Fest und freudvoll in Sitzhaltungen: 3 Sitze, 3 Variationen

Sitzhaltungen sind das Kernstück der Yogapraxis, egal ob beim Üben von Asanas, bei Atemübungen oder in der Meditation. Die Münchner Yogalehrerin Jessina O’Connell zeigt dir anhand dreier klassischer Sitze und jeweils drei Variationen, worauf es ankommt – damit du dich mühelos in der Gegenwart verankern und gelöst in die Zukunft blicken kannst.

Text und Sequenz: Jessina O’Connell / Fotos: Christian Boehm / Outfit: OGNX

Sthira bedeutet im Sanskrit “fest”, “stabil”, “beständig”, ist aber auch ein Name für die Pflanze Shalaparni (Wandelklee). Mit ihrer langen Pfeilwurzel steht sie fest und stabil in der Erde und wirkt auch als ayurvedisches Heilmittel stabilisierend: Sie kräftigt und beruhigt und kann so helfen, das Gleichgewicht im Körper wiederherzustellen. Mit diesem inneren Bild wenden wir uns unserer Yogapraxis zu. Auch sie kann die Energien in Körper und Geist ausgleichen, wenn sie fest, stabil und beständig ist. Entsprechend schreibt Patanjali in Yoga Sutra 2.46, Asanas sollten sthira sein, gleichzeitig aber auch sukha: freudvoll, glücklich, leicht. Wie beim Wandelklee kann nämlich aus Kraft und Stabilität eine Leichtigkeit erblühen und uns Freude machen.

In seinem Ursprung bezeichnet das Wort Asana allerdings nicht alle Körperhaltungen, es bezieht sich zunächst auf as, den Sitz. Gemeint war damit vermutlich ursprünglich die Meditation. Aber auch hier gilt ja: Durch eine feste Verwurzelung können wir ganz in der Gegenwart ankommen und davon ausgehend nach unten (unsere Vergangenheit) und oben (unsere Zukunft) wachsen. Der stabile, aufrechte Sitz dient dazu, in der Gegenwart Festigkeit und Sicherheit zu erfahren, die Möglichkeit zu haben die Vergangenheit loszulassen und sich für die Zukunft zu öffnen. Wie der Wandelklee fest mit seinen Wurzeln im Boden verankert ist und aus der Erde Kraft für das Wachsen in den Himmel schöpft, so schöpfen auch wir aus einem stabilen Sitz Kraft für Neues. Die Wurzeln unseres Sitzes halten uns aufrecht, damit wir mühelos nach oben streben und unsere Gedanken loslassen können. Wie die Blüten des Klees lassen auch wir die Wolken unserer Gedanken am blauen Himmel des Geistes vorüberziehen und wachsen weiter in Richtung Licht.

Die folgende Sequenz kann als Vorbereitung für die Meditation dienen, sie ist aber auch eine eigene Praxis, die dir hilft, dich zu erden und die Aufmerksamkeit von außen nach innen zu richten. Wir üben drei klassische Sitzhaltungen in jeweils drei Variationen: Die aufrechte Variante verbindet uns mit dem Hier und Jetzt. In der Vorwärtsbeuge dehnen wir die Körperrückseite, die für alles steht, was hinter uns liegt. So gehen wir in den Kontakt mit unserer eigenen Vergangenheit und machen uns zugleich von ihr frei. Umgekehrt bereiten uns die Rückbeugen auf die Zukunft vor und auf alles, was wir nicht kontrollieren können, denn wir weiten unsere Vorderseite und unser Herz. So üben wir uns in Akzeptanz und Vertrauen für alles was ist, war und sein wird.

Bevor du beginnst:

Um dich aufzuwärmen und den Kreislauf in Gang zu bringen, kannst du mehrere Runden Sonnengrüße üben.

Die Fotos zeigen die klassischen Positionen, aber wie immer im Yoga geht es nie darum,
dieses äußere Bild zu erfüllen: Nähere dich jeder Haltung behutsam und arbeite gegebenenfalls wie im Text beschrieben mit Hilfsmitteln.

Lass dir Zeit, um die unterschiedlichen Wirkungen der Varianten wahrzunehmen, jeweils etwa 15 Atemzüge.

