Die wirkliche Glückssuche

Eine junge Frau verlässt die Familie und geht ins Kloster: Gott weiß, warum. Die ratlose Schwester überprüft daraufhin ihren eigenen Lebensentwurf. Im Interview spricht die auf komplexe Charaktere spezialisierte Schauspielerin Maria Schrader über ihren neuen Kinofilm „Schwestern“, klare Entscheidungen und persönliche Freiheit.

In „Schwestern“ beschließt die junge Kati, einem katholischen Orden beizutreten. Ihre Familie steht fassungslos vor dieser Entscheidung. Wieso kann ein solches Bekenntnis heute eine so verstörende Wirkung haben?
Aus früheren Zeiten assoziiert man mit „ins Kloster gehen“ nicht unbedingt einen freiwilligen Schritt. Besonders bei jungen Frauen konnte es sich auch um ein Wegsperren, eine Strafe handeln. Und wenn Frauen aus freiem Entschluss ins Kloster gingen, war das ebenfalls fragwürdig, denn es gab für Alleinstehende kaum Alternativen, die eigene Existenz zu sichern, gesellschaftliche Akzeptanz zu behalten oder wiederherzustellen. Deswegen ist das mit der reinen Jesusliebe so eine Sache … Durch das historische Wissen über diese Zwangslagen reagieren wir auch heute noch skeptisch auf so eine Entscheidung.

Hauptmotiv in „Schwestern“ ist die Freiheit, sein Leben nach eigenen Wünschen zu gestalten.
Ja, genau. Besonders für Frauen ist diese Freiheit eine sehr junge Errungenschaft und auch noch nicht vollständig erreicht. Gerade deswegen will man nicht glauben, dass sich heutzutage eine Frau tatsächlich aus freiem Willen zu einem so diktierten und reglementierten Leben im Kloster entscheidet, das für viele Frauen über Jahrhunderte auch ein Gefängnis war. Da kann ich die Verstörung der Familienmitglieder schon verstehen.

Katis Geschwister, darunter die von Ihnen verkörperte Saskia, sind von den Variationsmöglichkeiten ihrer eigenen Lebensentwürfe überfordert. Eine Besonderheit dieser Generation?
Es ist interessant, dass Sie diese Frage stellen. Bedeutet das, dass auch Sie sich eigentlich nicht vorstellen können, dass Katis Entscheidung wirklich eine frei und positiv getroffene ist, sondern eher mit Überforderung, Desorientierung oder irgendeiner Art der Kapitulation zu tun hat?

Nein, Katis Klarheit steht lediglich in starkem Kontrast zu den biografischen Warteschleifen, in denen sich ihre Geschwister befinden.
Interessanter ist doch der andere Fall, für den sich auch der Film entscheidet: die wirkliche Glückssuche. Die übt auf mich eigentlich immer eine Faszination aus, selbst wenn sie ins Kloster führt.

Bei ihrer Figur Saskia ist zunächst auch Neid auf die Schwester zu spüren, Neid auf deren absolute Konsequenz. Oder ist es Neid auf die emotionale Sicherheit, die mit der Entscheidung einher geht?
Wenn die Mutter Saskia vorwirft, nichts aus ihren Talenten zu machen, schreit Saskia ihr ins Gesicht „Die Freiheit ist schwierig!“ Und das stimmt ja auch. Saskia ist an einem kritischen Punkt ihres Lebens angekommen. Sie wollte Künstlerin werden, davon leben können und hat es sowohl mit Musik wie mit Malerei probiert. Jetzt gibt sie ihren Wohnsitz in London auf und stellt sich grundsätzliche Fragen. Es nagen Selbstzweifel und Existenzängste an ihr und das macht ihr zu schaffen. Freiheit kann so schön wie furchterregend sein.

„Schwestern“ ist auch ein Generationenfilm, in dem besonders die Frauen glänzen. Mutter Usch kann Saskias Unentschlossenheit, aber auch Katis Abkehr von der Welt nicht verstehen. Was ist aus der Freiheit geworden, die unsere Mütter für uns erkämpft haben?
Ich kann die Empörung der Mutter verstehen, denn sie wuchs in vollkommen anderen gesellschaftlichen Verhältnissen auf als ihre Töchter. Ihre Generation hat den Weg für weibliche Karrieren geebnet, sie selbst hat sich diese Möglichkeit erkämpft und jetzt ist diese Errungenschaft in ihren Augen auch für ihre Töchter eine Verpflichtung. Aber wirkliche Freiheit kann nicht an Zwänge geknüpft sein, auch nicht an emotionale. Man nutzt sie oder nicht, oder auf eine Art, die Usch nicht versteht, weil für sie das persönliche Glück an gesellschaftlichen Erfolg geknüpft ist. Aber damit muss sie klar kommen.

In einer Kultur, die alles relativiert und viele Möglichkeiten offen hält, kommt uns eine Verbindlichkeit, wie Kati sie an den Tag legt, seltsam vor. Kann in diesem klaren Bekenntnis aber auch eine persönliche Freiheit liegen?
Ich glaube, dass wir uns alle nach Verbindlichkeit oder Verbindungen und Konsistenz sehnen. Kulturelle Vielfalt und verschiedene Möglichkeiten heißt ja nicht „alles egal“. Gerade weil das Große und Ganze immer weniger Sinn zu machen scheint und Religion zumindest in unseren Regionen an Bedeutung verliert, möchten wir doch zumindest über uns selbst Aufschluss erhalten, unsere Möglichkeiten nutzen, Glück empfinden, Beziehungen eingehen. Was uns an Katis Verbindlichkeit nur seltsam vorkommt, ist doch eher, dass sie die ausgerechnet mit der Katholischen Kirche eingehen will.

