Interview mit Nella und Ralph Skuban

Zusammen können Sie aus einem großen Erfahrungsreichtum schöpfen: Nachdem er sein halbes Leben lang beruflich mit sterbenden Menschen zu tun hatte, ist Ralph Skuban heute einer der bekanntesten Lehrer und Autoren für Yogaphilosophie, Psychologie und Energiearbeit. Die ehemalige Zirkusartistin Nella Skuban steht für tiefen Zugang zu Asanas und Körperarbeit. Die Essenz ihrer Wege geben sie einzeln und gemeinsam an ihre Schüler weiter – und lassen sie auch im Interview mit YOGA JOURNAL anklingen.

„Bewusstheit ist Medizin“

Wo seht ihr das spezifische Heilungspotenzial bei Yoga?

Ralph: Wenn man in diesem Zusammenhang von Heilung sprechen will, muss man genau hinschauen, was das bedeuten kann. Kranke Menschen werden durch Yoga-Workshops oder Ausbildungen ja nicht unmittelbar gesund. Doch die Idee der Heilung im Sinne von Ganzheit gibt einen guten Sinn: Die Verbindung von klassisch orientierter Körperarbeit, Pranayama, Philosophie und meditativen Ansätzen in unserer Arbeit stellt einen ganzheitlichen Zugang zum Yoga dar, der uns heute ja oft nur noch bruchstückhaft vermittelt wird, meist in seinem reinen Körperaspekt. Die Integration aller zentralen Bereiche des Yoga kann auf längere Sicht eine heilsame Wirkung auf den Menschen, auf sein inneres Wachstum, sicher auch auf seine unmittelbare Gesundheit entfalten. Ich denke, das Schlagwort für uns beide ist Bewusstheit. Sie auf allen Ebenen zu wecken, das ist die eigentliche Medizin. Unser „Yoga Energy Works“-Format widmet sich diesem Thema ganz speziell.

Was verpasst man, wenn man sich auf den „Fitness“-Aspekt von Yoga beschränkt?

Nella: Die Chance verringert sich, in die tieferen Ebenen der Wahrnehmung und Persönlichkeitsstruktur zu gelangen und damit etwas Grundlegendes zu verändern. Wir beobachten, dass die meisten Menschen auf der Matte mit der gleichen Geisteshaltung üben, wie sie „draußen“ in der Welt ihrer Arbeit nachgehen und ihr Leben leben. Wenn man auf der Matte hauptsächlich damit beschäftigt ist, sich zu überfordern und den Ansprüchen seines ehrgei-zigen Egos gerecht zu werden, füttert man diese Geisteshaltung sogar noch und bereitet keinen Boden für einen achtsamen Umgang mit sich selbst. Dieser Tatsache muss man sich aber überhaupt erst einmal bewusstwerden, was meistens einige Zeit dauert und ein sehr ehrliches und konzentriertes Hinschauen erfordert. Es ist ein Sensibilisierungsprozess, ein Weg zu größerer Bewusstheit.

Andererseits kann Yoga aber auch als Projektionsfläche für Heilsversprechen und überzogene Heilserwartungen dienen. 

Ralph: Die Menschen suchen im Yoga so unterschiedliche Dinge wie körperliche Gesundheit, Zufriedenheit und Glück, die Verwirklichung beruflicher oder auch spiritueller Ziele. Das sind Ziele, die alle Menschen anstreben, ob im Yoga oder woanders. Ob wir sie im Leben erreichen, hängt wohl weniger davon ab, was wir tun, als vielmehr davon, wie wir es tun. So kann Yoga hilfreich sein oder, im Gegenteil, sogar selbst zu einem Hindernis werden.

Nella: Dass Yoga zur Projektionsfläche für Heilungserwartungen wird, muss sich die Yogaszene zu einem Teil auch selbst zuschreiben, denn große Versprechungen werden ja allenthalben gemacht. Was meist nicht dazu gesagt wird: Yoga als eine Reise zu uns selbst muss nicht immer eine unterhaltsame Angelegenheit sein, denn persönliches Wachstum hat vor allem auch damit zu tun, seine Schatten und Schwächen zu sehen und anzunehmen. Etwas mehr Bescheidenheit täte uns allen gut, sowohl bei den Versprechungen als auch im Hinblick auf die Erwartungen.

Ralph, als promovierter Politikwissenschaftler hast du Erfahrung darin, die Prozesse und das Miteinander der Gesellschaft zu analysieren. Als Idee der Heilung über den einzelnen Menschen hinaus: Welches Potenzial birgt Yoga für die Weiterentwicklung der Gesellschaft?

Ralph: Yoga richtet sich an den einzelnen Menschen und gibt ihm Werkzeuge an die Hand, an sich zu arbeiten, sich etwas Gutes zu tun, zu reifen und sich zu entwickeln. Manchem mag Yoga auch mehr Lebensfülle und Glück schenken. Zwar ging es weder den
alten Schriften, noch dem modernen Yoga um gesellschaftliche Anliegen per se, schon gar nicht um Politik, doch ist ja auch eine Gesellschaft nichts anderes als eine Gemeinschaft von Einzelnen. Wenn der einzelne Mensch reift, kann auch die Gemeinschaft
davon profitieren. Ob und in wieweit dem Yoga dieses Potenzial innewohnt, ist sicher schwer zu ermessen. Wo er typische Muster unserer Gesellschaft – wie zum Beispiel den Vergleich und die Konkurrenz – übernimmt, da wird er lediglich zu einer anderen Spielwiese, auf der Menschen sich messen, miteinander konkurrieren und sich optimieren möchten. Darunter leiden jetzt schon viele Yogapraktizierende, wie uns häufig berichtet wird. Wo Yoga dagegen zu Selbstakzeptanz führt, zu Offenheit und innerem Frieden, da ist er sicher heilsam auch für die Gemeinschaft.

Einen sehr leisen Teil der Gesellschaft hast du in deiner Zeit als Leiter eines Pflegeheims erlebt. Welche Bedeutung erhalten Heilung und Therapie im letzten Stadium eines Lebens?

Ralph: In der letzten Phase des Lebens geht es nicht mehr um Heilung, jedenfalls nicht so, wie wir das meist verstehen. Körperlich gibt es bei einem Sterbenden nichts mehr zu heilen. Vielmehr geht es darum, die Dinge zu erleichtern: Schmerzen, das Atmen, die Nahrungsaufnahme und so weiter, ganz grundlegende Bedürfnisse also. Man kann für den Sterbenden da sein, ihn begleiten, auch seine trauernden Angehörigen. Heilung wird in diesem Kontext für mich zu einer spirituellen Idee in einem sehr schönen Sinn: Der Sterbende geht nach Hause, ein großer Moment! Ich glaube, der Tod ist die Summe des Lebens, wir alle gehen ja diesen Weg. Es ist ein natürliches Geschehen, das zum Wachstumsprozess der menschlichen Seele gehört. So werden das ganze Leben und auch der Tod zu einem Prozess des Heilwerdens, Ganzwerdens.

Immer lautere Töne schlägt das zeitgeistige Yoga als Inszenierung in Werbung, den sozialen Medien und anderen konsumorientierten Bereichen an. Nella, welchen Eindruck macht dieses Spektakel auf dich – auch als ehemalige Bühnenkünstlerin und Zirkusartistin?

Nella: Du nennst es selbst „Spektakel“, und ich denke, das Wort ist eigentlich ganz passend. Es leitet sich von dem lateinischen „spectare“ ab, also „schauen“. Was im Moment in der Yogaszene passiert, ist sehr stark visuell geprägt. Es gibt unendlich viele Abbildungen von Asanas, Menschen posten Selfies von mehr oder weniger beeindruckenden Haltungen auf Kanälen wie Facebook oder Instagram. Wenn wir ehrlich sind, ist die Botschaft meistens: „Schau, was ich kann!“ Daran ist per se nichts falsch. Ich kann das sogar gut verstehen, da ich ja selbst jahrelang als Artistin auf der Bühne tätig war, wo es genau um diese Darstellung geht. Nur denke ich, dass Yoga in seinen Wurzeln eigentlich das Gegenteil möchte: Es geht hier um einen Zustand, um das Schauen der inneren Bewegungen, um einen im wirklichen Sinn des Wortes esoterischen, also innerlichen Weg. Von den äußeren zu den inneren Aspekten: Auf diesem Weg sehe ich mich heute.

Puristen beklagen zeitweise den „Ausverkauf“ des Yoga. Wie seht ihr insgesamt das Zusammenspiel von klassischer Überlieferung und moderner Ausprägung?

Ralph: Das ist ein schwieriges Thema. Wenn man die Quelltexte des Yoga beim Wort nimmt, muss man sehen, dass der moderne Yoga oft nicht mehr viel damit zu tun hat. Der Yoga Patanjalis war nicht so stark körperbetont – die Yogis studierten, atmeten und meditierten, es war ein stiller und zurückgezogener Weg der Gottsuche. Der erst viel später entstandene Hatha Yoga brachte den Menschen dann in seiner Körperlichkeit stärker ins Spiel, ist aber immer noch recht weit weg von der primären Körperorientierung des heutigen Yoga.

Nella: Letztlich geht es wohl auch nicht so sehr um die Frage, was man methodisch macht – diesen oder jenen Yoga, mehr oder weniger Körper – als vielmehr darum, was man anstrebt, und ob einem die eigene Praxis dabei hilft: Was suche ich? Hilft mir mein Üben dabei? Würden wir Patanjali fragen, würde er uns sagen, Yoga sei ein Zustand des Bewusstseins, ein Sein in totaler innerer Freiheit – so frei, dass wir alles Leid damit überwinden. Ein hohes Ziel rein spiritueller Qualität.

„yoga muss nicht immer unterhaltsam sein.“

„Spirituell“ ist vom Wortstamm her eng mit dem Begriff des Atmens verbunden. Mit dessen Heilkraft beschäftigst du, Ralph, dich in deinem neuen Buch „Pranayama“. Laufen hier eventuell alle Fäden deiner bisherigen Publikationen und ohnehin der Yogapraxis zusammen?

Ralph: In gewisser Hinsicht ja. Das Pranayama-Projekt wurde, während ich daran arbeitete, größer und tiefer, als ich es zunächst geplant hatte. Im Prana-yama kulminiert für mich die ganze Idee des Yoga – praktisch wie philosophisch. Körperarbeit, das Mentale und die Spiritualität begegnen sich da in einer leisen und faszinierenden Praxis und offenbaren mir das Herz des Yoga. Das in voller Klarheit zu sehen und dann in einem Buch zum Ausdruck zu bringen, ist eine sehr schöne Erfahrung.

Allgemein betrachtet: Wohin, glaubt ihr, wird sich Yoga und die so genannte Yoga-„Szene“ in den nächsten Jahren entwickeln? Brauchen wir mehr Yogalehrer, -studios und -angebote oder sollte es eher eine „Zurück zu den Wurzeln“-Bewegung geben?

Nella: Wir machen uns nicht viele Gedanken darüber, wie sich die Yogaszene entwickeln wird. Es liegt auch nicht in unserem Ermessen zu beurteilen, ob es mehr von diesem oder mehr von jenem geben sollte. Die Dinge entwickeln sich von ganz alleine auf ihre Weise. In der Überzeugung, dass gute Qualität immer ihren Platz haben wird, versuchen wir einfach, das weiterzugeben, was wir selbst für wertvoll und für richtig halten.


Ihr erfolgreiches „Yoga Energy Works“-Format, ihre Ausbildungen sowie zahlreiche Retreats und Workshops bieten Ralph und Nella Skuban im gesamten deutschsprachigen Raum an. Alle Termine und Publikationen finden sich unter: www.kaivalya-yoga.de

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