Die Praxis ist intensiv, vor allem für Hüften, Leisten und Knie. Übe daher mit sanfter Achtsamkeit für deinen Atem und mit Respekt vor deinen Grenzen. Höre auf deinen Körper und vermeide vor allem jegliche Spannung.

Baddha Konasana – gebundene Winkelhaltung

1. Aufrechter Sitz

Strecke die Beine im Sitzen zunächst nach vorne in Dandasana (Stabhaltung) aus. Dann legst du die Fußsohlen aneinander, ziehst sie zu dir und lässt die Knie nach außen sinken. Schiebe die Fersen gegeneinander und aktiviere sanft die Beine. Die Hände greifen zu den Füßen, die Brust hebt sich und die Wirbelsäule streckt sich lang. Du atmest ruhig und bewusst. Dabei spürst du den Boden unter dir, deine Erdung, deinen Halt und nimmst wahr, wie du dich aus dieser stabilen Basis kraftvoll nach oben aufrichten kannst.

Mögliche Hilfen: Setze dich erhöht auf ein Kissen oder die Kante von einer oder mehreren gefalteten Decken. / Ziehe die Füße nicht so dicht heran. / Lege Blöcke unter deine Oberschenkel.

2. Vorwärtsbeuge

Sitzhaltungen-Jessina-O'Connell

Sitze aufrecht und aktiviere die Beine, indem du die Fußsohlen noch mal deutlich gegeneinander schiebst. Wenn möglich, ziehst du deine Fußsohlen nach oben, als würdest du ein Buch öffnen. Entspanne deine Schultern, bevor du dich mit langer Körpervorderseite nach vorne beugst. Versuche dabei, dich nicht in die Haltung zu schieben, stattdessen atmest du ruhig und bewusst, entspannst die Leisten und lässt dich nach und nach tiefer sinken. Spüre die Dehnung und die Atembewegungen an deiner Rückseite, nicht nur in der Mitte des Rückens, sondern auch am Kreuzbein und an deinem Hinterkopf. Jede Einatmung hilft dir, die Länge im Oberkörper zu betonen, jede Ausatmung erlaubt dir, dich sinken zu lassen.

Mögliche Hilfen: Schiebe die Füße weiter von dir weg. / Stelle einen Hocker vor dich und lege die Arme und eventuell die Stirn darauf ab.

3. Rückbeuge

Jessina-O'Connell: Sitzhaltungen

Ausgehend von der aufgerichteten Variante legst du dich achtsam zurück. Dabei stützt du dich zunächst auf die Hände, dann auf die Unterarme, bis dein Rücken flach und entspannt am Boden liegt. Die Arme kannst du längs des Körpers oder leicht diagonal am Boden ausbreiten. Spüre den Kontakt zum Boden, wie er dich trägt und hält. Dann nimm Verbindung auf zu deiner Körpervorderseite und zu ihrem Kontakt mit dem Raum, der dich umgibt. Atme ruhig und entspannt.

Mögliche Hilfen: Lege eine gerollte Decke oder ein Bolster unter die Wirbelsäule. / Eine gefaltete Decke oder ein flaches Kissen stützt deinen Kopf, falls dein Nacken zu stark nach hinten abknickt.

Vajrasana – Fersensitz

1. Aufrechter Sitz

Sitzhaltung: Vajrasana

Setze dich aus dem Kniestand kommend mit möglichst geschlossenen Knien und Füßen auf deine Fersen. Dabei zeigen deine Füße gerade nach hinten. Halte Beine und Füße dabei aktiv und richte dich von dieser Basis aus lang nach oben auf. Lege deine Hände entspannt in den Schoß und nimm den Druck aus deinen Schultern und dem Gesicht. Spüre deinen Atem und die Wirkung dieser Haltung – stabile Wurzeln unten, Freude und Leichtigkeit in der Entfaltung nach oben.

Mögliche Hilfen: Lege eine gefaltete Decke auf deine Matte. / Öffne Knie und Füße etwas weiter, achte dabei darauf, dass sie weiterhin parallel sind. / Setze dich erhöht auf einen oder zwei Blöcke oder lege eine gefaltete oder gerollte Decke in deine Kniekehlen. / Um Druck von den Fußrücken zu nehmen, schiebst du je ein Paar zusammengerollte Socken unter die Fußgelenke.

