Yoga People: André Borschberg

Yoga im Himmel

André Borschberg umrundete 2016 als erster Pilot die Erde in einem Solarflieger – ohne einen Tropfen Kerosin. Fünf Tage und fünf Nächte flog er allein über den Pazifik. Eine besondere Yogapraxis half ihm dabei, im winzigen Cockpit Hitze, Kälte und Müdigkeit zu meistern – und eine vielleicht lebenswichtige Entscheidung zu treffen.

Wenn André Borschberg von seinem Flug von Japan nach Hawaii erzählt, klingt seine Stimme ruhig, fast andächtig und voller Begeisterung. Man spürt, wie gern er sich an diese extreme Erfahrung erinnert – an eine Geschichte, die spannend klingt wie ein Krimi. Borschberg und der Abenteurer Bertrand Piccard wollen mit ihrer Weltumrundung die Möglichkeiten erneuerbarer Energien aufzeigen und die Entwicklung umweltfreundlicher Technologien vorantreiben. Für den Unternehmer und gelernten Militärpiloten Borschberg geht mit diesem Projekt ein Kindheitstraum in Erfüllung: „Schon als kleiner Junge faszinierte mich die Geschichte der Fliegerei“, erzählt er. „Diese Geschichte selbst weiterzuschreiben und Pionierarbeit zu leisen, ist ein Traum für mich.“ Bereits mit 17 Jahren hatte er seinen Pilotenschein – er flog, bevor er Auto fahren konnte.

Extrem: 5 Tage allein in 8.000 Meter Höhe, maximal 20 Minuten Schlaf am Stück

Abwechselnd waren die beiden schweizer Piloten für die Erdumrundung bereits von Abu Dhabi über Indien, den Himalaja und China geflogen, als die gefährlichste und schwierigste Etappe über den Pazifik anstand. „Ich wollte jede Minute davon genießen, ganz bewusst und voller Achtsamkeit“, sagt der 63-Jährige. Das würde nicht jeder so sehen, der fünf Tage allein in zeitweise 8000 Metern Höhe fliegen soll, eingepfercht in eine winzige, nicht druckbelüftete Kabine, ohne die Möglichkeit einer Zwischenlandung. Borschberg wirkt sympathisch, offen und bodenständig – eher ein Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht. „Ich suche nicht das Risiko, aber ich liebe das Unbekannte, das Entdecken“, sagt er über sich selbst. Tagsüber musste er mit dem Flieger hoch über die Wolkendecke steigen, um so viel Sonnenenergie wie möglich zu tanken. Dort brauchte Borschberg eine Sauerstoffmaske. Nur nachts konnte er tiefer fliegen und ohne Maske atmen. Schlaf? Höchstens 20 Minuten am Stück, dann weckte ihn ein Alarmsystem, damit er die Fluggeräte kontrollieren konnte.

Abenteuerliche Pazifik-Überquerung

Und genau dieses Alarmsystem versagte 9 Stunden nach dem Start des Pazifikflugs. „Wir waren nah am point of no return“, erzählt Borschberg. Noch hätte er nach Japan umkehren können. „Die Entscheidung musste schnell her.“ Ein Expertenteam aus 40 Ingenieuren riet, den Flug abzubrechen. Doch Borschberg am Himmel und sein Kollege Piccard am Boden entschieden, weiterzumachen. „Es war schwer, sich gegen die Expertenmeinung zu stellen. Die Stimmung im Team war emotional sehr aufgeladen. Und doch war meine Entscheidung klar. Das Wetter war gut. Und wir sahen Möglichkeiten, das ausgefallene Alarmsystem zu kompensieren: Ein Anruf sollte mich alle 20 Minuten wecken, ich war ja mit unserer Zentrale in Monaco über Satellit verbunden. Trotzdem war es sehr aufwühlend für mich – vor allem meiner Frau und meinen drei Kindern gegenüber.“

