MYTHOS Bandhas

“Wenn im Körper des Yogi durch Pranayama Prana zum Fließen gebracht werden soll, ist es notwendig, Bandhas zu benutzen, um eine Vergeudung der Energie zu vermeiden. Ohne die Bandhas ist Pranayama tödlich”. Das schreibt B.K.S. Iyengar im Klassiker “Licht auf Yoga”. Aufgrund solcher Aussagen übt dieses Thema eine starke Faszination auf uns aus.

In traditionellen Hatha-Yoga-­Stunden kommt der Begriff “Bandha” meistens nur im Zusammenhang mit Pranayama vor. Dabei nutzt man die ­Bandhas, um die subtilen Prana-Energien zu lenken, wie man sie in Verbindung mit der Kundalini Shakti kennt. Dagegen werden in dynamischen Yogastunden ­Bandhas auch in den einzelnen Asanas eingesetzt. Vor allem für Vinyasa-Techniken wird ihnen eine wahre Schlüsselrolle zugesprochen. Denn viele können erst mit dem Setzen dieser richtig ausgeführt werden. Um Bandhas ranken sich viele Mythen. Zu Beginn ist daher zu klären, worum es sich bei einem Bandha grundlegend handelt. Welche Erwartungshaltung dürfen daran stellen?

Welche Bandhas gibt es?

Der Begriff “Bandha” kann mit “Verschluss” oder “Siegel” übersetzt werden. Wir unterscheiden grundlegend drei Grundtypen von Bandhas und einen Mischtyp.

Mula Bandha bezeichnet das Kontrahieren der Damm- und Schließmuskulatur. Es ist ursprünglich als Technik beschrieben, welche die Energien am Wurzelchakra nach oben aufsteigen lassen soll. Der Begriff “Mula” bezeichnet die Wurzel. Das bezeichnet auch den Beginn der Energieleitbahn, der Sushumna Nadi. Sie ist der Hauptmeridian entlang der Wirbelsäule.

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Uddiyana Bandha wird als “das, was das Apana Vayu aufsteigen lässt”. Es wird zugleich als das mächtigste der drei Ban­dhas beschrieben. Dabei kann man sich den Begriff des Apana Vayu als die (absinkende) Energie vorstellen, welche im unteren Teil des Körpers zirkuliert und nach oben gebracht werden soll. Vergleichbar mit dem Harmonisieren von Yin und Yang. Dieses Bandha steht auch für die Erweckung der Kundalini-Energie, welche ihren Sitz traditionsgemäß im Muladhara Chakra hat.

Jalandhara Bandha bedeutet das Verschließen der Energie im Hals- und Kehlbereich. Außerdem ist es der Überlieferung nach das damit verbundene Absenken der Energie des Prana Vayu. Die Wortgebung leitet sich von dem Sanskrit-Begriff für “Netz” ab und bezieht sich auf das (sichtbare) Pressen des Kinns auf das Brustbein. Häufig wird es deshalb auch als Kinnverschluss bezeichnet.

Verbindet man alle drei Bandhas miteinander, wird diese Verbindung “Maha Bandha” oder “großes Siegel” genannt.

Aus medizinischer Sicht…

  • sind Bandhas nicht gleichermaßen für alle geeignet.
  • haben sie großen physiologischen Nutzen.
  • können sie anatomische Strukturen schützen.
  • können sie Wirkungen von Asanas erfahrbar machen. Diese wären ohne Bandha nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.

Mula Bandha und der Beckenboden

Wenn wir über Mula Bandha sprechen, beschäftigen wir uns automatisch mit dem Beckenboden. Der Beckenboden bildet anatomisch gesehen den Halt für die Organe und schließt das so genannte kleine Becken nach unten ab. Allerdings handelt es sich um drei übereinander liegende Muskel- und Bindegewebsschichten. Diese verbinden gemeinsam das vorne liegende Schambein, die seitlich gelegenen Innenseiten der Beckenschaufeln und das hinten gelegene Kreuzbein. Weitere – feste – Verknüpfungen finden sich über die Knochen. Die Lendenwirbelsäule mündet über eine letzte Bandscheibe am Kreuzbein.

Dieses liegt, über je ein Gelenk pro Seite mit den Darmbeinen verbunden, innerhalb der beiden Beckenschaufeln. Diese sind vorne durch einen Knorpel an der Schambeinfuge miteinander verknüpft. Somit bildet das Becken einen festen, aber beweglichen Ring. Dieser ist nach unten hin durch den eben skizzierten Beckenboden abgeschlossen. Die Verkoppelung der Bereiche Schambein, Beckenschaufeln und Kreuzbein wird durch ein Erhöhen der Zug­festigkeit des Beckenbodens stabiler. Neben der elastischen Verbindung zwischen den beiden Schambeinknochen existiert eine weitere zwischen den beiden Darmbeinen und dem Kreuzbein. Das Iliosakralgelenk/ISG. Eine Stabilisierung des Beckenbodens festigt auch diesen Bereich.