2. Vorwärtsbeuge

Sitzhaltungen:Jessina-O'Connell

Lege aus dem aufrechten Fersensitz die Stirn am Boden ab. Die Hände kannst du in einer entspannten Haltung vor dir auf dem Boden platzieren oder du greifst wie auf dem Foto hinter dem Rücken mit einer Hand das andere Handgelenk und legst dort Zeigefinger und Daumen in Chin-Mudra aneinander. Nimm dir auch in dieser Vorwärtsbeuge Zeit für die Dehnung und für ein vertieftes Bewusstsein von Atmung und Körperrückseite. Lass los.

Mögliche Hilfen: Lass deine Stirn auf einer gefalteten Decke oder einem Kissen ankommen. / Wenn sich der Po in der Haltung von den Fersen löst, legst du eine Decke dazwischen.

3. Rückbeuge

Sitzhaltungen-Jessina-O'Connell

Um dich Schritt für Schritt in die Rückbeuge zu begeben, stellst du zunächst im aufrechten Sitz die Fingerspitzen knapp hinter deinen Hüften auf, hebst die Brust und lehnst dich behutsam nach hinten. Vielleicht genügt das schon. Ansonsten versetzt du die Hände noch ein Stück zurück und setzt sie flach auf. Lasse die Großzehballen dabei möglichst dicht aneinander.

Bei der nächsten möglichen Position stützt du dich auf den Unterarmen auf. Wenn sich dabei die Knie etwas öffnen, ist das in Ordnung, versuche aber, die Körpervorderseite aktiv zu halten und ziehe dazu deine Rippenbögen nach innen. Hebe behutsam dein Kinn und bewege den Kopf nach hinten, wenn möglich, legst du deinen Scheitel am Boden ab.

Nur wenn du ganz entspannt in dieser intensiven Rückbeuge bleiben kannst, führst du zum Schluss noch die Arme über dem Kopf nach hinten und legst die Hände aneinander. Das ist aber nicht das Ziel! In allen Stadien kannst du spüren, worum es in dieser Haltung geht: um die Dehnung deiner Vorderseite und die vertrauensvolle Weite des Herzraums.

Mögliche Hilfen: Stütze die Hände hinter dem Körper auf Blöcken auf. (Vorsicht: Falls du eine Decke untergelegt hast, könnten die Blöcke rutschen, also die Decke besser einschlagen.)

Padmasana – Lotussitz

1. Aufrechter Sitz

Sitzhaltung: Padmasana

Padmasana solltest du nur üben, wenn deine Hüftgelenke entsprechend flexibel sind, die Verletzungsgefahr für die Knie ist ansonsten hoch. Ziehe dazu zunächst aus dem aufrechten Langsitz (Dandasana) den linken Fuß auf deinen rechten Oberschenkel und lege ihn möglichst dicht an die Leiste. Nur wenn das linke Knie dabei mühelos und ohne Spannungsgefühl den Boden berührt, ziehst du auch das rechte Fußgelenk zu dir heran und legst den Fuß nahe der Leiste auf den linken Oberschenkel. Alternativ bleibst du beim halben Lotossitz, bei dem der rechte Fuß unter den linken Oberschenkel gezogen wird. Halte Füße, Beine und Sitzfläche aktiv und richte dich aus dieser Kraft heraus locker auf. Spüre deinen Atem.

Mögliche Hilfen: Der volle und der halbe Lotossitz wird durch Hilfsmittel nicht wesentlich erleichtert. Alternativ übst du Siddhasana, den Sitz mit überkreuzten Füßen. Hier kannst du die Sitzfläche mit Decke oder Kissen erhöhen und die Knie mit Blöcken abstützen.

