Interview mit Wolfgang Niedecken

Er selbst praktiziert es nicht, und doch ist Yoga Teil seines Alltags – denn seine Frau Tina kann einfach nicht ohne. Die kölsche Musiklegende Wolfgang Niedecken über Shavasana, Katholizismus und sein neues Album „Reinrassije Strooßekööter“, das seiner Familie gewidmet ist.

„Loslassen fällt mir schwer“


Oh, wir kennen uns, oder?

Ja – vor drei, vier Jahren habe ich mit dir ein Interview für das Veggie Journal geführt, das es leider nicht mehr gibt.

Ich erinnere mich, das war ein schönes Interview.

Am Ende sprachen wir damals über ein kleines Holzbänkchen, das dir ein junger afrikanischer Schreiner geschnitzt hatte, um sich für deine Hilfe zu bedanken. (Anm. d. Red. : Wolfgang Niedecken unterstützt Projekte, die ehemaligen Kindersoldaten und jugendlichen Zwangsprostituierten neue Chancen geben, z. B. „Rebound“ im Kongo;)

Zebra, genau (lächelt). So wurde er genannt. Das Bänkchen gibt’s natürlich immer noch, es steht bei uns daheim im Yogaraum meiner Frau. Sie ist ausgebildete Iyengar-Lehrer-
in und gibt auch manchmal bei uns daheim Stunden.

Aber dich hat sie mit ihrer Yogabegeisterung noch nicht anstecken können?

Ach, ich sage immer: Ich bin sehr gut in Shavasana (lacht). Wobei das zwar als Witz funktioniert, aber nicht so ganz stimmt, denn loslassen fällt mir schwer. Darum ist Meditieren auch nicht wirklich was für mich.

Oder …

Ich ahne, was du sagen willst: oder eben gerade. Das denken sich wahrscheinlich jetzt viele, die das lesen. Auch sonst bin ich nicht so gut im Innehalten, mein Terminkalender ist meistens ziemlich eng getaktet, ich sollte da wohl besser mal ein paar Puffer einbauen. Dieses Jahr ist es fast noch schlimmer als 2016, weil ich damals bei allem gesagt habe: „Nach der Tour kann ich das machen.“ Und da hat sich dann einiges angesammelt.

Klingt durchaus, als könnte ein bisschen Meditation nicht schaden.

Na, vielleicht versuche ich es eines Tages ja tatsächlich noch mal. Immerhin bin ich Yoga gegenüber grundsätzlich mittlerweile deutlich aufgeschlossener als früher. Da habe ich meine Frau schon mal ein bisschen veräppelt, von wegen Esoterik. Aber der geht es richtig schlecht, wenn sie mal nicht regelmäßig Yoga übt, das habe ich früher nicht verstanden. Dachte immer: Ach Gott, was soll’s, dann lässt du es halt mal ausfallen …

Wie kam dann dein Sinneswandel?

Durch verschiedene Eindrücke. Einmal, bei einer Marokko-Reise, saß ich so auf einem Flachdach, habe ihr zugesehen und gemerkt, wie sportlich das Ganze auch sein kann. Das hat mich schon mal beeindruckt. Und so ging es dann eben nach und nach weiter, man lernt ja nie aus.

Na, dann besteht ja noch Hoffnung, dass du es doch mal versuchst. Aber zurück zum Thema „Nicht loslassen können“: Beziehst du das auch auf Gegenstände? In deinem aktuellen Album „Reinrassije Strooßekööter“ kommen einige vor, etwa ein Chippendale-Tisch oder der Rama-Karton voller alter Fotos …

Den gibt es tatsächlich. Oh ja, ich bin ein großer Sammler, hebe vieles auf, weil ich denke, dass ich es noch mal brauchen könnte, oder auch, weil ich dran hänge. Allerdings ist das nicht weiter schlimm, denn ich mache ja oft auch Collagen aus den Sachen, die sich da so ansammeln. Freunde bringen mir auch gerne mal was mit, sogar tütenweise, zum Beispiel diese Stanniolkapseln von Weinflaschen, damit kann man ganz schöne Dinge anstellen.

