Von der Kommune in den Ashram

Für den Dokumentarfilm „Good Luck Finding Yourself“, reisten die 1968er-Ikonen Jutta Winkelmann (†23.02.17) und Rainer Langhans nach Indien. Aus einer Extremsituation ihres Lebens entwickelte sich eine spirituelle Suche. 2014 haben wir die beiden zu einem exklusiven Interview getroffen. 

Eine Gruppe älterer Herrschaften reist nach Indien, besucht Sehenswürdigkeiten und Pilgerstätten, ist gesundheitlich fragil und hat mit dem gruppendynamischen Prozess zu kämpfen. Eine ganz normale touristische Erscheinung, würde es sich bei den Protagonisten des Dokumentarfilms „Good Luck Finding Yourself“ nicht um ehemalige Revolutionäre handeln: Jutta Winkelmann, Brigitte Streubel, Christa Ritter und allen voran Rainer Langhans sind legendäre Vertreter einer Idee, die im kollektiven Verständnis mit einer einzigen Jahreszahl beschrieben wird: 1968.

Im Zentrum steht Jutta Winkelmann, die mit ihrer Schwester Gisela Getty für den freiheitlichen Aufbruch und exzessiven Lebensstil dieser Zeit steht. Als „Sirenen der 68er-Revolte“ bezeichnete der „Spiegel“ die aufrührerische Version der Kessler-Zwillinge. Zu den Berühmtheiten, mit denen die Schwestern Kontakt hatten, gehörten Bob Dylan, Leonard Cohen, Patti Smith, Mick Jagger, Dennis Hopper und der Milliardärssohn John Paul Getty III, den Gisela heiratete und dessen Leben von Drogensucht und einer spektakulären, bis heute ungeklärten Entführung überschattet wurde. Sex, Drugs & Rock’n’Roll bestimmten Jutta Winkelmanns Leben, bis sie in den 1970er-Jahren Rainer Langhans begegnete und in München Gründungsmitglied der heute als „Harem“ geläufigen experimentellen Lebensgemeinschaft wurde.
Anlass für ihren im Film dokumentierten Aufbruch nach Indien ist ihre schwere Krebserkrankung, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten lautet die Diagnose „unheilbar“. Mit dieser Krankheit geht Winkelmann gnadenlos um: „Krebs ist Ich-Schwäche, Selbstverleugnung, Autoritätshörigkeit, nicht sein eigenes Leben zu leben und dadurch ständige Überlastung“, schreibt sie auf ihrem Blog. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ – diesem Revoluzzer-Slogan gibt Jutta Winkelmann im Film ihres Sohnes Severin Winzenburg eine spirituelle Note.
Beim Treffen in einem Münchner Café dann die Begegnung mit einer vor Lebenskraft sprühenden Persönlichkeit und die Erleichterung: Es geht ihr gut! Unmittelbar nach der Reise hat sie einen Lehrer aus Indien gefunden, mit dem sie fortführen kann, was die Reise auslöste.

YOGA JOURNAL: Jutta, in „Good Luck Finding Yourself“ sprechen Sie mit Rainer Langhans einmal über Autorität. Im Rahmen der 1968er-Bewegung haben Sie diese radikal abgelehnt, der Film begleitet Sie jedoch auf der Suche nach einem spirituellen Meister.
Jutta Winkelmann: Ich suchte nach natürlicher Autorität, deren reine Form man sofort spürt. Für mich kommt sie nicht von jemandem, der dir sagt, was du tun musst, sondern beispielsweise von einem Freund, der Hinweise gibt, es dem anderen aber überlässt, was er nehmen will. Die Variante „du sollst und du musst“, die uns so sehr in unseren deutschen Knochen steckt, konnte unsere Generation nie akzeptieren. „Question authority!“ hat mein alter Freund Timothy Leary gesagt. Und eine gute Autorität lässt sich diese Fragen auch stellen.

Was hat die Reise nach Indien rückblickend bei Ihnen ausgelöst?
Es war eine intensive Reise nach Innen. Natürlich habe ich auch im Außen alles abgegrast – in Ashrams meditiert, in Varanasi Verbrennungszeremonien erlebt, im Ganges gebadet. Ich bin einen Weg des Wissens gegangen, auf dem ich mich fragte: Wer bin ich wirklich? Bin ich diese Jutta, die in Indien herumrennt, oder gibt es da etwas Göttliches in mir, die absolute, reine Seele? Das Wissen darüber, das auf einem solchen Weg allmählich entstehen kann, muss nicht auf einen Lehrer projiziert sein, sondern ist in dir.