Der Beckenboden und die Rückwärtsbeuge

Wenn wir uns nach hinten beugen, kommt es nicht zwangsläufig zu einer Kompression der Lendenwirbelgegend. Im Grunde geschieht dies nur durch falsche Technik oder ein zu tiefes Zurückbeugen. Trotzdem fühlen wir uns nach einer Rückbeuge oft im unteren Rücken verspannt. Ursache dafür ist unsere Anatomie. Denn wir brauchen genau die Muskeln, die wir gerne entspannen würden, in der Rückbeuge aktiv. In dieser Gegend befindet sich unsere Lendenwirbelsäule oft dauerhaft im Hohlkreuz. Dadurch verkürzt sich die Muskulatur oft. In Verbindung mit einer tiefen Rückbeuge wie dem Kamel verkrampfen der tief liegenden Rückenmuskeln oft.

Falls du anschließend in eine Vorwärtsbeuge gehst, wird es oft noch schlimmer. Dabei kommt durch einen geschalteten Reflexbogen noch eine Abwehrspannung hinzu. Das Ergebnis sind Verspannungsschmerzen.

Die “neue” Rückwärtsbeuge

Vergiss für kurze Zeit alles, was du über Rückbeugen weißt. Stell dir vor, sich ohne Kraft und ohne Anspannung nach hinten zu beugen. Wie schön und leicht wäre das? Eine solche Rückbeuge kann man umsetzen, indem man den Beckenboden einsetzt. Wenn du dir bewusst machst, was unser Beckenboden an Arbeit verrichtet? Dann kannst du dir vorstellen, dass durch die Kontraktion des Beckenbodens die Strukturen des Beckens gehalten und geschützt werden. Wenn du dich mit der Kraft des Beckenbodens in eine Rückbeuge begibst und all diese passiven Strukturen gehalten werden, kannst du die Rückenstreckermuskulatur durch ein gezieltes Entspannen der Gesäßmuskulatur loslassen. Allerdings setzt dies das Erlernen zweier Fähigkeiten voraus. Den Beckenboden wirklich anzuspannen und den Gesäßbereich bei aktivem Beckenboden zu entspannen.

Die praktische Umsetzung

Lass uns die Theorie in die Praxis umsetzen. Lege dich mit ausgestreckten Beinen auf den Rücken. Achte auf die Position deines Beckens am Boden. Wie weit oder eng fühlt sich dein Becken an? Spanne das Gesäß an und nimm erneut wahr, wie weit oder eng sich das Becken anfühlt. Löse anschließend die Spannung im Gesäß. Was hast du gefühlt? Sicher, dass sich im Moment des Entspannens das Becken wieder weiter anfühlt. Die Beckenschaufeln scheinen auseinander zu sinken. Versuche nun dasselbe mit dem Beckenboden. Kontrahiere diesmal diesen Bereich. Setze Mula Bandha. Beobachte dann das Gefühl von Enge oder Weite. Entspanne dann wieder. Nun dürftest du außer einer erhöhten und daraufhin gelösten Anspannung eigentlich nichts weiter gespürt haben.

Kombiniere nun beide Übungen. Spann zuerst dein Gesäß an. Anschließend den Beckenboden. Versuche anschließend, nur das Gesäß zu lockern. Währenddessen bleibt dein Beckenboden maximal angespannt. Achte auf das Gefühl von eng und weit und löse dann den Beckenboden wieder. Wenn du die Übung korrekt ausführst, fühlst du, wie mit dem Lösen des Beckenbodens auch die beiden Beckenschaufeln nach außen gesunken sind – richtig? Du hast also soeben die Lösung für das Rückbeugeproblem gefunden.

Wenn du diese Technik von nun an in deinen tiefen Rückbeugen ausführst, beispielsweise in einer gestützten Schulterbrücke, komme mit der Kraft deiner Gesäß- und Rückenstreckermuskulatur in die Position. Stütze dann mit deinen Unterarmen das Becken und spann deinen Beckenboden maximal an. Löse dann die Spannung im Gesäß. Im Rücken löst sie sich automatisch. Die Rückbeuge sollte sich weicher und angenehm anfühlen.

1 Kommentar

  1. Nicht übel!!
    Habe dennoch ein seltsames Gefühl dabei…
    Aus der Yoga Kriya Tradition, sind mir Verschlüsse sehr bekannt,u. verehre ihren Nutzen…Bei mir, bedarf es einer besonderen konzentrativen Ausrichtung wie z.B. “nur den Anusmuskel” locker zu lassen, während alle anderen Verschlüsse optimal kontrahiert bleiben…Vermutlich braucht es mehr Übung.
    Vielen Dank
    Anne-Marie

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