SHIVA REA – Die Grande Dame des Flow

Aufgewachsen ist Shiva Rea in einem kleinen Haus am Meer, wo ihr im Alter von vierzehn Jahren in der Bibliothek ein Buch über Yoga in die Hand fiel. Fortan übte sie sich akribisch in dieser Körperkunst, die in ihr sofort etwas Magisches auslöste.

Sie eignete sich all ihr Wissen über das Leben im Einklang mit dem natürlichen Rhythmus selbst an und entwickelte daraus ihren Yogastil Prana Flow, der sie schließlich weltbekannt machte. Ein Gespräch über den Fluss des Lebens und darüber, wie uns Yoga lehrt, sanft mit dem Strom zu schwimmen.

Du bezeichnest dich selbst als „yogini firekeeper“. Was meinst du damit?
Sprachlich ist Yogini die weibliche Form von Yogi und ein „firekeeper“ ist jemand, der das Feuer hütet. Mir geht es um die Verbindung mit den Ursprüngen unserer Vorfahren und um ein universelles Verständnis von Yoga. Wenn man auf die Anfänge der Menschheitsgeschichte zurückblickt, gehören das Entzünden und das Hüten des Feuers zu den Tätigkeiten, die seit jeher eng mit dem menschlichen Leben verwoben sind. Dass uns heute uneingeschränkt elektrische Energie zur Verfügung steht, ist eine noch sehr junge Entwicklung. Die Bezeichnung „Yogalehrer“ empfinde ich manchmal als zu gewöhnlich.

In einem Filmausschnitt von „Y Yoga“ sagst du, dass du kein Yoga machst und Leuten auch nicht empfiehlst, Yoga zu üben, sondern Yoga „zu sein“.
An diesem Statement zeigt sich die enorme Kraft der Sprache. Yoga ist ein Seinszustand. Der Unterschied zwischen „Yoga machen“ und „Yoga sein“ hat etwas mit dem zu tun, was wir aus unserer menschlichen Natur herausholen. In meinen Augen ist Yoga wirklich ein großartiges Geschenk an die Welt. Yoga hilft uns dabei, in stärkerem Einklang mit unserem natürlichen Rhythmus zu leben, der mit unserem Atem beginnt. Je tiefer wir in die Pranayama-Technik eindringen, desto klarer wird, dass keine Technik existiert, der wir absichtlich folgen, sondern wir exakt den Punkt erreichen, an den unser Atem uns führt. Die Vorstellung von der „Ausführung einer Technik“ müssen wir aufgeben. Ansonsten werden wir Prana- yama nie erfahren. Es geht hier um einen gewissen Gesinnungswandel. An diesem Punkt spiegelt sich für mich ein größerer Bewusstseinswandel wider, der genau zwischen dem „Tun“ und dem „Sein“ angesiedelt ist. Wir gehen immer davon aus, dass „tun“ besser ist und mehr bringt als „sein“.

Was passierte, als du damit angefangen hast, Yoga „zu sein“?
Ich war ein Hardcore-Ashtangi und habe mehr als zehn Jahre die „dritte Serie“ gemacht. Als ich schwanger wurde, konzentrierte sich all meine Energie plötzlich auf meine Körpermitte – eine Kraft aus Liebe. Das brachte in mir den Wandel hin zum einfachen Glück des Seins in Gang und beeinflusste eben auch die Art und Weise, wie ich Yoga praktiziere und es heute anbiete. Zu sagen: „Ich unterrichte Yoga“, ist ebenfalls ein sprachliches Dilemma. Wenn die Leute in den Unterricht kommen und erwarten, dass sie in etwas unterrichtet werden, ist sofort eine Barriere da, die das beeinträchtigt und begrenzt, was sie durch Yoga in sich selbst erfahren können.