Warum Indien?
Auf Sinnsuche durch Indien – was für ein Klischee eigentlich! Als Rainer und mein Sohn Severin mit ihrer Filmidee kamen, spürte ich gleich, dass dieses gleichzeitig schönste und schrecklichste Land für mich der richtige Ort ist, ausgehend vom nahenden Ende meines Lebens ein neues zu beginnen. Also habe ich mich entschlossen, ganz laut aufzuschreien, alles niederzuschreiben, mich filmen zu lassen und den Menschen zu sagen: Das mit dem Sterben ist nicht so einfach. Schaut es euch ganz intensiv an!

Das Gegenteil eines stillen, in sich gekehrten Rückzugs.
Und das Gegenteil von heilig. Ich musste erst ganz ans Ende kommen und viel Wut spüren, was man ja auch im Film sieht. Das Ego macht sich immer zu schnell etwas vor. Aber während ein Teil in die Luft geht, kann der andere es beobachten. Den sehenden Teil zu verstärken, sehe ich als wichtigen Teil des Prozesses. Ich merke nun bereits ein bisschen, dass meine Identifikation mit dem Körper abnimmt, oder vielmehr die Gedanken, die diese Identifikation schaffen. Es gibt da eine wichtigere Instanz.

Es ist Ihnen ein Anliegen, Ihre Erkrankung und die Suche nach Heilung öffentlich zu machen.
Mein Leben war immer sehr öffentlich, das lag im Geist unserer außergewöhnlichen Zeit. Mit meiner Zwillingsschwester Gisela Getty habe ich ein sehr abenteuerliches Leben geführt und viele Welten gesehen. Es geht ja auch weiter, aber auf inneren Pfaden. Als ich vor 40 Jahren Rainer begegnet bin, bekam ich die Möglichkeit, meine Grenzen jenseits der LSD-Erfahrungen zu erweitern. Meine Krankheit ist nun der Durchlauferhitzer zur Erleuchtung. Es ist endgültig Schluss mit Party, aber ich habe ja auch von allem genug gehabt. Was will ich, was kann ich noch wollen? Mit einem Wort: Befreiung.

In ihrer Gemeinschaft mit Rainer sind die intellektuellen, spirituellen und sinnlichen Elemente anders verteilt als in konventionellen Beziehungen. Zudem „teilen“ Sie ihn mit anderen Frauen. Auf welche Weise funktioniert dieses Modell für Sie?
Ein Viertel Rainer reicht mir völlig. Wir sind ja entgegen der Fantasien, die die Bezeichnung „Harem“ immer auslöst, vor allem geistig-seelisch verbunden. Wir sind alle eng befreundet, aber auch eingefleischte Individualisten. Für mich ist derzeit die Verabredung mit dem großen Selbst in mir das Wichtigste. Von allem anderen muss ich mich ohnehin schnellstens lösen.


Die inneren Institutionen

Rainer Langhans InterviewDie Revolution war für ihn immer Privatsache: Vorzeige-Kommunarde Rainer Langhans über den Weg von 1968 nach 2014 – und darüber hinaus.

Mythos 1968: Sie haben die Ereignisse dieser Zeit einmal als „Erleuchtungsschub“ bezeichnet.
Bislang konnte noch niemand wirklich definieren, was rund um das Jahr 1968 wirklich passiert ist. Ich nenne es eine Art globale Ekstase, die jedoch nur sehr unterschiedlich von den Menschen angenommen werden konnte. Teilbereiche wie die Studenten-, Hippie- oder Frauenbewegung, die daraus entstanden sind, empfinde ich lediglich als Ableitungen eines viel größeren Geschehens, das wir mit unserem damaligen Hintergrund einer total unspirituellen Kultur nicht fassen konnten. In unserer Geschichte gab es nichts, was uns beim Umgang mit dieser überwältigenden Erfahrung helfen konnte. Wir haben uns unsere Inspiration aus anderen Sinnsystemen geholt, „ex oriente lux“. Dort haben sich die Dinge weiterentwickelt, bei uns nur der materielle Luxus.

