Long Covid – Nebel im Kopf

Nicht gesellschaftsfähig: So empfinden sich viele Menschen, die nach einer Covid-19-Infektion mit Folgebeschwerden kämpfen. Forscher*innen suchen nach Ursachen und Heilungsmethoden, doch schon jetzt können Yoga und Ayurveda helfen, das angegriffene System wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

TEXT: CHRISTINA RAFTERY

Wird mein Kaffee demnächst nach Benzin riechen? Wird es vielleicht Monate dauern, bis ich wieder Saft von Wasser unterscheiden kann? Diese Fragen markierten einen Tiefpunkt im Frühjahr 2021, als ich mich, infiziert mit dem Corona-Virus, in einer 14-tägigen “häuslichen Quarantäne” befand, glücklicherweise ohne große körperliche Beschwerden, aber abgespannt und ängstlich. Urplötzlich konnte ich nichts mehr schmecken und riechen. Darauf reagiert eine Journalistin wie ich vor allem mit: intensiver Recherche. Und dann mit entsprechend wachsender Sorge. “Du schaust zu viel nach”, sagte meine zehnjährige Tochter, eine unbeirrte Optimistin: “Wird schon alles gut.”

Sie hat recht: Was schon bei leichtem Unwohlsein fatal ist, kennt hinsichtlich der Corona-Berichterstattung keine Grenzen. So begegneten mir Krankheitsbilder wie “Parosmie” oder “Kakosmie”, Erkrankungen des Riechhirns, in deren Folge Dinge plötzlich nicht mehr oder ganz anders riechen: Parfüm wie Windeln, Tee wie Gülle. Glücklicherweise verzog sich das Phänomen nach einer Woche. Körperlich hat die Infektion (vorerst) keine Folgen – außer dem Gefühl, durchaus Federn gelassen zu haben und manche Freundschaft in neuem Licht zu sehen. Nicht alle stellten nämlich Currys vor die Tür, gaben rührenden Zuspruch oder wohltuende Online-Yogastunden. Einige gingen auch auf eine Distanz, die eindeutig über die nötigen Abstandsregeln hinausreichte.

Genesen, aber gesund?

Gemeinsam geht jetzt wieder vieles leichter – und vor allem geht es! Den Umständen entsprechend. Geöffnete Studios, nur ohne Hilfsmittel und Assists, Reisefreiheit, aber vorangemeldet und bepackt mit Zertifikaten, Festivals und Retreats in Aufbruchsstimmung, aber mit Auflagen. Die Zoom-App werden wir so schnell nicht löschen. Gelernt haben wir so eindrücklich wie noch nie, dass nichts sicher oder vorhersehbar ist, sondern immer im Wandel. Und es gibt neue Freiheiten für die Davongekommenen!

Aber wie steht es überhaupt mit uns vermeintlich “Genesenen”? Unter den Stichworten “Post-” oder “Long Covid” machen zwei Syndrome von sich reden, die im Sprachgebrauch nicht deutlich definiert und voneinander abgegrenzt sind. Manchmal gleichen sie allgemeinen Erschöpfungszuständen, zu oft beeinträchtigen sie den Alltag der Betroffenen aber in aller Härte. Die Rede ist von teils vorerkrankten, aber auch überraschend vielen zuvor kerngesunden Menschen, die sich mit Covid-19 infizierten und teilweise auch Monate nach der vermeintlichen “Genesung” an schweren Belastungen leiden. Zu körperlichen Folgen wie Lungenschäden, Atemnot, Konzentrationsschwierigkeiten und chronischer Müdigkeit, die oft selbst einfachste Alltagstätigkeiten unmöglich machen, kommen nicht selten die traumatisierende Erfahrung von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein, dazu Ängste und Ausgrenzung bis hin zu gesellschaftlicher Stigmatisierung. Zehn Prozent aller Corona-Patienten leiden auch zwölf Wochen nach der akuten Erkrankung noch unter oft unspezifischen Symptomen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In Deutschland wären das rund 360.000 Menschen.

Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der München-Klinik Schwabing, nennt Long Covid ein medizinisches “Chamäleon” mit “überraschenden” Symptomen. “Es ist nicht geklärt, warum wer was bekommt”, erklärte der Mediziner im Rahmen eines Gesundheitsforums der Süddeutschen Zeitung: “Und da ist die Panik, dass immer noch etwas dazukommen kann.” Den Unterschied zwischen Post- und Long Covid sieht die Berliner Heilpraktikerin Manuela Heider de Jahnsen auch in der Intensität des erlebten Traumas: Seien die körperlichen Symptome abgeklungen, gelte man als “genesen” und freue sich zunächst, “überhaupt überlebt zu haben.” Beim Long Covid, so de Jahnsen, die ihren Schwerpunkt unter anderem in der Yoga- und Ayurvedatherapie hat, komme der Schock nach, dazu ein Gefühl des Versagens, Perspektivlosigkeit, Panikattacken und chronische Müdigkeit – ein Zustand, der nicht klar von einer Depression unterschieden werden könne.

