Helge Timmerberg über Mantras, Ängste und sein neues Buch

Helge Timmerberg ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. In zahllosen Reportagen und Büchern hat er seine Leser schon mitgenommen auf Reisen rund um den Globus – und zu sich selbst. Sein neues Buch handelt von einem Mantra, einem nepalesischen Wanderyogi und der Frage, ob man im Leben zu allem bereit sein kann.

Helge Timmerberg, dein neues Buch heißt “Das Mantra gegen die Angst” – und es kreist um ein Mantra, von dem du schreibst, es hätte dir das Leben gerettet. Erzähl mal …

Vor etwas über 15 Jahren, als ich so um die 50 war, hatte ich eine schwere Krise. Nach goldenen Jahren als freier Autor saß ich plötzlich fast ohne Jobs da. Ich hatte keine Kohle mehr und kein Selbstbewusstsein, nur noch Ängste – die ganze Kraft, die ich mit 30 oder 40 gespürt hatte, war weg. Ich fühlte mich komplett out.

Wie kam die Wende?

Geo gab mir den Auftrag für eine Reportage. Ich sollte mit einem Wanderyogi durch den Himalaja pilgern. So traf ich den Yogi Kashinath und der tat mir unheimlich gut. Egal, was auf der Reise alles schief ging, er sagte immer: “I’m ready for everything.” Die Vorstellung, dass man wirklich bereit ist für alles, hat mich fasziniert. Wenn das stimmt, ist es doch der Wahnsinn: Dann hat man keine Angst mehr! Man wählt nicht mehr aus, gut oder schlecht, will ich oder will ich nicht, man ist nur noch in der Wahrnehmung.

Und das Mantra?

Das gab er mir beim Abschied. Ich hab das erst nicht so ernst genommen, aber daheim angekommen, hab ich es sofort ausprobiert: Da gab’s bei mir im Haus ein Bordell und die Luden hatten Kampfhunde. Vor denen hatte ich panische Angst, weil mich als Kind mal ein Wolfshund gebissen hat. Ich kam also vom Flieger, bog um die Ecke, sah die Hunde, probierte das Mantra – und es funktionierte auf der Stelle! Die Angst war wie weggewischt und die Hunde ließen mich in Ruhe. Da hab ich Vertrauen geschöpft. Immer wenn dann wieder Ängste des Weges kamen, murmelte ich mein Mantra und es half.

Im Kleinen wie im Großen?

Ja. Auch die Lebensangst, dieses “Was soll nur aus mir werden?”, war mit dem Mantra nur noch halb so wild. Von da ab ging es wieder aufwärts. Ich fing an, Bücher zu schreiben und die hatten richtig viel Erfolg.

Für dein neues Buch bist du nach Kathmandu zurückgekehrt. Du wolltest den Yogi Kashinath suchen und dich bei ihm bedanken. Ohne hier schon zu viel zu verraten: Dabei wurde dein Glauben an das Mantra ganz schön erschüttert.

Ach, das können wir schon erzählen: Ich hatte gehofft, beim Gorakhnath-Tempel wenigstens jemanden zu treffen, der mir sagen könnte, wo Kashinath hingegangen ist. Da hieß es aber nur “Der ist irgendwo in Indien.” Der ältere Mönch, mit dem ich sprach, wollte wissen, worum es ging. Da erzählte ich ihm von dem super Mantra. Er guckte so komisch und sagte: “Das ist gar kein Mantra. Das ist nur eine Begrüßungsformel für den Gott Ganesha.”

Was hat das bei dir ausgelöst?

Ich stand da wie ein begossener Pudel. Einerseits hatte das Mantra immer extrem gut funktioniert. Aber das ist ja ein alter Hut: Es hat funktioniert, weil ich dran geglaubt habe. Plötzlich war da dieses ganze Thema Glauben und ich fragte mich: Sind die Objekte des Glaubens wirklich so unwichtig? Geht es nur um meine eigene Glaubensfähigkeit? Ich konnte gar nichts mehr ernst nehmen. Es war wie in dem Film Matrix, wo die plötzlich aufwachen, am Rande des Universums an einem Felsen hängen und ins Nichts gucken.

Kam der Glaube wieder?

Na ja, ich kam bald wieder in eine Situation, in der ich eine Riesenangst hatte. Die Geschichte steht auch im Buch. Hier nur so viel: Ich hatte den alten Mönch – routinemäßig – beim Abschied noch gefragt, ob es denn ein “echtes” Mantra gegen die Angst gäbe. Das hatte ich auf dem Handy aufgezeichnet. Und als ich nun in dieser Todesangst nicht mehr weiter wusste, hab ich das Handy aus der Tasche gezogen und mir das Mantra ans Ohr gehalten.

Und das hat gewirkt?

Bumm – die Panik war weg. Der böse Film riss einfach.

Kannst du dir das erklären?

Wenn etwas sofort so funktioniert, dann interessiert es mich erst mal gar nicht, wieso und warum. Aber ich hab es immer wieder probiert. Vor allem beim Schreiben, denn da habe ich immer Ängste: “Klappt das oder klappt das nicht?” Und dabei stellte ich fest, dass das “richtige” Mantra schon noch mal anders wirkte als mein altes.

Wie denn?

Es schneidet nicht einfach, zack, die Angst ab. Die Angst ist noch da, aber in ihrer Mitte kommt der Mut: “Das schaffst du schon!” Denn eine Angst hat ja meistens einen Sinn. Man braucht nur Mut, ihr zu begegnen.

