Sharon Gannon über Glück und Freiheit

Sharon Gannon ist die Yoga-Queen biegsamer Großstädter, Vorzeige-
Veganerin, Guru und Mentorin der weltweiten Jivamukti-Community, kurz: ein Star. YOGA JOURNAL sprach mit ihr über Aktivismus, Yoga als Business und über Freiheit.

Interview mit Britta Rohr

Sharon, du hast in diesem Jahr deinen 65. Geburtstag gefeiert und kommst immer noch rüber wie ein Rockstar – man hat das Gefühl die Performance-Künstlerin und Musikerin von früher klingt durch, nur sind es jetzt nicht mehr New Yorker Szeneclubs der 1980er-Jahre, sondern immer größer werdende Yoga-Workshops. Wie fühlt sich das an?
Ich liebe es, Menschen erreichen zu können. Natürlich hilft mir meine Erfahrung als Musikerin dabei, in einer gewissen Weise zu unterhalten. In den Anfängen hatte ich nicht das primäre Ziel, Yogalehrerin zu werden. Doch dann habe ich gemerkt, ich kann Yoga nutzen, um eine Botschaft zu vermitteln. So kann ich Menschen bewegen und meine Spiritualität leben.

Auf welchem Weg bist du dann doch Yogalehrerin geworden? Hast du ein Teacher Training absolviert?
Ich nahm damals an allem teil, was ich finden konnte. Immer wenn ich hörte, dass jemand Yoga unterrichtete, war ich dabei. Ich ging hin und probierte es aus. Nach und nach kamen die Leute dann auch zu mir. Sie waren neugierig und fragten mich, ob ich ihnen den Kopfstand beibringen könne. Na klar konnte ich das, und die Neugierde wuchs. Plötzlich interessierten sich Menschen in meiner Umgebung dafür, was Meditation ist und wie es ist, jeden Tag zu meditieren. Ob ich ihnen auch das zeigen könne. Kein Problem!
Dann fragten sie mich nach meiner Ernährung und wollten alles über Veganismus wissen. 1983 fing ich nach und nach an, Menschen zu unterrichten. Und das alles in meinem winzigen Apartment in New York, wo es ein Stand-Harmonium, ein Bett und noch Platz für eine weitere Person gab – den Yoga­schüler.

Heute unterrichtest du in deinen Workshops über 200 Leute gleichzeitig. Da hat sich ganz schön etwas verändert! Yoga ist auch ein lukrativer Markt geworden. Mit Yoga­lehrer-Ausbildungen lässt sich viel Geld verdienen, auch du bist mit Jivamukti Yoga mittlerweile weltweit erfolgreich. Wie gehen Aktivismus und Business für dich zusammen?
Wenn du Geld hast, kannst du es in gute Projekte investieren und zum Beispiel Mahlzeiten an notleidende Menschen ausgeben. Es ist nicht falsch, Geld zu verdienen. Wenn du es zur persönlichen Bereicherung verwendest und nicht darin investierst, die Welt zu verbessern und die Leben anderer glücklicher zu machen, dann gibt es allerdings ein Problem. Auch wenn Yogis zu Geld kommen, kommt es darauf an, wofür sie es ausgeben. Durch den Erfolg von Jivamukti Yoga kann ich Arbeitsplätze schaffen und Menschen Sicherheit geben. Ursprünglich haben Lehrer ihre Schüler darum gebeten, kostenlos für sie zu arbeiten und alles für sie aufzugeben. Ich will, dass sich jeder, der in meine Schule involviert ist, glücklich und wertgeschätzt fühlt. Bevor ich Yoga­lehrerin wurde, hatte ich mit derlei Dingen nichts zu tun. Plötzlich musste ich ein Konto eröffnen, brauchte ein Telefon und musste mich mit einem Anwalt zusammensetzen, um eine Trademark zu etablieren. Warum? Weil ich mich für meine Mitarbeiter verantwortlich fühle und sie bezahlen möchte.

Welche Projekte förderst du, um die Welt zu verbessern und was tut die Jivamukti-Gemeinschaft, um Menschen in Not zu helfen?
30 Prozent meines persönlichen Einkommens spende ich an Tierschutzorganisationen wie Sea Shepherd und PETA. Als Community tun wir alles, um Menschen aus Unterdrückung zu befreien. Aber es macht keinen Unterschied, um welche Geschöpfe es sich handelt: Flüchtlinge oder Straßenhunde, die keinen warmen Ort zum Bleiben haben. Wir versuchen, alle zu unterstützen. Tierrechte schließen Menschenrechte ein – und umgekehrt. Wir müssen auf die Bedürfnisse aller achten.