Oh, das kann ich so gut verstehen, ich ticke da ähnlich, habe ein ganz schönes Chaos daheim. Aber kommt deine Familie damit zurecht?

Ach, die kennt mich ja nicht anders (lacht). Und so chao-tisch ist es bei mir auch wieder nicht. Nur viel Zeug eben. Kurz: Die kommt damit klar, ja. Familie funktioniert nur, wenn man sich aufeinander einlässt, füreinander da ist.

Leider gibt es genug Beispiele, in denen das nicht der Fall ist.

Das ist wohl so, ja. Ich habe, was das angeht, Glück, wir halten zusammen.

Auf deinem Album geht es aber nicht nur um die kleine Kernfamilie, sondern auch um Großeltern, Tanten, Onkel, Cousinen – auch Ahnen, die du selbst gar nicht kennengelernt hast …

… mit denen ich mich aber trotzdem verbunden fühle, ja. Etwa meinen Opa, der eine Woche vor meiner Geburt gestorben ist. Wer ihn noch gekannt hat, meine Tanten etwa, die meinen, ich sei ihm sehr ähnlich. Zum Beispiel hätte ich von ihm meine künstlerische Ader geerbt. Er war ja gelernter Kirchenmaler.

Das habe ich gelesen und musste lächeln. Mein Opa war nämlich Bildhauer und hat unter anderem Kirchenfiguren geschnitzt.

Tatsächlich? Der Vater von Heinrich Böll auch. Der ist ja auch aus der Kölner Südstadt und hat wahrscheinlich mit meinem Opa zusammengearbeitet. 

Dann sind wir ja in guter Gesellschaft. Wo wir gerade bei Kirchen sind: Bist du denn gläubig?

Na ja, ich sage mal: Ich bin restkatholisch (lacht). Ich glaube, das trifft auf die meisten Kölner zu. Die christliche Grundhaltung, die sich über Generationen durch meine Familie gezogen hat, die steckt auch in mir, so einfach lässt die sich nicht abschütteln. Warum auch?

So eine Art unsterbliche religiöse Ur-Seele quasi. Glaubst du denn an Wiedergeburt?

Hm … Meine Cousinen sind überzeugt davon, ich sei die Reinkarnation meines Großvaters, und wie gesagt, ich spüre tatsächlich eine Verbindung zu ihm. Wer weiß.

Darum kommt er auf deinem Album auch vor, im Song „Dä letzte Winter em letzte Kreesch”. Ist denn alles auf „Reinrassije Strooßekööter“ wahr, also abzüglich unbewusster Erinnerungsverfremdungen ungefähr so passiert?

Nur zum Teil, denn für so interessant halte ich mein Leben dann auch wieder nicht. Da lasse ich schon mal ein bisschen künstlerische Freiheit zu, vermische Erlebtes mit Erfundenem …

In dem Freundschaftslied „Frankie un er“ etwa …

… da gab es diese Fahrten im Ford Transit tatsächlich. Also, dass ich als Kunststudent spätabends spontan mit ’nem Kumpel nach Holland an die Küste gefahren bin, um dort morgens Kroketten zu frühstücken. Aber diese Zeile mit den zwei Freunden und dem Mädchen, einem Sieger und einem, der’s nicht geschafft hat, die ist Gott sei Dank frei erfunden. Und manches bleibt
natürlich einfach privat. Es ist ein Puzzle aus Erfundenem und Passiertem.

Verstehe. Nun hast du, um dein Album zusammenzustellen, ja viel zurückgeblickt auf dein Leben. Welche Gefühle überwiegen da?

Ganz ehrlich, ich sage immer, wenn es übermorgen vorbei sein sollte, dann hätte ich es trotzdem nicht schlecht getroffen. Vor ein paar Jahren war es ja beinahe schon so weit, mit meinem Schlaganfall. Zum Glück habe ich den überlebt. Aber ich hatte bisher wirklich ein gutes
Leben, dafür bin ich sehr dankbar. Alles was jetzt kommt, ist Bonus.

Aber der darf ruhig noch größer ausfallen, oder?

Klar, von mir aus sehr gerne!

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