Marcell Laudahn: “Ashtanga ist die ehrlichste Art sich in der eigenen Praxis widerzuspiegeln.”

Selbst im größten Trubel bleibt Marcell Laudahn entspannt. Seine Bewegungen sind ruhig, seine Stimme ist sanft. Als ich ihm im wuseligen Yogaworld Messe-Büro gegenüberstehe, färbt diese wunderbare Ausgeglichenheit sofort auf mich ab. Eigentlich wollten wir gerade ein Interview führen, leider ist so viel los, das keine Zeit dafür bleibt. Für Marcell kein Problem und das dem wirklich so ist, spüre ich. Zum Glück klappt es ein paar Wochen später doch noch. Denn was der Yogalehrer aus Bremen zu sagen hat, sollte man sich nicht entgehen lassen.

Marcell wie kamst du zum Yoga?

Ich habe schon als Kind mitbekommen, wie meine Mutter Yoga praktiziert. Als Jugendlicher bin ich dann mal mit nem Kumpel mitgegangen. Da lagen wir dann – zwei Halbstarke inmitten älterer Damen auf Schafsfellen. Das war nicht so mein Ding. Jahre später hab ich dann in Neuseeland gearbeitet und ein Swami lebte auch dort. Der hat mir ein paar Sachen gezeigt und ich war ziemlich angefixt. Dann ging es schnell nach Indien, Thailand, Australien. Immer auf der Suche nach tollen Lehrern, die ich dann auch gefunden hab. 

Haben diese Lehrer deinen Yogaweg auch beeinflusst?

Ja, direkt waren das Sri Rudra Dev, Lance Schuler, Wiliam Holtby, Anna Trökes, Eberhard Bärr und Ronald Steiner. Indirekt sicherlich Krishnamatchaya, Iyengar, Pattabhi Jois und all die anderen da draussen. 

Und bei wem hast du deine Ausbildung gemacht? 

Als ich Mitte der Neunziger begonnen hab, gab es noch nicht wirklich viele Ausbildungen. Da ging man für längere Zeit zu einem bestimmten Lehrer und hat mit dem geübt und Zeit verbracht. So habe ich eine ganze Weile in Indien bei Sri Rudra Dev, bei Wiliam Holtby in Thailand und Lance Schuler in Australien verbracht. Meine erste Ausbildung hab ich dann bei meinem “Yogavater” Lance Schuler gemacht. Dann wieder rumreisen und Zeit bei Lehrern verbringen. Bis ich in Deutschland sesshaft geworden bin und mir überlegt hab, dass ich mal was bräuchte, was hier anerkannt ist. So hab ich mich auf die Suche gemacht und bin in der ersten BDY Ausbildung von Anna Trökes und Ronald Steiner gelandet. Bezüglich Thai Massage hab ich viele Aus- und Fortbildungen in verschiedenen Schulen, wie z.B. Wat Pho, Sunshine House, Thai Massage School of Chiang Mai in Thailand gemacht, wo ich teilweise auch gearbeitet hab. 

Letztenendes bist du dann beim Ashtanga gelandet?

Es ist für mich die konsequenteste und ehrlichste Art und Weise sich in der eigenen Praxis widerzuspiegeln. Denn durch das regelmäßige Wiederholen der Sequenzen, merke ich, wie ich mich verändere und entwickeln kann. Die Ausrede, heute war eine Praxis nicht so gut, zählt nicht. Denn diese ist immer gleich. Das einzige was sich verändert, bin ich selber. Die Definition von Vinyasa, Bewegung folgt Atmung, wird nur umgesetzt, wenn du selbständig übst. Meines Erachtens kann dies nicht geschehen, wenn jemand eine Stunde anleitet. Es ist nie der Rhythmus einer ganzen Klasse. Kann es auch gar nicht sein, da wir alle einen individuellen Rhythmus haben.

Also ist es für alle eine Art Kompromiss?

Ja genau, ein Kompromiss der bis zu einem bestimmten Punkt stimmig ist. Das ist nicht schlecht, bitte nicht falsch verstehen! Doch möchtest du weiterkommen, brauchst du eine eigene Praxis. Irgendwann kommt man bei einem Lehrer an den Punkt, dass es nicht weitergeht. Und dann? Neuer Lehrer? Neue Schule? Oder stellt man sich der Erkenntnis, dass der einzige Lehrer den wir brauchen schon in uns ist. Dafür braucht es jemanden, der uns diesen Weg zeigt. Gehen muss ich ihn dann selber. Auch werden die Aspekte des Achtgliedrigen Pfades konsequent in der Praxis umgesetzt. Was hilft, diese in den Alltag zu integrieren. Und bitte, ich finde sogenannte Vinyasa Stunden großartig und unterrichte diese mit Leidenschaft. Aber wie heißt es doch so schön: Wenn du Spaß haben willst, geh zum Vinyasa. Wenn du etwas über dich lernen möchtest geh zum Ashtanga Yoga.