Es gibt ja die These, dass die Konzentration auf ein Mantra Panikgedanken einfach wegdrückt. Demnach könnte man auch “Coca Cola, Coca Cola” chanten, um die Angst zu besiegen …

Das hab ich mir auch oft gesagt: Nüchterne Erklärung, du schaltest nur dein Gehirn auf “Nicht-Denken”. Ich habe es sogar mit “Coca Cola” probiert, aber bei mir hatte das nicht dieselbe Wirkung. Die Inder haben ja nicht umsonst ganz verschiedene Mantras – für alles und gegen alles: ein Mantra gegen die Angst, ein Mantra, um Tiger ruhig zu stellen und so weiter.

Wir westlichen Yogis sind inzwischen auch ganz schön auf dem Mantra-Trip …

Ich wusste gar nicht, dass Mantras in der Yogaszene jetzt so ein Ding sind. Das hat mir erst mein Wiener Freund Manfred Holub gesagt, als ich von Kathmandu zurückkam und ihm erzählt habe, dass ich jetzt das “richtige” Mantra kenne. Da hat er nur gelacht: “Ach das! Das singen wir jeden Donnerstag im Mantra Circle.Da hättest du auch hierbleiben können!”

Bist du mal mit ihm beim Kirtan gewesen?

Ja und ich sag dir: Ich kam raus und war richtig high! Als hätte ich stundenlang meditiert. Wenn ich donnerstags in Wien bin und es nicht vergesse, dann gehe ich da hin.

Du meditierst regelmäßig seit du 19 warst, oder?

Ja, das mache ich wirklich jeden Morgen. Eine Kombination von verschiedenen Atem- und Meditationstechniken. Ohne das möchte ich nicht leben. Das ist auch gar keine Anstrengung. Nach dem ersten Kaffee und der ersten Zigarette setze ich mich hin.

Was erlebst du da?

Ich fühle mich total wohl. Ich komme zurück in so einen seelischen Schutzraum. Da hab ich meine besten Gedanken und finde Lösungen für alles mögliche.

Hat sich etwas verändert in den vielen Jahren Praxis?

Ne, das geht nur immer mal mehr oder weniger tief. Mehr oder weniger sicher. Mehr oder weniger inspirierend. Nur in meiner Krise kam ich damit nicht mehr durch. Da kam dann das Mantra ins Spiel. Wie so ein Special Effect. Obwohl ich es nie so praktiziert habe, wie Kashinath mir das empfohlen hat: “Dieses Mantra sprichst du jetzt schön 108 Mal!” Ich hab’s gesagt, wenn ich Angst hatte, und wenn die Angst weg war, dann tschüss.

Und wie steht es mit Asanas? Denen bist du doch in Indien sicher auch begegnet?

Ich spiele lieber Tischtennis. Ich fahre auch wahnsinnig gerne Fahrrad und hatte immer viel Sex – was brauche ich da noch Asanas? So hat eben jeder sein Ding.

Du bist auf deinen Reisen vielen traditionellen Yogis begegnet. Was war dein berührendstes Erlebnis?

Ich hab es zweimal erlebt, dass mir ein Yogi die Hand aufgelegt hat und ich schlagartig im Hier und Jetzt angekommen bin. Da denkst du nicht mehr, was du noch alles erleben willst und wo du noch überall hinwillst. Ich war komplett da – und alles war ein einziger Genuss. Darum geht es! Mein Lieblingssatz im neuen Buch ist auch: “Das Sein braucht keinen Sinn.” Das ist einfach.

Wenn man das verinnerlicht, dann ist man vielleicht auch so wie Kashinath “ready for everything”.

Also wenn du mich so fragst: Ich bin mit Sicherheit nicht ready for everything. Absolut nicht. Aber es ist eine unheimlich gute Zielsetzung. Das ist doch das Geilste, was es gibt! Es bedeutet ja nicht nur, dass du kaum noch Ängste hast, du wertest einfach nicht mehr. Alles ist da und du kannst an allem lernen. Wie gehe ich mit einer Pleite um? Wie gehe ich mit Liebeskummer um?

Und solange wir noch nicht “ready” sind, helfen uns die Mantras … Dein Mantra gegen die Angst willst du hier wohl nicht verraten? Im Buch gibt es nur einen QR-Code und der führt zu einem Soundfile, wo du es singst.

Ah, da hattest du anscheinend die vorläufige Pressefahne. In der Druckfassung steht das Mantra drin. Ich hatte es bloß vergessen.

Mir hat die Idee mit dem Soundfile eigentlich gut gefallen. Da bleibt dem Mantra mehr von seiner Magie, als wenn man es schwarz auf weiß liest. Übrigens Kompliment: Du singst sehr gut. Vielleicht bist du ja auch “ready for Kirtan-Karriere”?

Haha, das sagt der Manfred auch immer. Der ist ja Profi-Musiker und hat ein eigenes Studio. Da werden wir das noch mal richtig aufnehmen – und auch noch ein paar andere Mantras mehr.

Da bin ich gespannt. Aber ich denke, wir verraten hier jetzt doch nur so viel: Das Mantra gegen die Angst ist sehr bekannt. Es richtet sich an Ganesha und hat zehn Silben.

Und wer es jetzt noch nicht weiß, kann ja das Buch lesen …


HELGE TIMMERBERG war viele Jahre freier Journalist, bevor er als Buchautor erfolgreich wurde. Titel wie “Tiger fressen keine Yogis” und “Shiva Moon” zählen inzwischen zu Bestsellern der Reiseliteratur. Sein neuestes Buch erscheint am 14. Oktober:

Helge Timmerberg: Das Mantra gegen die Angst. Oder: Ready for everything. (Malik Verlag, 20 Euro)

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