Musik als Therapie

Ólafur Arnalds ist kein Mann der großen Show. Mit isländischem Gleichmut und Witz beantwortet er alle Fragen in seinem ersten „yoga-spezifischen“ Interview. Im Verlauf des Gesprächs wird klar: Show hat für ihn nur auf der Bühne etwas zu suchen.

»Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Album mit Abstand das beste ist, das ich bisher gemacht habe«, behauptet der neue Star der Neo-Klassik-Musik von seinem Album „For Now I Am Winter“. Ich muss ihm Recht geben. Es ist eines der besten Alben, die ich in letzter Zeit gehört habe. Fast jedes Stück war bei mir auf „Repeat“ geschaltet – vor allem „Brim“, das wir für unsere CD „Yogi Beats no.5“ ausgewählt haben. Mit viel Tiefgang und Liebe mischt Arnalds die klassische, melancholische Musik mit bewegenden elektronischen Beats. Auf seinen Konzerten wird er dazu von einem großen Orchester begleitet. Abseits der Bühne herrscht dagegen eher Understatement, dort sind seine Töne leise und durchdacht …

Ólafur, wie kamst du auf die Idee, klassische Musik mit elektronischen Beats zu mischen?
Ich habe in einer Hardcore-Band als Drummer gespielt und in Island die deutsche Metal-Band Heaven Shall Burn als Vorband unterstützt. Weil ich ein großer Fan bin, hab ich ihnen dann im Anschluss ein Demotape mit ein paar überdramatischen Progressive-Rock-Songs gegeben, die mit Streich- und Klaviermusik untermalt waren. Ein paar Monate später kamen sie auf mich zu und baten darum, ihnen ein Intro, Outro und Interlude zu komponieren. Heavy Metaler haben gerne dramatische Klassik zum Einstieg, bevor sie dann richtig losröhren (lacht). Weil diese Band sehr bekannt ist, wurden die Leute nach und nach auch auf mich aufmerksam. Ein Label schrieb mich an, ob ich mir vorstellen könne, ein ganzes Album in diesem Stil zu komponieren. Also schrieb ich meine ersten klassischen Stücke und bin seitdem dabei geblieben. Obwohl ich mir davor nie hätte ausmalen können, ständig solche Musik zu schreiben!

Du singst allerdings nicht selbst und hast für dein neues Projekt Sänger Arnor Dan Arnarson engagiert.
Ja, Arnor ist ein befreundeter Sänger der Band Agent Fresco. Wir kennen uns schon lange und ich finde, seine feine, melancholische Stimme vollendet die Stücke. Ich kann übrigens nicht so gut singen (lacht). Außerdem bin ich ja hauptberuflich Komponist und Produzent.

Dein Album „For Now I Am Winter“ wurde diesen Frühling veröffentlicht.
Ich versuchte, mein Label unbedingt davon zu überzeugen, dass das Album noch letzten Winter hätte herauskommen sollen. Dann ist es doch Frühling geworden. Als wir jedoch auf Tour gegangen sind, hat es immer genau an dem Abend geschneit, an dem wir gespielt haben – obwohl das Wetter tagsüber noch relativ heiter war. Und das war in allen Städten so, von London bis Berlin. Die Wettergötter waren gut zu uns. (Anm. d. Red.: Und wie hätte es anders sein können: Mittags saßen wir noch bei strahlendem Sonnenschein im Biergarten. Doch als sich der Tag dem Ende zuneigte, spitzte sich die Wetterlage dramatisch zu – bei Konzertbeginn gewitterte es heftig.)

Den dramatischen Melodien nach zu urteilen, scheint es, als wärst du vom Dunklen, Mystischen und Melancholischen sehr fasziniert. Einer deiner älteren Songs trägt den Titel: „And They Have Escaped The Weight Of Darkness“. Hat dich deine Heimat Island dazu inspiriert?
Nein, eigentlich nicht. Leute, die in Island leben, finden das Land auch nicht unbedingt mystisch und dunkel, weil sie es gar nicht anders kennen. Und die Lieder spiegeln auch nicht meine Seele wider. Ich bin gerne an der Sonne und lache viel. Aber es gibt auch noch diese leidenschaftliche Seite an mir. Wenn ich ein Lied schreibe und es so erhellend oder aufmunternd finde, dass ich dabei lächle, kann ein anderer das Lied als tiefgründig und bedrückend empfinden. Musik wirkt auf jeden anders und ich möchte niemandem vorschreiben, wie er empfinden sollte. Ich hoffe allerdings, dass die Leute bei der Musik wenigstens irgendetwas fühlen.

Du machst seit einem Jahr Yoga. Welcher Weg hat dich dorthin geführt?
Auf Yoga kam ich durch den Sänger meines neuen Albums, Arnor. Er praktiziert schon seit Längerem und hat mich einmal in eine Hot-Yoga-Stunde mitgenommen. Seitdem übe ich begeistert drei Mal die Woche 90 Minuten. Ich habe vor sieben Jahren einen Unfall gehabt und mir die Halswirbelsäule angebrochen. Der konstante Schmerz in Nacken und Rücken hat mich also in diese Richtung geführt. Und ich fühle mich wirklich seit sieben Monaten viel besser und habe nur noch einen kleinen Schmerz im Nacken. Sogar meine Freunde haben mich auf meine verbesserte Haltung angesprochen! Von daher kann ich schon behaupten, Yoga habe mich glücklicher gemacht. Ich bin allerdings nicht zum Yoga gegangen, weil ich mit mir unzufrieden war oder unglücklich, sondern hauptsächlich wegen meines Körpers. Musik ist meine wahre Therapie. Auf Tour praktiziere ich jetzt täglich mit einem befreundeten Violinisten und unterrichte ihn. Auch wenn es nur zehn Minuten täglich sind, hilft es enorm. Die Nächte im Tourbus sind für meinen Rücken nämlich nicht gerade gut …

Wie kommst du mit dem Hype zurecht, den du aufgrund deiner Berühmtheit gerade erfährst?
Das Wichtigste ist für mich, immer wieder zu realisieren, dass das alles nur Show ist. Wie kann ich wissen, ob mich die Leute wirklich mögen? Klar, sie finden meine Musik toll. Ich gebe täglich viele Interviews und bekomme wunderbares Feedback. Dann sitzen die Redakteure vor mir, alle einen Zettel vor sich wie du, auf dem mein Leben steht. Ich finde das irgendwie eigenartig. Wenn wir auf Tour sind, bin ich ständig von Menschen umgeben, die meinem Ego schmeicheln und mir Liebe entgegenbringen. Das kann einem schon mal zu Kopf steigen. Es ist auch schön, durch die Welt zu reisen, aber zuhause komme ich dann wieder an und merke, was wirklich wichtig ist im Leben.

In einem anderen Interview hast du behauptet: „Ich warte nicht erst, bevor mich jemand entdeckt. Ich mache etwas dafür“. Hast du dennoch manchmal das Gefühl, geleitet zu werden? Gibt es etwas, woran du glaubst?
Nein, ich glaube nicht an Schicksal, an Gott oder Ähnliches. Ich glaube an mich und bin eigentlich beinahe ein wenig ein Kontrollfreak. Selbst wenn wir auf Tour sind und alle ihre Aufgaben gut machen, muss ich dennoch immer Anweisungen geben. Man sagt zwar, dass Yoga einen dazu bringt, Dingen seinen Lauf zu lassen, aber eine solche Veränderung habe ich noch nicht bei mir bemerkt. Vielleicht kommt das ja noch (zwinkert).

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