Du fängst auch immer neue Sachen an, ohne sie zu Ende zu führen? Heute beantwortet Dr. Moon Hee Fischer die Frage, wie man seinen Fokus auf eine Sache stützen kann.
Mathilda: Ich bin sehr begeisterungsfähig und stürze mich immer in neue Themen. Leider macht diese Neugierde, dass ich schnell neue Themen finde, und so lasse ich oft die begonnene Arbeit liegen, ohne etwas daraus gemacht zu haben. Viele angefangene und nicht fertig gemachte Projekte sind die Folgen. Meine Frage: Wie kann ich mich länger auf eine Sache konzentrieren und beharrlicher werden, um Dinge fertig zu machen, anstatt mich immer wieder auf das Neue zu stürzen?
Wenn auch du eine Frage loswerden willst, schreibe einfach eine Email an redaktion@yogaworld.de.
Obwohl wir alle darunter leiden, neigen wir in unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft eher dazu gelangweilt als begeisterungsfähig zu sein. Die neue Volkskrankheit ist Langeweile gepaart mit Gleichgültigkeit. Oder anders gesagt: Der schnelllebige Mensch leidet zunehmend am Alltag. Der Alltag ist eine neue Form von Depression, die stetig zunimmt. Wem macht die Alltagsroutine nicht zu schaffen? Wer fragt sich am Ende der Woche nicht: War das schon alles? Oder wer hat nicht die Sehnsucht nach mehr?
Das war nicht immer so. Als Kind kam uns der Tag nicht so kurz vor und schon gar nicht so unerfüllt. Ohne Frage waren wir damals freier als wir es heute mit unseren ganzen Verpflichtungen sind. Doch der Unterschied von heute und damals liegt weniger in den äußeren Dingen, als in dem Verlust unserer Neugier, Begeisterungsfähigkeit und Offenheit. Ohne diese Eigenschaften verliert das Leben an kindlicher Leichtigkeit und Fülle; das Leben wird monoton und farblos. Deshalb ist Begeisterungsfähigkeit generell eine gute Sache. Interesse an verschiedenen Sachen zu haben, macht das Leben lebendig und hält jung.
Das Maß macht es
Jedoch bedarf alles Gute eines ausgewogenen Maßes. Extreme sind immer schlecht. Ein gutes Maß an Begeisterung führt zu Freude und Produktivität. Hingegen ein Übereifer an Begeisterung führt zu Überforderung und zum blinden Aktivismus. Wichtig ist zwischen Produktivität und Aktivismus klar zu unterscheiden. Letzteres führt selten zu einem (befriedigenden) Ziel. Denn der blinde Aktivismus möchte gar nicht zu einem Abschluss kommen. Er tut und macht und macht und tut – ohne ankommen zu wollen.
Ankommen ist der Tod des blinden Aktivismus. In unserer Vorstellung ist Tod negativer Stillstand, negative Stille und negative Leere. Tod gleich endgültiges Ende, Ende gleich Loch. Um diesem Loch zu entgehen, lasse ich mich von allem Möglichen ablenken und fange immer etwas Neues an. So verliere ich meinen Fokus. Bloß nicht fertig werden, was dann? Wer oder was bin ich, wenn ich nichts mehr zu tun habe? Wer bin ich, wenn ich ganz auf mich zurückgeworfen bin?
Lies mehr zum Thema Wiedergeburt: Was passiert nach dem Tod?
Hinter diesem Thema scheint doch weit mehr als nur ein Konzentrationsproblem zu stecken. Konzentration ist eine Willenssache, und Willen ist immer mit Glauben verbunden. Dort wo ein Glaube ist, ist auch ein Wille, wie umgekehrt. Warum kann ich also den Willen für etwas oder den Glauben an mich selbst nicht aufbringen? Die Aufschieberitis, wissenschaftliche auch als Prokrastination bezeichnet, wird als Problem der Selbststeuerung angesehen, die mit Depression, Angststörungen und ADHS einhergehen kann. Je nach Leidensdruck sollte man offen für psychologische Hilfe sein oder sich im Selbstmanagement coachen lassen.
Konkrete Vorschläge für mehr Fokus
Für die Praxis für mehr Fokus ist es auf jeden Fall hilfreich:
- Einen Arbeitsplan erstellen. Priorität der Projekte und die passende Arbeitsstruktur skizzieren.
- Zeitplan, bis wann was fertig sein muss, festlegen. Hier die Deadline nicht zu knapp bemessen.
- Jemanden als Prüfinstanz in den Arbeitsplan miteinbeziehen.
Jedoch solltest du dich selbst fragen: Warum macht mir das Fertigwerden eine so große Angst? Von was möchte ich mich ablenken? Was ist das Loch, das ich nicht sehen möchte? Warum mache ich immer weiter, ohne anzukommen?

Ich freue mich auf eure Fragen, die ich sehr gerne – so weit es mir möglich ist – beantworten werde. Meine Antworten haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Mir ist es durchaus bewusst, dass manche Fragen eine ausführlichere Beantwortung verdient hätten, vor allem die persönlicheren. Ich bitte euch um Verständnis, dass das hier in diesem Rahmen nur bedingt möglich ist. Sollten Fragen offen bleiben, dann einfach noch einmal fragen oder mich persönlichen kontaktieren.

Dr. Moon Hee Fischer ist promovierte Religionsphilosophin und arbeitet im Bereich der alternativen Heilung. Ihre Schwerpunkte sind mediale Supervision und “Der Weg des Friedens“. Ihre Verknüpfung “spirituelle Medialität und wissenschaftlicher Anspruch” eröffnet nicht nur neue, interessante Ansätze für ein ganzheitliches Bewusstsein, sondern betont vor allem die Fähigkeit der Offenheit und das Mit- und Füreinander – “denn nichts existiert unabhängig voneinander”. // Titelbild: Foto von Ketut Subiyanto von Pexels