Noch weiß man zu wenig. Daher werden entsprechende Forschungsprojekte in Deutschland bereits mit mehreren Millionen Euro gefördert. An Kliniken entstehen erste Long-Covid-Ambulanzen, verschiedene medizinische Fachrichtungen veröffentlichen Studien und Leitlinien. Sie in konkrete Hilfsmaßnahmen umzusetzen, ist nicht nur für Praxen und Krankenkassen bisher Neuland.

Kontrolle über das Kopfkino

Das öffentliche Leugnen der Pandemie und die Ablehnung der Schutzmaßnahmen macht es für Betroffene nicht gerade leichter. Prof. Dr. Martin Teufel, der Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Duisburg-Essen, sieht darin “Verdrängungsmechanismen”, mit denen die Corona-Skeptiker*innen versuchten, “einer lähmenden Angst auszuweichen.” Gerade in der Yogaszene war und ist diese Skepsis weit verbreitet. Da tat es gut, dass sich ein bekannter Yogalehrer wie Patrick Broome im Spiegel zu seiner eigenen Covid-19-Infektion bekannte. Deren Verlauf beschrieb er als “gespenstisch” und schlichtweg “scheiße”. Seine Empfehlung: “Yoga kann uns dabei helfen, dass diese dauernde Angst oder Wut, die uns alle umgibt, nicht unser Leben bestimmt.”

Heyam duhkham anagatam – Zukünftiges Leid ist zu vermeiden.

Patanjali Yoga Sutra II.16

“Die Sorgen aller ernst nehmen und mit evidenzbasierten Informationen die Auseinandersetzung suchen”, lautet Martin Teufels Ratschlag. In seiner Klinik nutzt der Psychosomatiker unter anderem achtsamkeitsbasierte Methoden und Schreibtherapien, um die traumatische Wirkung einer Corona-Infektion zu begleiten. Ein Viertel der schwer an Covid-19 Erkrankten entwickle im Durchschnitt drei Monate nach körperlicher Genesung eine posttraumatische Belastungsstörung: “Die einschneidende Erfahrung, besonders auf der Intensivstation, ist unstrukturiert als Emotion im Unterbewusstsein abgespeichert”, erklärte er im Juni beim Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. “Durch bewusste Narrative wird sie ins Bewusstsein geholt und aufgearbeitet. Neue Kontrolle über die Affekte kann erlangt werden.”

“Noch nicht ganz zurück”

Ein Gefühl von Kontrolle ist genau das, wonach auch ich mich sehne: Ist meine gelegentliche Erschöpfung schon der berüchtigte “Hirnnebel” (“brain fog”) oder doch nur Ergebnis des mittelprächtigen Sommerwetters? Liegen die Muskelschmerzen an den vergeblichen Handstandversuchen oder an bleibenden Entzündungen der Gefäßwände? “Die Betroffenen leiden unter Ängsten, die Erkrankung nicht mehr loszuwerden, und atmen deshalb zu viel. Sie befinden sich in einer Art Hyperventilationszustand, der auf die noch nicht wiedergefundene Sicherheit zurückzuführen ist”, erklärt Martin Teufel. Aus Sicht des Yoga würde man sagen: Es gibt eine spürbare Abkopplung von Prana, der Lebenskraft.

Während Patrick Broome ein halbes Jahr nach seiner Genesung nur noch gelegentlich eine “gewisse Müdigkeit” verspürt, hat die ebenfalls im November 2020 erkrankte Annika Wahl ihren Geschmacks- und Geruchssinn noch nicht wieder erlangt. Dazu leidet die 39-jährige ehemalige Hockey- Nationalspielerin unter Muskelschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und rheumaähnlichen Beschwerden. Als die Yogalehrerin und Inhaberin des Studios Yoga Street in Gelsenkirchen ihre Erkrankung mit bewegenden Aufnahmen auf ihrem Instagram-Account dokumentierte, sah sie sich auch sehr negativem Feedback ausgesetzt. Zu den belastenden körperlichen Symptomen kam also der spürbare Riss durch ihr Umfeld: “Als ich selbst kaum noch die Treppe hochkam und gleichzeitig von Angehörigen der Yogawelt lesen musste, dass alle Schutzmaßnahmen unangebracht seien: Das war sehr frustrierend.”

Übungsreihe für Long Covid

Schon während ihrer Erkrankung, als sie aufgrund akuter Atemnot ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, halfen ihr entlastende, liegende Haltungen, bewusst langsame Atmung und die Reflektion via Tagebuch. Ähnlich wie die Berliner Iyengar-Lehrerin Claudia Lamas Cornejo berichtet sie, die Praxis seit der Erkrankung als wertvoller denn je empfunden zu haben. Damit inspirierte sie sogar die anwesenden Pflegekräfte und eine Reinigungskraft: “Sie beobachtete mich beim Meditieren und erzählte mir später, dass sie es selbst ausprobiert habe.” Heute sagt sie, sie sei “durchgekommen, aber noch nicht ganz zurück.”

Die Iyengar-Übungsreihe von Claudia Lamas Cornejo findest du hier.


Den ausführlichen Artikel mit vielen Hintergründen und Tipps zum Thema Post und Long Covid findest du im Yoga Journal (Heft 5/21).


Titelbild: Steinar Engeland via Unsplash

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