Um wirklich umweltfreundlich zu sein, muss man viel mehr tun als nur Müll zu recyclen oder im Bioladen Fair-Trade-Produkte zu kaufen. Tatsächlich bedeutet dies, sich mit der lebendigen Qualität aller Dinge um uns herum zu verbinden. Schließlich leben wir in der Umwelt und sie um uns. Man muss sich fragen: Wo endet unser Körper eigentlich und wo beginnt die Natur? Wo endet unser Atem und wo beginnt die Luft? Wo ist die Grenze zwischen dem Wasser im eigenen Körper und jenem in Meeren und Flüssen?
Die Menschen vieler spirituellen Kulturen haben einen Sinn dafür, dass alle Dinge eine lebendige Essenz besitzen, dass sie mehr als nur Objekte sind. Wir im Westen genießen bei einem Spaziergang zwar die schönen Bäume, betrachten sie jedoch mehr von außen, als mit ihnen in Verbindung zu treten. Man kann seinen Blick für die Natur jedoch weiten: In meiner Kindheit lernte ich einen Sanskrit-Vers, den ich gleich nach dem Aufwachen sagte: „Oh Ozean-umhüllte, Berg-gekrönte göttliche Mutter, oh weibliche Gemahlin des himmlischen Gottes. Bitte vergib mir, dass ich mit meinen Füßen auf dir laufe.“
Beispiele für einen ehrfürchtigen Umgang mit der Natur findet man noch heute in Indien. Wer hier ein Haus bauen will, zeigt zunächst seine Ehrerbietung an die Erde, indem er ein spezielles Ritual vollführt. Erst nach der Bhumi Puja, bei der er um die Vergebung und Erlaubnis bittet, das Haus auf dem Rücken der Erde bauen zu dürfen, darf er den ersten Spatenstich tun. Bei einem anderen Brauch in den ländlichen Gegenden Indiens beten die Menschen zu den Baumgeistern und wünschen sich etwas von ihnen. Als Zeichen binden sie einen Faden um den Stamm. Ist der Wunsch erfüllt, kehrt der Bittsteller zurück, nimmt das Band ab und bringt eine Opfergabe dar. Auch in anderen Kulturkreisen ist die Verbindung zur Natur noch immer selbstverständlich.
Früher war die Idee, dass alle Dinge einen lebendigen Geist haben, auch in Europa eine anerkannte und praktizierte Weisheit. Ob Griechen, Römer, Kelten oder Druiden – alle fühlten es. Dann passierte etwas, dass den Sinn der Menschen dafür beinahe abschaltete. Dank dem modernen Luxus der Industrialisierung verhält sich die westliche Gesellschaft inzwischen sehr ablehnend gegenüber animistischen Glaubensvorstellungen, in denen man die Natur verehrt. Als in diesen Kulturen nur der Fluss statt das Göttliche in ihm verehrt würde! Dabei sehen sie das Göttliche in allem – im Fluss, in den Bäumen, in den Bergen. Sie sind eins mit der Natur.
Wir hören viel über nachhaltige Entwicklung, um die Natur zu erhalten. Ich glaube nicht daran. Woran ich aber glaube, ist Ehrerbietung. Ich glaube daran, die Natur nicht nur zu erhalten, weil man sie sich jetzt oder in einem Jahrhundert zunutze machen will. Nicht aufgrund geplanter Ausbeutung, sondern um ihres eigenen Wertes willen. Weil sie heilig ist. Wer durch den Wald spaziert und sich gegen einen Baum lehnt, nimmt an der allumfassenden Energie des Lebens teil. Diesen Baum zu fällen, hieße also, einen Teil von uns selbst abzuschneiden. Wenn man die Einheit aller Lebewesen spüren kann, wird deutlich spübar: Wir alle sind göttlich. Man kann es erfahren, wenn man am inneren Fluss sitzt, den stillen Wassern des eigenen Atems. Durch Meditation wird der Geist beginnen, sich zuerst selbst zu sehen – und schließlich den universellen Geist.
Der Autor und Meditationslehrer Swami Veda Bharati war Schüler von Swami Rama im Himalaya und leitet heute zwei Ashrams im nordindischen Rishikesh.