Als Alternativen erleben wir neues Interesse an Lebensphilosophien, die ihren Ursprung außerhalb unseres Kulturkreises haben. Haben Sie selbst Erfahrung mit Yoga und Meditation?
Ja, ich kenne die Zazen Meditation, die auch in „RobbyKallePaul“ vorkommt, einem meiner ersten Filme. Ich war einige Male in einem Berliner Dojo und habe auch zu Hause „gesessen“. Allerdings ist Meditation nie ein regelmäßiger Bestandteil meines Lebens geworden. Mit Yoga ist es anders. Kraft- und Dehnungstraining gehört zu meinem Beruf, am Theater noch mehr als beim Film. Manche Vorstellungen kann man gar nicht unaufgewärmt spielen, dazu ist es eine zu körperliche Arbeit. Ich gebe aber zu, eher „Fragmente“ von Yoga für meine Zwecke zu benutzen. Um die spirituelle Dimension zu erleben, müsste ich mich auf viel eingehendere Weise damit beschäftigen.

Wie lautet Ihre persönliche Definition von „Berufung“? Würden Sie diesen Begriff für sich in Anspruch nehmen?
Nein, ich misstraue diesem Begriff und benutze ihn nicht. Besonders Künstler, die ihn auf sich selbst anwenden, sind mir ehrlich gesagt suspekt. Die „höhere Kraft, die einem keine Wahl lässt, der besondere Gongschlag, dem man, hat man ihn ein Mal vernommen, einfach folgen muss“, das ist ein so oft verwendeter und irgendwie kitschiger Mythos, der in Wirklichkeit wahrscheinlich auf kaum jemanden zutrifft – gut, vielleicht auf Gläubige, da kenn ich mich nicht aus. Aber normalerweise fällen wir Entscheidungen und koppeln sie an Erlebnisse. Wir entscheiden auch, an welche Erlebnisse wir uns erinnern und an welche nicht. Oft konstruieren wir damit eine Zwangsläufigkeit der eigenen Biographie, die es vielleicht gar nicht gibt. Mir jedenfalls gefällt der Gedanke besser, dass alles auch anders hätte kommen können oder immer noch kommen kann, dass wir uns täglich von Neuem entscheiden können.

Woher kommt Ihrer Ansicht nach starke Motivation? Was bildet den Hintergrund für starke Entscheidungen?
Mit der inneren Notwendigkeit bin ich so skeptisch wie mit der Berufung. Meistens argumentiert man mit seinem Gefühl: „Ich kann nicht anders, ich muss das tun!“ Gefühle sind aber nicht absolut oder nur positiv. Aus Angst oder Wut können ebenfalls große Entscheidungen getroffen werden, aber wahrscheinlich nicht die besten. Je größer das Gefühl, desto größer die Motivation etwas zu tun – oder auch die geistige Anstrengung, es lieber zu lassen. Und Vernunft, Verantwortung oder Altruismus sind natürlich auch Motivationen. Wahrscheinlich ist das beste Rezept eine ausgewogene Mischung aus inhaltlicher Überzeugung und positivem Gefühl. Und die Menschen, die einen ungewöhnlich starken inneren Motor für etwas besitzen, haben vielleicht einfach mehr von beidem als andere, eine Art größeren Resonanzraum.

Auch die Entscheidung für einen künstlerischen Weg ist mit unbedingter Hingabe verbunden und kann auf Unverständnis stoßen. Haben Sie zu Beginn Ihres Werdegangs entsprechende Erfahrungen gemacht, zum Beispiel, als Sie vorzeitig die Schule verließen?
Ich bin das Kind zweier Künstler. Was nach außen vielleicht wie eine radikale und mutige Entscheidung aussah – dass ich das Abitur abgebrochen habe, um Schauspielerin zu werden – führte innerhalb meiner Familie nicht zu einem Konflikt. Als ich dann aber auch die Schauspielschule abgebrochen habe, wurde es schon schwieriger … Aber ja, man trifft auch auf Unverständnis, wenn zwischen Arbeit und Leben keine klaren Grenzen existieren, keine festen Zeiten, keine gedankliche Trennung. Es gibt Leute, die sich nicht vorstellen können, wie schön das sein kann.

Trotz seiner Leichtigkeit und seines versöhnlichen Endes bleibt im Film ein Rest Unerklärliches und Kati eine geheimnisvolle Figur. Saskia dagegen wirkt trotz (oder gerade wegen!) ihrer Lebenszweifel als Frau aus Fleisch und Blut. Ein Aspekt der Rolle, die Ihnen letztlich voll entsprach?
Kati lebt bereits in dieser anderen Welt, in Ritualen, hinter undurchsichtigen labyrinthischen Mauern, noch dazu hat sie ein Schweigegelübde abgelegt. Saskia hingegen redet und redet, sie versucht, die Festung zu erklimmen, Kontakt zu ihrer Schwester zu bekommen, das macht sie zu einer lebendigen Figur. Ja, ihr liegt das Herz sozusagen auf der Zunge.

Maria Schrader , die Tochter eines Malers und einer Bildhauerin, hat mit bedeutenden Regisseuren wie Doris Dörrie („Keiner liebt mich“), Dani Levy („Stille Nacht“, „Meschugge“) und Margarethe von Trotta („Rosenstraße“) zusammengearbeitet. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Preise, unter anderem brachte ihr „Aimée und Jaguar“ den Silbernen Bären der Berlinale ein. 2007 führte sie bei der Verfilmung von Zeruya Shalevs Roman „Liebesleben“ erstmals Regie. Ihr neuer Film „Schwestern“ (Regie: Anne Wild) läuft derzeit im Kino.

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