Wie müssen wir uns dann deine eigene Yoga-Routine vorstellen? 

Wenn wir von der Yoga-Routine auf der Matte sprechen: täglich Naulis und Kapalabhati, bevor die Asanapraxis losgeht. Das ist wie Zähneputzen für die Atemwege und den Bauch. Dann etwa 5 mal 90 Minuten Ashtanga Yoga, morgens vorm Unterricht. Also so gegen 6.00 Uhr. Manchmal weniger. Ich bin nicht mehr so strikt wie noch vor ein paar Jahren. Durch eine Verletzung konnte ich länger nicht intensiv üben und da lernt man eine Menge über sein Ego, die Identifikation mit der Praxis und das Loslassen. Nicht immer schön aber sehr heilend. Neben der Matte versuche ich die Konzepte des Patanjali in mein alltägliches Leben zu integrieren und umzusetzen. Mal klappt es besser mal nicht. Wie immer.

Klingt so, als hätte Yoga dein Leben bereichert.

Yoga hat mir sehr geholfen, die Verbindung zu mir zurückzugewinnen und mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Es hilft mir, das Leben nicht ganz so ernst zu nehmen und das Drama klein zu halten. Yoga verändert mit der Zeit die Sicht auf die Welt und das kann zu Anfang ein wenig irritierend sein, ist aber ehrlich und bringt Leichtigkeit ins Spiel. Seit ich Vollzeit Yoga unterrichte, arbeite ich nicht mehr. Ich darf einfach teilen, was mir sehr am Herzen liegt und freue mich jeden Tag darüber. 

Marcell Laudahn
Marcell Laudahn

Also ein Job, der kein Job ist. Klingt perfekt. Was macht dich als Yogalehrer aus?

Ich glaube, dass ich die Fähigkeit habe die Leute einen Schritt weiterzubringen. Ich bringe sie liebevoll an ihre Grenzen. Ich versuche komplizierte Dinge einfach zu erklären und praktikabel umsetzbar zu machen. Mir wird nachgesagt, dass ich sehr motivierend bin. Das kombiniert mit einer Prise Frechheit macht einfach Spaß. Ich habe Spaß an dem was ich tue und das merkt man. Bei mir gibt es kein “Das kann ich nicht”. Jeder kann etwas. Das gilt es zu stärken und als Ausgangspunkt zu nehmen. Es geht auch nicht darum etwas zu können. Das ist einfach. Es geht mehr darum etwas auszuprobieren und seinen Horizont zu erweitern. Also über sich selbst hinauszuwachsen. Vielleicht physisch aber sicherlich emotional und energetisch.

Würdest du dich denn auch als spirituellen Menschen bezeichnen?

Ja, schon. Nicht religiös aber spirituell. Ich denke wenn man viel in Asien und anderen Ländern unterwegs ist und mit Spiritualität so intensiv konfrontiert wird, bleibt das nicht aus. Durch das Beschäftigen mit Yoga & Co. bekommt man einen direkten Bezug zu der Lebenskraft in uns. Spiritualität stammt von dem Wort “Spirit” ab. Dieses bedeutet Geist, Seele – also das Leben in uns. Also glaube ich an das Leben generell, an das was uns alle eint, wenn ich sage, dass ich spirituell bin. Diese Definition sollte jeder für sich selber setzen.

Warum hast du zusätzlich noch die Ausbildung in Thai-Massage gemacht?

Ich habe schnell gemerkt, dass Thai Massage und Yoga sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Schaut man sich die Geschichte der Thai Massage an, wird schnell klar, dass viele Elemente aus Indien und dem Ayurveda übernommen wurden. Genau wie aus der Chinesischen Medizin. Ich könnte also sagen, das die Thai Massage ein “Best of” dieser beiden Systeme ist. Ich habe seit Ende der Neunziger für über 10 Jahre mit verschiedenen Thai Massage-Schulen gearbeitet und sogar dort unterrichtet. So unterschiedlich sie auch waren, geeint hat sie die Idee, dass Energieblockaden zu Krankheit führen und diese frühzeitig gelöst werden müssen. Ähnlich in der Yogatheorie. Es geht um Harmonisierung der Energiekörper, um ganzheitlich gesund zu sein. Dies kann durch arbeiten auf Energielinien oder Dehnübungen geschehen. In der Wat Pho Tempelanlage stehen viele Statuen, die diese Übungen darstellen. Daraus ist übrigens Acro-Yoga entstanden. Durch die Thai Massage lernt mal als Lehrer sehr einfach einen Schüler mit Respekt zu berühren und zu bewegen. Das kann zu wunderbaren Assists führen

Die Assists baust du dann in deinem Unterricht ein – mittlerweile in deinem eigenen Yogastudio. Hattest du denn Bedenken ein Yoga-Studio zu eröffnen? 

