kribbeln auf der Haut. Vielleicht fühlt es sich so an, als ob sich dein Herz weitet. Oder es tauchen Farben oder Visionen von Gesichtern oder Landschaften auf. Diese energetischen Verschiebungen sind Einladungen, weiter in einen tieferen Zustand zu gelangen. Wenn solche Verschiebungen auftreten, gehe mit und lass dich mit dem Meditationsfluss zu treiben. Diese natürliche Energie bringt dich weiter als jede Technik und in den eigentlichen meditativen Zustand. Das ist der Punkt, an dem die Meditation keine Routine mehr ist, sondern zu einer kreativen und herausfordernden Form der Selbsterforschung wird.

Die Kunst des Gleichgewichts

Sobald du als Meditationsanfänger deine Grundtechnik gefestigt hast, versuche ein- oder zweimal pro Woche etwas anderes. Andere Techniken helfen dir bei der Weiterentwicklung der Teile deines Selbst, die durch deine alltägliche Praxis nicht berührt werden. Wir wissen, dass wir im Außen Balance brauchen, aber wir vergessen, dass das auch für unser Innenleben zutrifft. Wenn du bei deiner Grundtechnik übst, deinen Fokus zu halten, versuche einfach mal, ruhig und entspannt zu sitzen, ohne die Aufmerksamkeit zu fokussieren.

Wenn du mit einer Grundtechnik oder mit dem Öffnen des dritten Auges gearbeitet hast und feststellst, dass dein Herz sich verschlossen anfühlt, experimentiere du mit einer herzbasierten Technik wie einem Mantra. Meditierst du hingegen normalerweise mit einer herzbasierten, emotionsbetonten Technik, oder wenn du unbemerkt anfängst, eine erfolgreiche Meditation daran zu messen, ob du dich ständig gut fühlst, dann profitierst du eher von anderen Abwechslung. Versuche ein paar Mal pro Woche eine Technik, bei der du deinen Geist unbeteiligt beobachtest, nichts beurteilst und stets in der Rolle des Beobachters bleibst.

Dabei bleiben

Manchmal erfährst du in deiner Meditationspraxis Phasen großer Tiefe und Freude. Dann wieder fühlt sie sich langweilig an oder wie ein ewiger Kampf gegen die Gedanken. Du erlebst Wochen inneren Friedens und Wochen, in denen die Meditation Gefühle wie Trauer, Wut und Angst auslöst. Fasse den Entschluss, gegen Langeweile und Widerstand durchzuhalten, und erlebst du die Meditation als Reise durch verschiedene emotionale Schichten. Dieser Prozess gehört zur reinigenden Wirkung, da verdrängte Eigenschaften hochkommen, die du dann loslässt.

Lass diese einfach durch dich hindurchgehen, ohne festhalten oder wegdrücken. Am meisten profitiert man von Meditation, wenn man sie stets willkommen heißt. In guten und in schlechten Zeiten. Meditieren ist eine Einladung zu einer intimen Begegnung mit dem eigenen Bewusstsein und Herzen. Zugleich aber auch eine Öffnung zum Universum selbst. Der Meditierende erforscht sein inneres Selbst. Die größte Überraschung ist aber die Feststellung, dass du, wenn du dein inneres Selbst kennst, letztendlich auch das große Ganze, das unendliche universelle Selbst erfährst. Viele wissen, dass der Tropfen im Meer enthalten ist, schrieb der Dichter Kabir, aber nur wenige wissen, dass das Meer im Tropfen enthalten ist. Beginne als Meditationsanfänger du erfährst die Magie der Meditation.


Sally Kempton ist renommierte Meditationslehrerin und Buchautorin.

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