Was ist das Wesentliche an Prana Flow?
Wenn wir versuchen, den eigentlichen Prana Flow zu beschreiben, dann geht es letztlich darum, den Leuten dabei zu helfen, ihren natürlichen Rhythmus zu spüren und zu erfahren, dass er immer da ist. Oder wie es Daniel Odier, einer meiner Lehrer, beschreiben würde: Tiger brauchen kein Yoga. Sie sind in einem ständigen Zustand ihrer eigenen Wesenheit.

Die meisten Yogastudios an der Ost- und Westküste bieten Vinyasa-Kurse an. Wie erklärst du dir die Sehnsucht der Leute nach dem Vinyasa-Stil?
Obwohl Vinyasa auf eine sehr alte Technik zurückgeht, erfährt die Richtung gerade eine starke Wiederbelebung. Die Art, sich mit dem Flow zu bewegen, war in den Anfängen des Tantra sehr präsent und Krishnamacharya hat verstärkt daran gearbeitet, genau das wieder nach vorne zu holen. Das ganze Verständnis für die Ursprünge der Asanas wird sich innerhalb der nächsten zehn Jahre verwandeln. Die Leute werden verstehen, dass Vinyasa viel älter ist, als sie ursprünglich dachten. Diese Annahme basiert auf der Arbeit von Christopher Tompkins, der vor Kurzem in Kaschmir auf 25.000 Seiten eines bisher noch unübersetzten frühen Tantra-Manuskripts gestoßen ist. Ursprünglich bedeutet Vinyasa „natürliche Abfolge“ und geht davon aus, dass die Wellen unseres Gehirns und unseres Herzschlages in Einklang mit unserem Atem und unserer Bewegung sind. Auf dieses Schwingungsbild sind wir von Natur aus eingestellt, unser Körper ist auf diesen Zustand ausgerichtet. Ich glaube, Vinyasa ist im Westen so populär, weil es genau das berührt, was die Menschen von ihrem eigenen Körper als Bedürfnis mitgeteilt bekommen. Sie wollen sich in einen Zustand des natürlichen Fließens versetzen. Natürlich gibt es auch Leute, die Vinyasa als eine Art Workout betrachten. Das wird bei uns im Westen immer so sein. Aber der Vinyasa-Stil ist in den Staaten im Moment sicherlich die am stärksten vertretene Form von Yoga.

Ich habe den Eindruck, dass Prana Flow, genau wie Trance-Tanz u.ä.,sehr stark auf das Wohlbefinden des Körpers abzielt. Glaubst du, dass diese Art von Körperarbeit den Menschen dabei helfen kann, sich leichter mit ihrem Inneren zu verbinden?
Ich unterrichte auch Meditation und Yoga Nidra, würde meine Körperarbeit dennoch als das „stärker erdende Element“ beschreiben. Tief in die Stille der Erde vorzudringen ist wirklich vonnöten. Auf den ersten Blick mag es so wirken, als gäbe es bewegungslose Zustände, aber im Endeffekt existiert im gesamten Universum nichts Statisches. Zur scheinbaren Bewegungslosigkeit der sitzenden Meditationspraxis mag ein rhythmischer Unterschied sichtbar sein, aber grundsätzlich halte ich die Auffassung von der Bewegungslosigkeit für eine Illusion: Selbst in absoluter Stille fließt alles.