Total. Ich habe 15 Jahre gehadert. Wusste aber, dass ich, wenn ich groß bin, ein Studio eröffnen möchte. Dann ist meine Tochter geboren, meine Oma ist gestorben und ich habe ein bisschen Geld geerbt. Da ich in meinem alten Job sehr viel weg war, konnte ich meiner Rolle als Vater nicht gerecht werden. Der Moment war gekommen, an dem es sehr schnell ging und ich das Yoma Ende 2010 eröffnet habe. Wahnsinn, wir haben tatsächlich Zehnjähriges dieses Jahr.

Klingt ganz so, als wäre es die richtige Entscheidung gewesen. Hast du ein paar ganz praktische Tipps zur Eröffnung eines Yoga-Studios?

Ja. Nichts überstürzen. Die Teilnehmenden meiner Ausbildungen bekommen ihre Zertifikate nur unter 3 Bedingungen: mindestens 3 Monate kein Studio eröffnen, nicht den Job hinschmeißen und nicht vom Partner trennen! Der Markt ist hart umkämpft und wer das negiert ist nicht ehrlich zu sich selber. Klar, wir haben oft einen wertschätzenderen Umgang unter Mitbewerbenden, aber Konkurrenz ist trotz allem da. Schreibt einen Businessplan und kalkuliert ehrlich. Wenn kein finanzieller Background da ist, sollte ein Studio nicht gleich als Vollzeitjob dienen. Dann wird es sehr schnell sehr stressig und die Freude weicht dem Druck seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen.

Was denkst du, wie lange sollte man unterrichten, bevor man ein Studio eröffnet?

Ich würde sagen, dass eine mindestens 10-jährige Unterrichtserfahrung vorhanden sein sollte, bevor ein eigenes Studio angestrebt wird. Denn das Unterrichten rutscht schnell in die zweite Reihe und weicht so tollen Sachen wie Buchhaltung, Organisation, Putzen, Netzwerke bilden und so weiter. Mir hat es sehr geholfen, mich mit anderen Yogalehrern in ähnlicher Situation auszutauschen oder mir Rat von erfahrenen Studiobetreibern zu holen. Auch ein interdisziplinäres Netzwerk aus Ärzten, Pilates-Lehrern, Meditations-Lehren, Physiotherapeuten, usw. ist sehr hilfreich, denn es zeugt von Kompetenz, wenn man seine eigenen Grenzen kennt und an eine entsprechende Adresse vermitteln kann. Ich habe auch nicht den Anspruch alle Interessierten bei mir zu behalten. Wenn ich das Gefühl habe, dass sich jemand nicht sicher ist, versuche ich herauszufinden, mit welcher Intention diese Person zum Yoga kommt. Dann verweise ich schon mal an andere Yogaschulen. Also ist es gut zu wissen, wer was und wie in deiner Stadt unterrichtet. Mit ist es lieber, dass die Leute mit einem guten Gefühl in einer anderen Schule landen, als dass sie sich bei mir nicht wohl zu fühlen und dann schon durch eine Mitgliedschaft gebunden sind.

Das erste Mal haben wir uns auf der Yogaworld in München getroffen und um uns herum herrschte ein gerade ein lautes Durcheinander. Was mir an dir sofort auffiel und was ich von Anfang an mochte: Du wirkst auch im Trubel absolut tiefenentspannt. Woran liegt das?

Ich habe früher im Veranstaltungsbereich gearbeitet und bin weltweit unterwegs gewesen. Wenn du wissen möchtest, was Stress in Kombination mit wenig Schlaf ist, mach das mal ne Weile. Dann nimmst du andere Sachen deutlich gelassener. Auch ein Kind großziehen hilft, gelassen zu bleiben, wenn es mal anspruchsvoll wird. Durch Yoga hab ich gelernt ruhig zu atmen. Wie hat Iyengar es formuliert? “Lernst du deinen Atem zu kontrollieren, lernst du die Kontrolle über dein Leben zu behalten.” Und es stimmt. Im Stress atmen wir flach und schnell. Daraus folgt, dass wir zu wenig Sauerstoff bekommen und der Organismus reagiert mit Adrenalinausschüttung. Was weiterführend zu Hyperventilation oder Panik führen kann. Lernst du aber in solch einer Situation ruhig zu atmen, bleibst du auch ruhig. Und mal ehrlich, was bringt es, wenn alle wie angestochen rumlaufen? Egal was es ist, es wird vorbeigehen. Dann doch lieber entspannt, oder?


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