Welche spirituellen Prinzipien haben Sie in der Kommune und später angesprochen?
Spätestens 1968 wussten wir aus der Erfahrung des Nationalsozia­lismus: Unsere bisherige Kultur ist nicht mehr bindend, sondern muss sich von innen heraus ändern. Wir brauchen einen neuen Menschen. „Make love, not war!“ Aber wie macht man das? Die Materialisten dachten natürlich sofort an Sex und haben uns darauf reduziert. Wir, die wir uns zur Kommune 1 verdichteten, dachten an wirkliche Liebe, hatten davon aber keine Ahnung. Unsere Prinzi­pien waren leidenschaftliches Interesse an uns selbst, kein Besitz, alles Teilen und alles Mitteilen. Wir haben unheimlich viel geredet: Über die Revolutionierung des Alltags, des Unbewussten. Wir sind nach innen gegangen, ohne Anleitung oder spirituellen Meister, weil uns zunächst niemand eingefallen ist, der uns hätte helfen können. Wir waren unsere eigenen Meister. Wir sahen aus wie Hippies und wurden von den Leuten auch so genannt, waren aber keinesfalls Aussteiger, die sich in die Natur zurückzogen. Wir waren politisch tätig und wollten den Menschen zeigen, wie sie wirklich sind. Die Kommune war eine Form von Ashram, allerdings nicht im Sinne von Rückzug, sondern aktiv nach außen gewandt. Aus dieser Art von Gemeinschaft entstanden Gedanken, die bis heute weitergehen und auf denen unter anderem die Idee des Internet beruht – ein globales, geistiges Netz, das uns alle vereint.

… das aber durchaus als Macht-, Kontroll- und kapitalistisches Instrument benutzt werden kann.
Das Missverständnis ist immer, dass wir sofort das Paradies haben wollen. Auch wir waren 1968 entsetzt, dass nicht alle gleich vom Kommunengedanken und der Idee des neuen Menschen begeistert waren. Aber natürlich muss alles erst einmal wachsen. Nach dem Supertrip tritt zunächst alles Böse an die Oberfläche, das kennen wir aus der persönlichen Erfahrung von jemandem, der nach innen geht. Zuerst kommst du in die Hölle, die immer da war. Das erkennst du, weil du das andere auch siehst und als Folie nehmen kannst. Diese Dunkelheit kannst du mit innerer Arbeit in Licht verwandeln. Das spielt eine Rolle in der persönlichen Entwicklung, innerhalb von Gruppen bis hin zu ganzen Völkern. Rudi Dutschke wollte den Marsch durch die Institutionen, ich meine die inneren Institutionen. Es braucht Zeit, um mit radikal Neuem umgehen zu lernen.

In „Good Luck Finding Yourself“ begleiten Sie Jutta Winkelmann, die aufgrund ihrer Krankheit durch die Hölle geht und dadurch einen neuen Weg für ihr Leben sucht. Beschleunigt sich der Weg nach innen, wenn der Körper Amok läuft?
Was man zunächst als Hölle empfindet, ist ein geschärfter Blick auf die Realität. Ich verstehe Juttas Krebs als Liebeswelle, die sie extrem stark überschwemmt und ihr aufträgt, die Aufmerksamkeit auf den Körper zu reduzieren und den Geist zu erfahren. Natürlich ist das mehr als schwer. Mir war von Anfang an klar, dass wir nicht nett ins spirituelle Paradies rollen, sondern uns anspruchsvollen gruppendynamischen Prozessen stellen würden. Indien ist innen.

„Ich möchte im Alter nicht jung bleiben, sondern jung werden“, lautet ein Zitat von Ihnen. Verjüngt der spirituelle Weg?
Ich finde, dass ich immer jünger werde. Vorher war ich alt und böse. Jetzt geht es mir besser. Ich werde immer glücklicher.


Rainer Langhans InterviewAufrührer, Gesellschaftskritiker, Kommunarde, Veganer, „Harems“-Hüter, „Dschungelcamp“-Bewohner: Als öffentliche Person hat Rainer Langhans viele Gesichter. Seit Jahrzehnten ist ihm allerdings der innere Weg am wichtigsten. 1972 erlebte er durch den indischen Meister Kirpal Singh die Initiation in Surat Shabd Yoga. Seither widmet sich Langhans intensiv der Meditation und der Theorie der Spiritualität. Der Dokumentarfilm „Good Luck Finding Yourself“ von Severin Winzenburg lief 2014 in den Kinos.

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