Interview: Heather Nova über Yoga und die eigene Stimme

Mit kraftvoller Stimme und sensibler Lyrik singt Heather Nova seit über 20 Jahren über das Leben, Beziehungen und einsame Inseln. Jetzt geht sie mit den Songs ihres Breakthrough-Albums „Oyster“ von 1994 auf Tour. Während des Interviews mit YOGA JOURNAL knabbert die Urenkelin eines Piraten aus Bermuda an einer Karotte mit frischem Grün und spricht über ihre Verwurzelung in Musik, der Natur und Yoga.

Ich genieße meine Verletzlichkeit

„Die Übung des Yoga gibt ein entscheidendes Gefühl für Maß und Proportion. Auf unseren Körper bezogen, bedeutet dies, dass wir unser wichtigstes Instrument zu spielen und die größte Resonanz und Harmonie daraus zu ziehen lernen“, schreibt der berühmte Musiker Yehudi Menuhin im Vorwort zu B.K.S. Iyengars „Licht auf Yoga“. Heather, wie lautet hier deine Erfahrung?

Ja, der Körper ist unser wichtigstes Instrument. Ich glaube, dass jeder Mensch singen sollte, aber seltsamerweise denken in unserer Kultur viele, dass sie nicht singen können. Ich weiss nicht, woher diese diese Selbstkritik stimmt, vielleicht hat man uns in unserer Kindheit vom Singen abgehalten. Ich finde eine schöne Stimme überhaupt nicht wichtig – siehe Bob Dylan! Es zählt, die eigene Stimme zu finden. Es geht um Individualität, um die Freude, unter der Dusche oder in der Natur einfach loszusingen. Diese Vibration im Körper kann so vieles bewirken: Entspannung, Befreiung, Heilung…

Vorbildlicher als mit dieser Karotte in der Hand hättest du nicht zum YOGA JOURNAL-Interview erscheinen können.

Genau, der erste Eindruck ist wichtig, nur deshalb habe ich eine rohe Bio-Karotte mitgebracht (lacht). Gerade auf Tour ist mir gesunde Ernährung sehr wichtig. Unser Caterer ist Raw Food-Spezialist.

Auf einer mehrmonatigen Welttournee wie dieser ändert sich der Rhythmus des Lebens gewaltig. Wie wirkt sich das auf deine eigenen Gewohnheiten aus?

Wenn ich viel in Restaurants gehe und insgesamt „fremdversorgt“ bin, werde ich beim Essen supervorsichtig. Das Wichtigste ist, Zucker zu vermeiden – für mich das größte Übel überhaupt, besonders Glucose-Fructose-Sirup, der in den USA in fast allen Lebensmitteln enthalten ist und fast alle Körperfunktionen beeinträchtigt. Seit ich meinen Zuckerkonsum drastisch reduziert habe, habe ich ein viel besseres Immunsystem.

Siehst du dich dennoch als Genießerin?

Letztlich geht es mir um Gesundheit und das richtige Maß. Ich gebe zu: Neben Musik ist Ernährung meine zweite Leidenschaft. Mich fasziniert, wie der Körper sich selbst heilen kann, wenn man ihn angemessen versorgt.

Geht es hier wie in der Musik um eine harmonische Balance, in der Höhen und Tiefen ihren Platz haben?

Ja, dazu noch um die richtige Schwingung und Energie. Unser Körper vibriert unaufhörlich auf einer gewissen Frequenz. Mit der entsprechenden äußeren „Musik“ und der richtigen Ernährung kann er diese Schwingung halten. Störfaktoren wie Zucker und Einseitigkeit – darunter kann auch zu viel Gemüse fallen – bringen diese Schwingung zum Erliegen. Ich persönlich versuche, diesem Thema mit Wahrhaftigkeit und Integrität zu begegnen. „Gesund“ ist für mich ein Bewusstsein für die Herkunft und den Weg der Nahrung, bevor sie bei mir eintrifft. Wahrhaftigkeit ist auch mein Anspruch bei der Musik. Das ist nicht immer leicht, denn es gibt viele Abkürzungen, die sehr verlockend sein können.

Hier stellt sich wie so oft im Leben – und der Kunst – die Frage nach der Konsequenz.

Ich empfinde mich keinesfalls als perfekt und erhebe keinen Anspruch darauf. Eigentlich ist es mein Ziel, niemals perfekt zu sein.

Wie kann dich deine Yogapraxis dabei unterstützen?

Ich übe mindestens einmal wöchentlich mit einer befreundeten Yogalehrerin. Die richtige Ernährung hilft mir, dass mein Körper innerlich gut versorgt ist, und die Asanas nutze ich als eine Art äußeres Werkzeug. Ich weiß, dass Yoga im Westen zum Fitnesstrend geworden ist. Für mich bedeutet die Praxis hauptsächlich spirituelle Erdung. Yoga bringt mich in der gleichen Weise zurück zu mir selbst, wie es die Musik tut.

Bevor du deine individuelle Stimme gefunden hast, hast du Darstellende Kunst und Film studiert, dazu Gedichte geschrieben. Was hat das Singen zu deinem Schwerpunkt gemacht?

