Yoga im „Paradies“

Vier Frauen, die auf einem Yoga-Retreat statt der erhofften Entspannung eine höllische Achterbahn der Gefühle erleben: (Fast) alles in ihrem neuen Roman „Paradies“ kennt Amelie Fried aus eigener Erfahrung, wie sie im Interview mit YOGA JOURNAL erzählt.

TEXT: CHRISTINA RAFTERY FOTOS: ANNETTE HORNISCHER

Foto von Amelie Fried
Frau Fried, danke für Ihre Zeit, denn Sie sitzen ja quasi auf gepackten Koffern in Richtung „Paradies“: in diesem Fall ein Schreibworkshop mit Yoga auf Formentera. Wird es hier wie im Roman am Ende eine Leiche geben?

Höchstens eine literarische. Meine Yoga­lehrerin und Freundin Inge Schöps, die mich vor etwa sechs Jahren auf einem ihrer Retreats für Yoga begeistern konn­te, wollte einmal etwas mit Creative Writing anbieten. Und da mein Mann Peter Probst und ich schon länger vorhatten, mal einen Schreibworkshop anzubieten, haben wir die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Der Flow beim Schreiben und Flow beim Yoga haben ja durchaus einen Zusammenhang.

Die Brücke zum Roman „Paradies“, der in einem Yoga-Retreat spielt, liegt nahe: Auch auf Formentera wird die Gruppendynamik sicher besonders sein.

Die Erwartungshaltung an Retreats ist oft immens hoch, ein Erlösungs­gedanke kommt ins Spiel, daher auch der Romantitel. In den Vorstellungsrunden, an denen ich selbst teilgenommen habe, hörte ich oft: „Ich will den Kopf frei be­kommen“ – also offenbar vor dem fliehen, was das Leben und den Alltag ausmacht oder belastet. Dass eine Woche aber reicht, sich zu orientieren und hinterher zu wissen, wie es weitergeht, empfinde ich als illuso­ risch. Es ändert sich ja nicht gleich alles, nur weil ich mal weg bin und Yoga mache.

Wenn Yoga eher nicht beim Sortieren des Alltags hilft: Welche eigenen Erfahrungen haben Sie selbst mit der Praxis gemacht?

Beim Schreiben handelt es sich ja bekanntermaßen um eine sitzende Tätig­keit, da ist ein körperlicher Ausgleich gut. Ich gehe laufen, und auch Yoga hat sich bewährt, um gesund zu bleiben, mich nicht zu verrenken oder zu blockieren. Aber auch der Zustand des Yoga hilft mir, er ist den Momenten beim Schreiben sehr ähnlich, in denen mein Kopf frei ist und die Gedanken kommen und gehen kön­nen. Wenn sich die Geschichte quasi von selbst und von innen heraus erzählt.

Wie verlief dies im Fall von „Paradies“?

Die Idee ist mir tatsächlich auf der Yogamatte gekommen. Auf einem Retreat habe ich versucht, in Shavasana zu kommen. An diesem Tag ist es mir nicht gelungen, weil mir beunruhigen­ de Bilder des Weltgeschehens durch den Kopf gingen. Den Kontrast habe ich als heftig empfunden: In dieser wunderbaren Umgebung auf der Mat­te zu liegen und den Luxus zu haben, mich nur um mich selbst kümmern zu dürfen, während die Menschen an anderer Stelle mit Krieg, Zerstörung, Flucht und Hunger leben müssen.

„Heilsversprechen machen mich misstrauisch.“

Aus diesem Zwiespalt ist die Figur der „Weltverbesserin“ und Eso-Skeptikerin Suse entstanden. Ja, in der Gegenüberstellung mit ande­ren Protagonistinnen, für die vor allem Wellness das Gebot der Stunde ist. Ich finde jedes Extrem ist problema­ tisch: Menschen, die sich nur um das eigene Wohlbefinden kümmern, und auch diejenigen, die nicht mit ihren Kräften haushalten und sich in blindem Aktionismus nach außen verschleudern. Beides ist keine Lösung. Wir brauchen das Bewusstsein, dass wir alle Verant­ wortung dafür tragen, was in der Welt passiert. Es braucht Balance, um gleich­zeitig in seiner Kraft zu sein und davon abgeben zu können.

Vor einigen Jahren sprachen Sie in einer Kolumne von der „Wohlfühldiktatur“, die Sie unter anderem auch im Umfeld des Yoga beobachten. Natürlich üben wir das vielzitierte „Bei sich selbst Ankommen“. Manchmal scheint es sich aber in der Selbstwahrnehmung zu erschöpfen.