Glaubst du, dass du mit deinem Verhalten Einfluss auf die Weltpolitik hast?
Ja, Politik ist der größere Körper, die größere Einheit. Sie impliziert die Gesellschaft, das Umfeld, in dem wir uns bewegen. Politisch zu sein heißt, sich um andere zu kümmern, mit denen man diesen Raum teilt. Insofern bin ich sehr politisch, weil ich mich nicht nur um mein eigenes Glück kümmere. Ich möchte nicht, dass mein eigenes Glück auf Kosten anderer geschieht. Das ist für mich die ursprüngliche Bedeutung politischen Handelns.

Gibt es nicht einen Konflikt, wenn die Yoga­szene von Firmen, Modelabels oder Mattenherstellern beeinflusst wird?
Warum, wenn die Produkte ethisch vertretbar und biologisch sind? Ich bin überzeugt, als Kundin Einfluss auf den Markt zu haben und die Hersteller dazu bringen zu können, umweltfreundlichere Produkte herzustellen. Als ich mit Yoga anfing, gab es gar keine Yogamatten. Als es dann die ersten gab, waren die aus ziemlich giftigen Materialien. Ich wollte auf keinen Fall auf toxischem Material üben. So fing ich an, die Unternehmen zu motivieren, andere Matten auf den Markt zu bringen, und nun gibt es Firmen, die das wirklich umsetzen. Wenn es Nachfrage gibt, reagiert der Markt. So ist es auch mit Sojamilch: Ich will keine Kuhmilch trinken, und das geht auch anderen so. Wenn da mehrere nachfragen, erkennen die Unternehmen, dass man auch mit tierleidfreien Produkten Geld verdienen kann. Und das ist auch wieder ein Stück Weltverbesserung.

Du sagtest in deinem Workshop, dass wir, wenn wir mehr in Anbindung an Gott und in Demut handeln, die Welt verändern können. Wäre die Welt also ein besserer Ort, wenn alle Menschen Yoga üben würden?
Yoga ist nicht für jeden. Genauso wie glücklich sein nicht für jeden ist. Andere Menschen haben andere Themen im Leben, und das sollten wir respektieren. Nicht jeder muss eine spirituelle Person sein. Jeder kann entscheiden, was er mit seinem Leben tun möchte. Ich gebe mein Bestes, um so gewaltfrei wie möglich zu leben. Es liegt an jedem Einzelnen, das auch zu tun und in Toleranz, Liebe und Wertschätzung allen gegenüber zu handeln – egal welche Hautfarbe er oder sie hat. Sei tolerant, freundlich und handle so, dass du jeden Menschen aufbauen kannst.

Wenn wir jeden Tag zum Yoga gehen, teure Yogaklamotten kaufen und an Workshops teilnehmen, kaufen wir uns da nicht ein gutes Gewissen?
Wir geben für vieles Geld aus. Yoga ist für Menschen, die genug Geld für ihre Grundversorgung haben. Wenn dann noch Geld übrig bleibt, ist Yoga eine gute Investition. Man muss nicht reich sein, um Yoga zu machen.

Zuletzt noch zum Thema Freiheit: Jivamukti Yoga begann ja relativ anarchisch. Heute sieht das anders aus. Speziell in der Ausbildung gibt es feste Regeln und Strukturen. Mittlerweile sagen manche, dass Jivamukti Yoga nicht mehr frei genug ist und sie sich eingeengt fühlen. Was hältst du davon?
Wenn sich Schüler eingeschränkt fühlen, sollten sie gehen und einen Weg finden, glücklich und frei zu sein. Wenn ich nicht die Antworten auf ihre Fragen habe, möchte ich, dass sie woanders hingehen, um sie zu finden. Die meisten Jivamukti-Schüler finden eine Menge Freiheit und Glück. Die Methode selbst ist nicht wichtig. Glück und Freiheit sind wichtig.

 

Sharon Gannon begründete zusammen mit David Life die Jivamukti-Bewegung. Seid ihrer ersten Begegnung sind über 30 Jahre vergangen – bis heute leben und arbeiten sie gemeinsam. “Unser Zusammensein basiert auf Yoga,” so Sharon Gannon über ihre Beziehung. Auch ihre Ansichten über das Konzept der romantischen Liebe teilten sie mit dem YOGA JOURNAL.


Titelbild: Guzmann / Jivamukti

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