Wie gehst du mit all den Gedanken um, die ständig in uns hochkommen?
Bevor sich in uns etwas zu einem Ge- danken formt, ist da zunächst eine energetische Schwingung. Am Beginn jeglicher Hirnaktivität stehen elektrische Impulse. In diesem noch unbewussten Stadium können wir intuitiv bereits erahnen, ob der Impuls hilfreich sein wird oder nicht. Es ist ja nicht so, dass wir Yogapraktizierende wie Yogaroboter funktionieren oder uns immer in einem Zustand von Frieden bzw. innerer Ausgeglichenheit befinden würden. Der Wandel im Leben verläuft zyklisch. Nehmen wir beispielsweise die Neumondphasen. In den Tagen vor Neumond haben unsere Gedanken tendenziell mehr Tiefgang und wir fragen uns, was unter der Oberfläche abläuft. Wenn dich diese Gedanken weiterbringen, wirst du das körperlich spüren. Die Ausprägung eines solchen Gespürs braucht freilich etwas Übung. Wenn ein Gedanke nur hier oben (zeigt über ihren Kopf) herumschwirrt, dann lasse ich ihn vorüberziehen wie eine Wolke. Ist ein Gedanke dagegen wirklich körperlich wahrnehmbar, dann beinhaltet er zumeist eine über die Sinne bestätigte Information für mich. Der Körper signalisiert dir ganz klar, wenn ein Gedanke eine hohe Qualität hat. Dann spielt es auch keine Rolle, ob es sich dabei um einen traurigen Gedanken handelt. Meist wollen wir unsere Beziehungen ja nur als etwas vollkommen Positives erleben, aber manchmal bekommen wir eben auch diese frustrierenden Botschaften über unseren Körper vermittelt. Ich glaube, letztlich kann uns unser Körper wunderbar dabei helfen, uns in dieser sich ständig ändernden Welt der Gedankenströme zurechtzufinden. Wenn sich Gedanken verhärten, empfinde ich die tatsächlich körperliche Asana-Praxis als besonders hilfreich und wertvoll, weil sie Blockaden lösen kann. Ich bin davon überzeugt, dass wir Schwierigkeiten bekommen, sobald wir zulassen, dass sich unser Denken vom Fühlen löst.

Du hast dir Yoga mit Hilfe eines Buches beigebracht, als du 14 Jahre alt warst. Damals hatte der Yoga-Boom noch nicht mal ansatzweise begonnen. Glaubst du, dass Yoga-Anfänger heute von dem riesigen Markt überwältigt sein könnten, der sich in der Zwischenzeit entwickelt hat?
Wenn man seine erste Mango auf einer Mango-Plantage isst, kann das auch ein wunderbares Erlebnis sein … Vielleicht hat man als Anfänger nicht das Gefühl dafür, wie besonders es ist, dass ausgerechnet man selbst den Zugang zu diesen Lehren gefunden hat. Der einzige Haken könnte womöglich sein, dass man Yoga zunächst tatsächlich als eine Art Rummel erlebt, anstatt wertzuschätzen, was man durch Yoga empfangen kann. Aber ich denke, dass die erste Begegnung mit Yoga für jeden eine Art magische Erfahrung ist und sich jeder daran erinnert wie an den ersten Kuss. Meine Hoffnung ist, dass jeder den Stil findet, der wirklich für ihn gedacht ist.

Was ist aus deiner Sicht das Wichtigste, das du deinen Schülern mit auf den Weg gibst?
Ein Prana-Flow-Kurs verändert sich ständig, je nach Jahreszeit, je nach Wochentag. Wir haben beispielsweise 30 verschiedene Arten des Sonnengrußes. Auch die Art, wie wir das „Aum“ zu Beginn der Klasse chanten, verändert sich ständig. Deswegen bleibt für mich das Ende der Stunde immer gleich. Da führe ich meine Schüler immer wieder zurück zum Berühren ihres Herzens und ihres Bauches. Es öffnet sich ihnen ein Raum, in dem sie dem Guru in ihrem Herzen lauschen können. Anschließend bitte ich sie, den Vinyasa ihres Lebens zu erschaffen und etwas aus der Praxis der Stunde mit in ihren Alltag zu nehmen. Durch dieses Ritual wird Vinyasa Yoga zu einem beständigen Teil der Reise. Mir geht es weniger darum, was meine Schüler von mir hören und erfahren, sondern vielmehr darum, dass sie in ihr eigenes Inneres hineinhorchen. Darin sehe ich meinen eigentlichen Auftrag, das ist mein Dienst an meinen Schülern.

Die Begründerin des Prana Flow Yogastils lebt in Kalifornien, reist für Workshops um die Welt und gibt unter anderem auf DVDs Unterricht.

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