Die Yogapraxis ist zwar keine Schachpartie, aber auch auf der Matte bedingt jede Bewegung, jede Haltung, die nächste und übernächste. Es lohnt sich also, strategisch vorzugehen. In dieser Kolumne von Jelena Lieberberg erleben wir, wie sich Kraft und Mobilität der Hüftmuskulatur gegenseitig bedingen.
Text: Jelena Lieberberg / Foto: Theresa Bartmann
Eine starke Hüftmuskulatur ermöglicht kraftvolle Bewegungen, die das Becken stabilisieren: Flexion und Extension, Abduktion und Adduktion, Innen- und Außenrotation. Diese Stabilität ist die Grundlage für alle Bewegungen von Beinen und Füßen, man spricht dabei von der “kinetischen Kette der unteren Extremitäten”. Umgekehrt können instabile Hüften Funktionsstörungen in dieser kinetischen Kette hervorrufen und zu Verletzungen führen. Ein Beispiel: Ein schwacher mittlerer Gesäßmuskel (Gluteus medius) kann die stabilisierende Rolle des Oberschenkel-Bindenspanners (Tensor fasciae latae oder TFL) erhöhen. Das führt zu einer Verspannung des Iliotibialen Bandes (IT-Band), was wiederum bei Beinbewegungen die Zuglinie der Quadrizeps-Muskelgruppe verändern kann. Die Folge ist ein erhöhtes Verletzungsrisiko für das vordere Kreuzband.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig nicht nur partielle Kraft ist, sondern vielmehr ein Gleichgewicht zwischen den Kräften verschiedener Muskeln. Dies gilt ganz besonders zwischen Muskeln, die im Team arbeiten: Agonisten- und Antagonisten. Genauso wichtig ist eine gute Balance zwischen Kraft und Mobilität. In dieser Kolumne schauen wir uns eine Variation der Halben Taube an, die genau das im Sinn hat: Statt wie in der klassischen Form nur passiv zu dehnen, erzeugen wir auch Halt. Es geht also nicht um Dehnung, sondern um Kraft in der Dehnung. Dabei arbeiten wir zugleich an der Außenrotation des vorderen Beins und der Innenrotation des hinteren Beins und kräftigen den großen und den mittleren Gesäßmuskel. Das Geniale daran: Diese Variante ist sogar Menschen mit wenig Mobilität der Hüften zugänglich, die in der halben Taube Schmerzen im Knie empfinden und es sogar verletzen können.

Macht das Spaß?
Meistens steht an dieser Stelle: “Auf jeden Fall!”. Hier bin ich ehrlich: Gezielt den Po zu dehnen und zu kräftigen, macht den meisten erst mal nicht sonderlich viel Spaß. Die nötige Disziplin für regelmäßige Wiederholungen wird aber belohnt: Nach dem Üben fühlt sich deine Becken- und Hüftregion wunderbar geschmeidig an.
Muss ich das können?
Natürlich nicht, aber diese Variante ist deutlich einfacher als die klassische Halbe Taube, es lohnt sich also, damit zu experimentieren und den Bewegungsradius deiner Hüften allmählich zu verbessern.
Was muss ich dafür tun?
Übe (anders als auf den Fotos) auf einer Matte oder einem Teppich, um deine Knie und Füße zu schonen. Wärme dich zuvor mit Hüftkreisen und Ausfallschritten auf und beobachte in der Haltung deine Gewichtsverteilung: Es ist sehr leicht zu schummeln und sich zur Seite zu lehnen. Versuche also, mit den Schultern über den Hüften zu bleiben.
Step by step
1. Beginne im Sitzen und richte zunächst dein rechtes Bein rechtwinklig vor dir aus und dann das linke ebenfalls rechtwinklig zur Seite. Ziehe dabei die Zehen beider Füße aktiv Richtung Knie, um die Knie zu schützen. (Wegen der vielen 90-Grad-Winkel wird diese Haltung auch 90/90 genannt.)
2. Um nun an der aktiven Außenrotation zu arbeiten, verschränkst du die Finger hinter dem Kopf und lehnst dich mit gestrecktem Rücken in Richtung rechtes Knie (siehe Bild oben). Nach 10–20 Sekunden kehrst du einatmend zurück zur Ausgangsposition, entspannst etwas und wiederholst die Übung dann noch 2 Mal.)
3. Um anschließend an der aktiven Innenrotation zu arbeiten, stützt du dich auf den Fingerspitzen ab und hebst aus der Kraft des Gesäßes deinen hinteren Fuß, ohne ihn dabei zum Po zu ziehen (siehe Bild unten). Halte auch hier 10–20 Sekunden lang, pausiere und wiederhole 2 weitere Male.
4. Löse die Sitzhaltung behutsam auf und übe dieselbe Abfolge nun auch auf der anderen Seite.

JELENA LIEBERBERG ist Osteopathin und Yogacoach in Berlin. Ihre eBooks, Retreats und Workshops findest du unter kickassyoga.com oder besuche Jelena auf Insta @kickassyoga.
Hast du auch Jelenas letzte Kolumne schon gesehen? Hier geht’s zu einem kniffligen Balance-Akt: