Satsang zum Krieg: “Kann man glücklich sein, wenn andere Menschen leiden?”

Heute beantwortet Dr. Moon Hee Fischer eine Frage aus der Redaktion: “Wie kann man glücklich sein, wenn andere Menschen leiden?” Auch uns haben die Ereignisse in der Ukraine sehr betroffen. Wir haben uns gefragt, wie wir weitermachen und das nicht nur in der Redaktion, sondern im Leben, als Menschen. Was fühlen wir, wenn zwei Flugstunden entfernt Krieg ist?

Text: Nicoletta Wagenstetter / Dr. Moon Hee Fischer

Bereits am Donnerstag zu unserem Jour-Fix wird zuerst über den Krieg in der Ukraine gesprochen. Keiner wusste genau, was jetzt wirklich passiert und man konnte es noch nicht richtig fassen – es ist Krieg in Europa. “Einfach nur traurig”, sagt meine Kollegin Jenny knapp und alle stimmen nickend zu. Als wir uns am Montag den 28. Februar aus dem Home Office zum Morgen-Meeting vernetzten, ist an Arbeit nicht zu denken. Erstmal sprechen wir alle nur über die Nachrichten. Wie die Oma darauf reagiert hat, dass jetzt Krieg ist? Mit Angst, ist die Antwort. Gerade die Gespräche mit älteren Menschen haben uns besonders traurig und besorgt gemacht. Jeder empfindet tiefes Mitgefühl für die Menschen in der Ukraine und eben auch Angst.

Wie geht es weiter?

Ein Blick auf unseren Redaktionsplan und die nächsten Fragen im Daily Business ploppen auf. Eigentlich eine gute Nachricht: Die Spendenaktion “Aktion Kleine Helden”, die wir mit Yoga for Cancer begleitet haben, hat über 16.000 Euro für die Kinderkrebsstation der Charité Berlin gesammelt. Das posten wir ein ander mal entscheiden wir. Es sind noch die “Übungen für eingeklemmte Handnerven” geplant. “Sollen wir die heute überhaupt posten?” fragt die Kollegin. Die Antwort: Nein. Ja, das Mantra des Friedens posten wir. Das lesen wir uns auch alle nochmal durch – ein schwacher Trost. Wir teilen auf Social Media Veranstaltungen, die Yogalehrer zu Gunsten der Ukraine organisieren und müssen uns erstmal sammeln. Noch am Montag schreibe ich unserer Satsang-Kolumnistin Dr. Moon Hee Fischer. Ihre Schwerpunkte sind mediale Supervision, ihr Buch heißt “Der Weg des Friedens.”

“Liebe Moon Hee, heute habe ich eine Frage an dich: Wie kann man glücklich sein, wenn andere Menschen leiden? Die aktuelle Situation in der Welt besorgt uns alle sehr und wir fragen uns wie wir weitermachen können, wenn so viel Leid um uns herum ist.”

Die Antwort von Dr. Moon Hee Fischer

Alle Wesen wollen glücklich sein und alle Wesen wollen Leid vermeiden. Oberflächlich betrachtet scheinen Glück und Leid subjektive Empfindungen zu sein, doch tatsächlich sind sie universelle Größen, an denen alles Anteil hat. Das bedeutet, dass alles Glück und Leid voneinander abhängig und miteinander verbunden ist – kein Glück oder Leid kommt alleine. Persönliches Glück oder Leid gibt es eigentlich nicht, denn mein Glück ist zugleich das Glück der anderen, so wie auch mein Leid zugleich das Leid der anderen ist, wie auch umgekehrt. Deshalb ist geteilte Freude auch doppelte Freude und geteiltes Leid halbiertes Leid.

Alles Leben beruht auf Wechselseitigkeit. Die Bewusstwerdung dessen öffnet uns für den Anderen und führt über eine Haltung der Achtsamkeit, des Mitgefühls und der Nähe zu der universellen Verantwortung, die unsere Welt so dringend braucht – Glück zu mehren und Leid zu lindern und zwar für alle. Die Lösung aller unserer Probleme, aller Frieden, innerer und äußerer, liegt in der Annahme, dass alles mit allem verbunden ist. Nichts existiert getrennt oder isoliert voneinander.

Niemals kann es wahres Glück oder wahren Frieden geben, so lange noch ein einziges Wesen leidet. Oder anders gesagt: “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.” Das Wunder der Liebe offenbart sich im lebendigen Tun der Worte: Ich bin alle Wesen und alle Wesen bin ich. Alles, was ich für mich tue, tue ich auch für andere, und alles, was ich für andere tue, tue ich auch für mich selbst.


Meditieren, Demonstrieren und Yoga für den Frieden

Danke liebe Moon Hee für deine Antwort. Deine Worte bestärken mich, mit dem zu sein was ist. Geteiltes Leid ist halbes Leid – das habe ich noch am selben Tag erfahren. Am Abend gehe ich auf eine Demonstration für den Frieden in der Ukraine, die in München am Geschwister-Scholl-Platz organisiert wird. Es sind ca. 800 Menschen da. Ich stehe mit meiner Freundin Tina am Platz und höre der Rednerin zu. Die ehemalige Studentin der Hochschule für Film und Fernsehen kommt aus der Ukraine, aus Kiew. Seit ihrem Studium lebt sie bereits mehr als zehn Jahren in München. Regelmäßig fliegt sie nach Kiew, zur Familie, zu Künstlerfreunden und um Dokumentarfilme zu drehen – doch jetzt ist Krieg.

Sie steht auf einem improvisierten Podest auf einem Einsatzbus der Feuerwehr und spricht ins Mikro: “Ich hab die letzten vier Tage nur geheult Leute. Ich war verzweifelt und am Boden zerstört. Aber wir stehen hier am Geschwister-Scholl-Platz, das bedeutet mir viel. Die Geschwister Scholl haben ihr Leben gegeben, um für das einzustehen, was richtig und menschlich ist. Heute, wenn ich euch alle sehe und die Unterstützung, die wir hier und auf der ganzen Welt gemeinsam für die Ukraine zeigen, das gibt mir Hoffnung, das gibt mir Kraft weiterzumachen.” Meiner Freundin Tina und mir fließen die Tränen runter.

Alles, was ich für mich tue, tue ich auch für andere, und alles, was ich für andere tue, tue ich auch für mich selbst.

Dr. Moon Hee Fischer

Natürlich haben wir als Deutsche eine besondere Beziehung zu Krieg. Die Geschichte ist in unserem kollektiven Unbewussten fest verankert – auch wenn wir erst nach dem Krieg geboren wurden. Es ist total menschlich, dass wir uns intensiv mit diesem Krieg auseinander setzen. Die ganze Welt fühlt mit der Ukraine mit. Ich kann euch nur aus meiner Erfahrung sagen: Geht demonstrieren, auch wenn ihr denkt das bringt’s doch nicht. Doch, das tut es! In Russland werden die Menschen dafür verhaftet. Wir dürfen in einer Demokratie leben und uns frei äußern. Es tut gut andere Menschen zu sehen, welche dieselben Sorgen teilen. Die Verbundenheit ist klar spürbar – das hilft und ja, es hilft auch den vielen Kriegsflüchtlingen, die das Mitgefühl der Weltgemeinschaft sehen und spüren.

Alle großen Hilfsorganisationen haben Spendenkonten eingerichtet, die speziell den Flüchtlingen aus der Ukraine zu Gute kommen. Nehmt an Yogastunden teil, die ihre Gewinne spenden oder fragt in eurer lokalen Gemeinde, ob es Hilfen organisiert. Hier geht es zum Link der Spendenaktion für die Ukraine von Ärzte ohne Grenzen.

Fühlt alle eure Gefühle, die Trauer und auch die Angst. Es ist normal Angst zu empfinden, wenn Krieg ist. Es ist menschlich und genau darauf besinnen wir uns alle gerade – auf die Menschlichkeit. Als Yogi*nis kennen wir viele Methoden, um mit starken Gefühlen umzugehen, zum Beispiel die 4-7-8 Atmung gegen Ängste und Schlafprobleme. Den Artikel haben wir uns auch nochmal durchgelesen.

Wie geht es euch? Und was hilft euch in dieser Zeit? Sprecht ihr in der Arbeit über den Krieg in der Ukraine? Teilt uns gerne eure Gefühle und Gedanken in den Kommentaren mit.


Satsang
Dr. Moon Hee Fischer

Dr. Moon Hee Fischer ist promovierte Religionsphilosophin und arbeitet im Bereich der alternativen Heilung.

Ihre Schwerpunkte sind mediale Supervision und “Der Weg des Friedens.” Ihre Verknüpfung “spirituelle Medialität und wissenschaftlicher Anspruch” eröffnet nicht nur neue, interessante Ansätze für ein ganzheitliches Bewusstsein, sondern betont vor allem die Fähigkeit der Offenheit und das Mit- und Füreinander – “denn nichts existiert unabhängig voneinander.”


Nicoletta Wagenstetter

Nicoletta Wagenstetter – Team Lead Online-Redaktion

Nicoletta leitet die Online-Redaktion, ist selbst Yogalehrerin und arbeitet als Shiatsu Praktikerin. In das Thema Yoga tauchte sie bereits vor 20 Jahren für ihre Magisterarbeit “Beyond New Age – Contemporary Spirituality in the USA” ein. Sie bildet sich stetig in körpertherapeutischen Disziplinen weiter, liebt Podcasts aller Art und als Betroffene macht sie sich stark für Yoga bei Endometriose.


Titelbild: Annie Spratt via Unsplash

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