Eigenlob stimmt!

Zumindest manchmal. Ups, da relativiere ich schon, und das wohl auch zu Recht. Warum wir uns trotzdem öfter mal auf die Schulter klopfen sollten …

„GUTEN MORGEN, GÖTTIN!“ heißt ein Artikel, den ich vor rund 20 Jahren für die Studentenzeitschrift Aud!max geschrieben habe. Das war lange, bevor mich beim Lesen eines Bestsellers über Grauschattierungen die „innere Göttin“ der Protagonistin so nervte, dass ich auf das Aufschlagen von Band 2 und 3 lieber verzichtete. Falls Sie nicht wissen, wovon ich hier schreibe, seien Sie froh! Doch ich schweife ab, Pardon. Argh! Sehen Sie, erst relativiere ich, nun entschuldige ich mich. Das mache ich leider ganz schön oft und bin damit in guter (meist weiblicher) Gesellschaft. Ein Freund erklärte mir das Prinzip des Entschuldigens mal so: Wer sich entschuldigt, klagt sich an, ist der Ansicht, Schuld auf sich geladen zu haben, derer er sich entledigen will. Habe ich das oben wirklich? Nein.

Also: Ich nehme das „Pardon“ zurück, stehe zu meinem Abschweifen und komme nun zurück zum Kernthema: Im Artikel ging es darum, dass wir uns öfter mal etwas Eigenlob gönnen sollten. Darin verweise ich auf Khalil Gibrans Parabel „Das ehrgeizige Veilchen“, in der besagtes Blümchen sich danach sehnt, zur Rose zu werden, ein Wunsch, vor dem die Natur es warnt, den sie ihm, als es hartnäckig bleibt, aber erfüllt. Viel- leicht ploppt nun auch in Ihrem Hirn der Poesiealbum-Spruch aus Kindertagen auf: „Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“ Tja, als in Gibrans Geschichte nach nur einer Stunde Rosendasein ein Sturm das ehemalige Veilchen bricht, kommen ihm die überlebenden lila Blümchen denn auch auf die Ätsch-Bätsch-Tour, à la: „Wärst du nicht so hochmütig und gierig gewesen, hättest du wie wir kleinen, bescheidenen Schwestern überlebt.“ Klare Ansage, klare Moral.

Doch die Geschichte geht noch weiter! Im Angesicht des Todes wird das abgeknickte Ex-Veilchen zur Edith Piaf unter den Blumen und verkündet, es bereue nichts, diese eine Stunde als Rose sei es ihm wert, nun früher gehen zu müssen: „Ich werde sterben, denn meine Seele hat ihr Ziel erreicht. Mein Wissen umfasst jetzt eine Welt, die jenseits der engen Höhle meiner Geburt liegt.“ Kurz: Nix da, Bescheidenheit. Manchmal darf ‘s ein bisschen mehr sein – Risiko hin oder her. Und damit komme ich zurück in unseren Alltag: Was spricht eigentlich dagegen, sich nach Bewunderung zu sehnen? Als Autorin, die sich hin und wieder mit eigenen Texten auf eine Bühne wagt, weiß ich: Applaus fühlt sich sehr schön an. Muss ich diesem Gefühl misstrauen? Kann ich es nicht einfach annehmen und genießen?

Es ist ungesund, den eigenen Selbstwert vom Wohlwollen anderer abhängig zu machen, antwortet mir ein Teil meines Verstandes. Es trennt dich von an- deren, wenn meinst, du seist etwas Besseres als sie. Meine ich ja gar nicht, entgegnet es in mir. Denn das wäre tatsächlich gefährlich. Aber vielleicht kann ich ja manches besser als andere? Hui, noch ein Tabu – sich mit anderen zu vergleichen! Aber warum eigentlich nicht? Ich applaudiere der tollen Fußballspielerin, lobe den Handwerker, der meine Heizung repariert, danke der geduldigen Zuhörerin oder bewundere die Musik einer bestimmten Band, und umgekehrt mögen Menschen vielleicht meine Geschichten – kann das nicht auch verbinden? Hey, wie schön, welch ein Reichtum an verschiedenen Talenten! Bei der Sache mit der Abhängigkeit wird es schon schwieriger, denn seien wir mal ehrlich – Anerkennung von außen anzunehmen bekommen wir vielleicht gerade noch hin, aber einfach mal selbst anerkennen, was wir so Tolles zustande gebracht haben, fällt noch mal schwerer. Vorsicht, das macht unsympathisch, hämmert unser poesie- albumgeprägtes Ich in uns. Du riskierst Ablehnung! Dabei heißt Selbstwert aufbauen doch auch zu erkennen, was uns wertvoll macht, und nicht, sich von einer „Entschuldigung, dass ich bin“-Spirale verschlingen zu lassen.

Der Artikel, den ich eingangs erwähnte, ist zwei Jahrzehnte alt, und doch habe ich ihn noch nicht verinnerlicht. Darum hier eine kleine Übung für mich selbst: Ich glaube … Nein, stopp! Ich finde, ich kann gut mit Worten umgehen. Erst wollte ich relativierend „ganz gut“ schreiben. Es ist wirklich nicht leicht. Aber ich arbeite dran. Und vielleicht ha- ben Sie diesen Text ja gerne gelesen und klopfen sich danach dafür auf die Schulter, wie toll Sie das letzte Meeting hinter sich gebracht haben oder die Pubertät ihrer Kinder? Beides würde mich freuen.


CARMEN SCHNITZER hat einmal mitgezählt, wie oft sie sich innerhalb eines langen Theaterabends entschuldigte. Es waren siebzehn Mal! Davon zwei Mal berechtigt, weil sie z.B. jemandem versehentlich auf den Fuß gestiegen war.

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1 Kommentar

  1. Ja genau. Warum nicht “immer auf das Gute schauen”, sind wir doch so reich und edel erschaffen. Und uns jeden Tag Rechenschaft ablegen, ehe wir zur Rechenschaft gezogen werden. Sind das nicht zwei Seiten einer Medaille

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