Früher habe ich mich eher als Songwriterin verstanden und mich ganz aufs Schreiben und Komponieren konzentriert. Ich hatte entsetzliche Angst davor, live zu singen. Heute ist es essentieller Teil meines Lebens, wegen seiner Körperlichkeit, aber besonders durch die Verbindung zu den Menschen, die ich während des Singens herstellen kann. Ich sehe mich gerne als Teil eines Ganzen und über meine Songs als Element im Leben anderer Menschen.

Hast du Erfahrung mit Kirtan?

Ja, allerdings nur als Teilnehmerin, nicht als Leiterin. Vielleicht gehe ich das an, wenn ich eine alte Frau geworden bin…

Ein gutes Stichwort… Ich war vor über 20 Jahren großer Fan des gleichzeitig rockigen und melancholischen Stils, den du mit Künstlerinnen wie Tori Amos, Sarah McLachlan und Alanis Morissette vertreten hast. Deine Songs haben mich als Studentin sehr inspiriert. Jetzt scheinst du mit deiner „Oyster“-Tour den Kreis zu schließen.

Mit 20 Jahren empfindet man 40jährige als ziemlich alt, oder? Eigenartig, dass diese Zeit so lange her ist. Zu meiner Identitätsbildung haben die 1990er Jahre und die Stimmen dieser starken Frauen auch erheblich beigetragen. Ich fühle mich heute jedoch wesentlich freier und weniger abhängig von den Dingen und Themen, die uns in unserer Jugend ablenken. Ich gebe weniger auf die Meinung anderer und genieße auch meine eigene Verletzlichkeit. Für die aktuelle Tour bin ich zu meinen Wurzeln zurück gekehrt.

Was hilft dir sonst noch, dich zu erden?

Meine Yogapraxis und in der Natur zu sein. Wenn ich mich lange nicht dort aufgehalten habe, fühle ich mich von allem getrennt. Ich lebe auf einer kleinen Insel und blicke zu jeder Zeit auf das Meer. Dort laufe ich fast immer barfuß und fahre jeden Morgen mit meinem Kajak hinaus. Es bringt mich direkt in meine persönliche Art von bewegter Meditation – was Yoga letztlich ja auch ist.

Die Wurzeln, von denen du sprichst, sind in deinem Fall eher flüssig: Als Kind kreuztest du wie im Titel deines Albums die meiste Zeit des Jahres mit deiner Familie auf einem Segelboot durch die Karibik. Ein Hippie-Szenario wie aus dem Bilderbuch, dazu noch in der Karibik – dieses Familienleben weckt Sehnsüchte…

Mein Aufwachsen war von starken Naturerlebnissen und den Gerüchen von Luft, Meer und Pflanzen geprägt. Es war der Traum meiner Eltern, meiner sieht etwas anders aus. Ich bin jedoch dankbar und völlig im Frieden mit meiner Kindheit, und meine Eltern sehe ich als meine besten Freunde. Oft wollte ich nicht mitfahren, als sie wieder die Segel setzten, aber heute weiß und schätze ich, welch wertvolle Perspektive sie mir auf die Welt gegeben habe. Ich habe viele Varianten der Lebensführung gesehen und erlebt, dass ich nicht das Zentrum des Universums bin. Außerdem war es kein wirklich leichtes Leben: Zwei Wochen ununterbrochen auf hoher See können hart sein. Aber ich mag es, wenn die Dinge nicht allzu glatt laufen – das reißt uns aus unserer oft sehr begrenzten Welt heraus.

Wieviel Sicherheit kann eine Kindheit geben, deren Richtung von Wind und Wellen geprägt ist?

Als ich selbst schwanger war, setzte ich alles daran, ein solides Haus zu bauen und Land zu erwerben, auf dem ich Gemüse anbauen kann – und zwar in Bermuda, am Ort meiner Herkunft, an dem auch meine Familie lebt. An meinem Sohn merke ich, wie sehr Kinder mit einem Ort verwachsen. Auf Reisen vermisst er seinen Hund und seine Freunde. Das will ich ihm nicht dauerhaft nehmen. Die Inspiration, die mir das Reisen schenkte, habe ich nun auf Tour.

Was treibt dich als innerer Kompass an?

Ich versuche, authentisch zu sein und die Lebensfreude nicht zu vernachlässigen. Es ist so wichtig, Spaß zu haben! Eine spielerische Haltung den Dingen gegenüber finde ich wichtig, das können wir von Kindern lernen. Mit ihrer ganz eigenen Integrität erinnern sie uns daran, wie wichtig Fantasie und Integrität sind. Und natürlich die Musik: Sie gibt uns eine Auszeit von unserem eigenen Verstand, eine Art inneren Urlaub von dem, was uns tagtäglich beschäftigt. Sie schafft einen Raum, in dem wir alles Starre ablegen und uns uns auf positivste Weise verlieren können.


1995 wurde Heather Nova mit ihren Hits „Walk This World“ und „Maybe An Angel“ aus dem Album „Oyster“ einem Weltpublikum bekannt. Seither hat sie neun Alben veröffentlicht und lebt heute nach Stationen unter anderem in London und New York wieder in Bermuda. Ein Wiederhören mit „Oyster“ gibt es vom 17. bis 30. Oktober 2017 auf ihrer Tour durch München, Stuttgart, Leipzig, Berlin, Hamburg, Osnabrück, Frankfurt und Köln. Www.heathernova.com

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