2. Vorwärtsbeuge

Sitzhaltung-Jessina O'Connell

Wenn du entspannt im halben oder vollen Lotos sitzt, beginnst du, dich Schritt für Schritt an die Vorwärtsbeuge anzunähern. Dazu bewegst du dich aus den Hüftgelenken nach vorn und stützt dich auf beiden Händen auf. Halte deine Körpervorderseite lang, atme dabei aber auch bewusst und ruhig in deine Rückseite. Lass dir Zeit, Atemzug für Atemzug kannst du ein bisschen mehr loslassen. Zu schnell zu weit führt dich nicht zu einer tieferen Erfahrung der Haltung sondern nur weg davon. Solltest du irgendwann die Stirn am Boden ablegen, kannst du die Hände wie beim Fersensitz hinter dem Rücken verschränken.

Mögliche Hilfen: Lass die Stirn auf einem Hocker oder einem Bolster ankommen.

3. Rückbeuge

Jessina-O'Connell: Sitzhaltungen

Ausgehend vom aufrechten halben oder oder vollen Lotos stützt du deine Hände knapp hinter den Hüften auf, hebst die Brust und lehnst dich behutsam zurück. Setze einen Unterarm nach dem anderen auf den Boden und lege dich von dort aus langsam auf den Rücken. Greife die großen Zehen beider Füße mit den ersten beiden Fingern und Daumen und lass innerlich los. Atme ruhig und entspannt, spüre den Boden unter dir und den Raum über dir.

Mögliche Hilfen: Wie bei Baddha Konasana kannst du eine gerollte Decke oder ein Bolster unter deinen Rücken legen. / Möglicherweise liegt dein Nacken entspannter, wenn du ein flaches Kissen unter den Kopf legst.

Anschließend übst du den Lotos beziehungsweise Siddhasana noch einmal in allen drei Varianten mit anders herum gekreuzten Beinen.

Abschluss

Entlaste deine Beine, indem du sie in Rückenlage locker nach oben streckst und bewegst. Anschließend kannst du die Praxis mit einer Meditation weiterführen oder dich zur Endentspannung in Shavasana legen.


Jessina O’Connell hat schon als Kind mit ihrer Mutter Yoga geübt. Entsprechend leicht fiel ihr der Weg als Jivamukti- und Yin-Yogalehrerin. Vom “Küken” unter den Münchner Lehrerinnen wurde sie rasch zu einer der gefragtesten Lehrerinnen im “Studio am Engel“. Mehr Eindrücke von Jessina bekommst du auf ihrem Instagram-Account @jessinaoconnell.

Tipp: Jessina hat uns vor einiger Zeit eine schöne “Yin & Yang” Yoga-Playlist erstellt. Hör’ gleich mal rein!


Daran anschließend eignet sich unsere Yogapraxis zum Wurzeln und Wachsen:

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Das Neueste

Liebe wachsen lassen – eine Meditation und ein Übungsweg

Wenn es ein Gefühl gibt, nach dem wir uns alle sehnen, dann ist das die Liebe. Aber was meinen...

Allzu achtsam? – Wenn Meditation die Angst verstärkt

Ein Leben in Achtsamkeit reduziert erwiesenermaßen Stress und fördert ruhige Gelassenheit – nur leider nicht immer. Neuere Studien zeigen:...

Wie Yoga dich für deine Intuition öffnet

Einer der Gründe, warum eine regelmäßige eigene Asana-Praxis so wichtig ist: Hier hast du Raum, dich deiner inneren Führung...

Zurück zu mir: Wie 2025 mein Jahr der Selbstfürsorge wird

Ich glaube, ich habe mich ein wenig vernachlässigt. Die letzten Jahre war ich vor allem eines: Mama. Und so...

Finde dein inneres Leuchten mit der “Chakra Magic”-Ausbildung

"Chakrenarbeit bringt Farbe ins Leben – im wahrsten Sinne des Wortes", sagen Kim Kassandra und Mark Schmid von Yogimobil®,...

Inspiration für dein ayurvedisches Frühstück: Grießbrei & süßer Linsen-Dhal

„Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettler“: Aus meiner ganz persönlichen Ayurveda-Sicht enthält dieser Satz gleich drei Irrtümer auf einmal. Denn…

Pflichtlektüre

Liebe wachsen lassen – eine Meditation und ein Übungsweg

Wenn es ein Gefühl gibt, nach dem wir uns alle sehnen, dann ist das die Liebe. Aber was meinen...

Das könnte dir auch gefallen
Unsere Tipps