Asanas im Cockpit

Auf solche Situationen hatte sich Borschberg, der seit 20 Jahren Yoga praktiziert, mit seinem indischen Yogalehrer Sanjeev Bhanot vorbereitet. „Mental spielte Yoga auf dem gesamten Flug eine große Rolle. Ich habe gelernt, mein eigener Beobachter zu sein. Das hilft mir, in Stress- und Krisensituationen rationale Entscheidungen zu treffen, anstatt impulsiv zu reagieren.“ Wenn es Borschberg nicht gelang, in den kurzen 20-Minuten-Pausen Schlaf zu finden, meditierte er. Er praktiziert Vipassana-Meditation. Ebenso wichtig war Pranayama: „Während des Fluges startete ich den Tag mit Nadi Shodhana. Zeitweise war es draußen minus 40 Grad kalt, dann habe ich meinen Körper mit Kapalabathi aufgewärmt. Das Ein- und Ausatmen in sieben Stufen half mir, in den kurzen Liegephasen das Nervensystem zu beruhigen”. Wie aber kann man in einem einsitzigen Cockpit Asana praktizieren? „Beim Design des Cockpits bat ich darum, die kleine Fläche hinterm Sitz der Form einer Yogamatte anzupassen. Dort übte ich eine einstündige Asana-Sequenz, die ich mit Sanjeev Bhanot und einer Gruppe von Medizinern für die Herausforderungen des Flugs entwickelt habe”, sagt der Westschweizer.

Yoga üben, um die Umwelt zu verstehen

Borschberg kennt seinen Solarflieger in und auswendig. Doch das Wetter und die Einflüsse, die auf dem offenen Meer und in der Höhe auf den Flieger einwirken, konnte niemand wirklich voraussehen. Deshalb trug er während des Pazifikflugs ständig einen 7 Kilo schweren Notrucksack. „Im Ernstfall hätte ich aus dem Flieger springen müssen. Im Rucksack waren ein winziges Rettungsboot, Schwimmweste und Versorgung für zwei Tage auf dem Pazifik – bis mich hoffentlich ein Schiff eingesammelt hätte.” Borschberg erzählt, wie er im Cockpit so viele Rückbeugen wie möglich übte, um das ständige Gewicht auf dem Rücken auszugleichen. Wie Twists seiner Wirbelsäule gut taten und sein Verdauungssystem in Balance gehalten haben. „Die Zeit im Flieger ist eine innere Reise für mich, bei der mir Yoga hilft, meine Umwelt zu verstehen. Und eine Reise mit der Natur. Du fliegst mit der Sonne, bist Teil der Natur, da entwickelt man eine Menge Respekt vor ihr.“ Ein faszinierender Gedanke: Im Einklang mit der Sonne könnte er theoretisch ewig weiterfliegen. „In der Luft fühle ich mich eigentlich wohler als am Boden“, gibt Borschberg zu. Da ist es nur stimmig, dass seine Frau manchmal bemerkt, er würde ein bisschen aussehen wie ein Vogel.

Schmerzfrei geflogen – dank Yoga

Kurz nach Sonnenaufgang ist der Solarflieger an einem Julitag des vergangenen Jahres in Hawaii gelandet. „Es war, als sei ich an jedem dieser fünf Tage auf den Mount Everest gestiegen“, vergleicht Borschberg. „Aber ich hatte weder Rücken- noch irgendwelche Gelenkschmerzen. Das verdanke ich Yoga.“ Wegen eines Batterieschadens mussten Flieger und Piloten eine längere Pause einlegen. Jetzt warten die nächsten Herausforderungen, vor allem die Überquerung des Atlantiks mit seinen unvorhersehbaren Winden und Wettern. Wenn die Weltreise im Solarflieger geschafft ist, freut sich Borschberg auf Zeit und Raum für Neues: „Ich träume davon, Platz zu haben für Überraschungen.“ Dass es ihm nicht um den Ruhm geht, glaubt man ihm. Was zählt, ist sein Kindheitstraum.


Text: Melanie Oetting / Foto: Rezo, Solarimpulse.com

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