Die richtige Balance dafür zu finden, be­schäftigt mich tatsächlich seit langem. Natürlich sind wir selbst der Ausgangs­punkt für alles, aber es gibt sicherlich Menschen, die ununterbrochen um sich selbst kreisen und das eigene Befinden über alles stellen: „Ist mir zu warm, ist mir zu kalt, bin ich wirklich in meiner Mitte …“ Manchmal kann ich es nicht mehr hören und denke: Blick doch mal wieder hinaus in die Welt. Gerade wenn man älter wird und die Zipperlein zu­ nehmen, muss man aufpassen, dass man es damit nicht übertreibt, sondern sich weiter für andere Menschen und die Welt interessiert. Sonst wird man auch als Ge­sprächspartner langweilig.

Die „esoterischste“ der Figuren, Larissa, die stark an Engel glaubt, ist am Ende ein Fall für die Psychiatrie. Das ist auch ein schmaler Grat …

Die Entwicklung dieses Charakters war in der Tat herausfordernd. In ihrem Engelwahn hat sie mich durchaus zur Satire eingeladen und ich merkte, wie ich sie immer mehr überzeichnete und ihrer Figur nicht mehr gerecht wurde, die durchaus Gutes will: Sich selbst, Erfül­ lung und Sinn finden. Das fand ich in sich in Ordnung, meine Übertreibung nicht. Also beschloss ich: Wenn ich sie zu ei­ nem kranken Menschen mache, kann ich ihre Spinnereien zeigen, aber muss sie als Figur nicht so denunzieren.

Insgesamt sind „Paradies“ und seine Figuren sicher für viele, die sich mit Esoterischem beschäftigen, ein einziges Déjà-Vu. Sehr vertraut ist mir auch der Impuls, manches ironisch zu überspitzen. Was ist es an der „Yogaszene“, das dazu so einlädt?

Das habe ich mich auch schon oft gefragt und kann hier nur für mich sprechen. Ich bin immer misstrauisch, wenn es um Heilsversprechen geht. Oder wenn es darum geht, Verantwortung zu delegieren. Ich finde – mit gewissen Einschränkungen – dass allein der Mensch für das, was er tut, Verantwortung trägt, auch für den Zu­stand der Welt . Ereignisse auf Götter, Schicksal, Erdstrahlung und Chakren zu schieben, widerspricht meiner in­neren Haltung der Verantwortlichkeit.

Einen anderen zutreffenden Text haben Sie amüsant mit „Gärtnern ist das neue Yoga“ betitelt. Wird das Selbstverständliche gerne mal überhöht?

Mir scheint, dass man irgendwie aus al­lem eine Religion machen kann. Meine Art ist das nicht.

Welche Romanfigur aus „Paradies“ ist Ihnen am nächsten?

In allen steckt ein Stück von mir. Als Autorin muss ich meine Figuren so lie­ ben, dass auch die Lesenden Bezug zu ihnen finden. Am ehesten würde ich mich jedoch mit der Hauptfigur Petra verglei­chen, der unauffälligsten, normalsten, ei­ner Ehefrau und Mutter, die ein wenig in ihrer Entwicklung blockiert ist. Ein Bier trinken würde ich vielleicht gern mit der Ex­Prostituierten Jenny, aber eigentlich würde ich am liebsten mit der ganzen Gruppe einen Mädelsabend verbringen.

Die Frauen stehen bei Ihnen ohnehin immer im Vordergrund.

Daher haftet meinen Büchern auch das Etikett des „Frauenromans“ an. Mich interessieren Frauen einfach, mit ihnen kann ich mich identifizieren. Natürlich sind es oft die Männer, die bei den Frauen Handlung auslösen, außerdem wichtige Counterparts für meine Heldinnen. Ich könnte jedoch nicht aus der Männer­ perspektive schreiben.

Übt Ihr Mann Yoga?

Nein, wie die meisten Männer ist er sehr unbeweglich, hat zwar 25 Marathonläufe absolviert, macht Bewegungstraining und Physiotherapie, kommt mit seinen Händen jedoch nicht unter die Knie. Die Krähe kann er – im Gegensatz zu mir – allerdings aus dem Stand.

Unbeweglich? Genau dann wäre Yoga ja eine gute Idee…

Ich weiß, habe ich ihm auch empfohlen. Aber eigentlich ist es auch schön, etwas nur für mich zu haben. Man muss ja nicht alles in der Ehe gemeinsam machen. Soll er doch zur Physiotherapie (lacht).

An dieser Stelle herzlichen Glückwunsch zum unfassbaren 60. Geburtstag. Welches Lebensjahrzehnt hat sie rückblickend bisher am meisten geprägt?

Mit 32 und 35 Kinder habe ich unsere Kinder bekommen, die nun aus dem Haus sind. Das war eindeutig die schöns­ te, intensivste und anstrengendste Zeit meines Lebens. Wir waren beide in Voll­ zeit berufstätig, zwar auf selbständiger Basis und oft in gemeinsamen Projekten, dennoch war ich manchmal am Rand meiner Kräfte. Trotzdem habe ich das Gefühl, alle meine Möglichkeiten inten­siv ausgelebt zu haben und empfinde das als großes Glück. Ich habe meine Kinder aufwachsen sehen, dazu eine Karriere erlebt und öffentliche Anerkennung. Mehr kann man nicht verlangen. Auf alles, was mir das Leben geschenkt hat, kann ich mit großer Dankbarkeit zu­ rück blicken.

Kürzlich haben Sie sogar weitere Ausbildungen als Coach und Mediatorin abgeschlossen. Brauchen Sie als Bestseller-Autorin und gefragte Moderatorin ein weiteres Standbein?

Ach, ich lerne einfach so gerne. Die Kinder waren aus dem Haus, die Fern­ sehtätigkeiten wurden weniger, was si­ cher mit meinem Alter zusammenhängt und völlig okay ist. Plötzlich gab es neue Energie, freie Kapazitäten und Lust auf Neues. Erst dachte ich, zu meiner alten Liebe Psychologie zurückzu­ kommen und noch mal zu studieren, aber so viel Theorie brauche ich nicht mehr. An Mediation und Coaching gefällt mir das Praktische. Ich habe mich auf die Beratung von Menschen in exponierten Positionen und ihren Umgang mit der Öffentlichkeit spezialisiert. Da kann ich aus großer Erfahrung schöpfen.

Beruflicher Neustart mit 60: sehr inspirierend!

Entgegen warnender Stimmen bin ich überzeugt, dass es sich lohnt. In bera­ tenden Berufen ist Lebenserfahrung ein großes Plus. Da wird doch nur die Person ernst genommen, die ausstrahlt, dass sie ein Leben hinter sich hat.

Spielt das auch im Yoga eine Rolle?

Da brauche ich nur an meine 88-­jähri­ge Mutter zu denken, die seit ungefähr 70 Jahren Yoga übt. Sie ist fit wie ein Turnschuh, unglaublich gelenkig und macht Übungen, die ich nicht mehr ma­chen kann. Eine lebende Werbung für Yoga! Und weil sie immer geübt hat, fand ich es natürlich immer blöd. Das Vorur­teil hat gehalten, bis zum erwähnten Retreat mit Inge Schöps. Wir scherzen immer, Inge sei Konrad Lorenz und ich das graue Gänsekind, das ihr folgt – sie ist meine Yoga­ Prägung … Ihr Yoga ist extrem im Leben verankert. Das finde ich gut.


YJ-Redakteurin CHRISTINA RAFTERY fand Amelie Fried schon als Moderatorin von „Live aus
dem Alabama“ super. Daher griff sie sofort zu „Paradies“ (Heyne, ca. Euro) und traf staunend auf „Arschengel“, Tantra versus Porno und viel Tiefgründiges. Falls sie sich jemals an einem Roman versuchen möchte, gibt es, das steht für sie fest, vorher ein Coaching bei Amelie Fried.

Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium und einem Dokumentarfilm-Diplom an der Hochschule für Fernsehen und Film München wurde AMELIE FRIED in den 1980er Jahren als Moderatorin von „Live aus dem Alabama“ bekannt. Es folgten die TV-Talks „Live“, „Stern TV“, „3 nach 9“ mit Giovanni di Lorenzo, die Literatursendung „Die Vorleser“, dazu Auszeichnungen mit dem Bambi und dem Grimme-Preis. Mit über vier Millionen verkauften Büchern ist Amelie Fried eine der beliebtesten deutschen Autorinnen sowie eine gefragte Zeitschriften-Kolumnistin. Sie engagiert sich zu Fragen der Erinnerungskultur und Vergangenheitsbewältigung und ist seit 2010 offizielle Patin des Kinderhospiz Bethel. Sie ist mit dem Drehbuchautor Peter Probst verheiratet.

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