Stürmische Zeiten und erhitzte Gemüter – es ist gar nicht so einfach, da klar zu denken und das Ruder des eigenen Geistes wieder so fest in die Hand zu nehmen, dass man sein Lebensschiff sicher steuern kann. Das ist nicht erst heute so, schon die Bhagavad Gita berichtet davon …
Text: Rina Deshpande / Titelbild: Dziana Hasanbekava via Pexels
In den letzten Jahren haben Extremwetterereignisse an Zahl und Intensität deutlich zugenommen. In Florida, wo ich lebe, sind es besonders Hurrikane, also tropische Wirbelstürme, die uns mit Windgeschwindigkeiten bis zu 300 Stundenkilometern in Atem halten. Sie entstehen, wenn es an der Meeresoberfläche sehr viel wärmer ist als in höheren Luftschichten. Riesige Wassermassen verdunsten dann, sie steigen in die Atmosphäre auf und der dabei entstehende Unterdruck setzt enorme Energien frei in Form von Wolkenwirbeln, heftigen Winden und sintflutartigen Regenfällen. Dass solche zerstörerischen Stürme immer heftiger toben und immer mehr Schaden anrichten, hat vor allem damit zu tun, dass die Ozeane sich wegen des Klimawandels erwärmen. Eigentlich ist klar: Wir müssen den Anstieg der Meerestemperaturen in den Griff bekommen.

Was das mit Yogaphilosophie zu tun hat?
Ganz einfach: Yoga bedeutet in seinem Wortkern “Verbundenheit”. Wir erinnern uns also immer wieder daran, dass wir nicht losgelöst von den Wirkweisen der Natur existieren. Im Gegenteil: Wir können von ihnen lernen und dabei unser Leben verbessern – selbst wenn es sich um so bedrohliche Dinge wie einen Hurrikan handelt. Er entsteht wie gesagt durch ansteigende Temperaturen – und in vielen Sprachen gibt es Redensarten, die auch heftige Gefühle und Konflikte mit steigenden Temperaturen in Verbindung bringen: “Hitzkopf” zum Beispiel, “kochen vor Wut” oder “erhitzte Gemüter”. Und obwohl Wut durchaus eine transformierende, produktive Kraft sein kann, wirkt sie oft sehr zerstörerisch: Wenn wir es dauerhaft zulassen, dass sie sich unkontrolliert entlädt und wie ein Sturm durch unseren Körper fegt, kann sie uns körperlich krank machen.
“Umso wichtiger ist es, dass wir unsere emotionale Temperatur regulieren lernen und uns darin üben, Gefühle zu erkennen, einzuordnen und gut mit ihnen umzugehen.”
Wir schaden uns aber nicht nur selbst, wir können, wenn es in einer sprichwörtlich “hitzigen Auseinandersetzung” “heiß hergeht” auch Beziehungen und Gemeinschaften beschädigen – erst recht, wenn Hass und Wut nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Gesellschaftsgruppen erfassen. Im extremsten Fall führt das zu globalen Zerwürfnissen und zu einem Ausmaß an Zerstörung, das nur sehr langsam oder gar nicht mehr vollständig heilt.
Gerade weil diese Tendenzen im Moment so allgegenwärtig zu sein scheinen, ist es umso wichtiger, dass wir auch unsere emotionale Temperatur regulieren lernen und uns darin üben, Gefühle zu erkennen, einzuordnen und gut mit ihnen umzugehen. Nur so können wir vermeiden, von einem Wirbelsturm der Wut und Zerstörung hinweggefegt zu werden.
Inspiration zum Umgang mit Emotionen findest du hier: “Umgang mit Emotionen: Shivas Tanz”

Was lehrt uns die Bhagavad Gita?
Wie du vielleicht weißt, ist dieser klassische indische Weisheitstext eingebettet in eine alte indische Heldenerzählung. Ihr Schauplatz ist ein Schlachtfeld, das auf der Ebene der philosophischen Lehre symbolisch für unsere alltäglichen Kämpfe steht: Es geht um die Herausforderungen unseres irdischen Lebens. Der Held, von dem erzählt wird, Arjuna, ist nicht nur verpflichtet, als Krieger in die kommende Schlacht zu ziehen, er soll in diesem Fall sogar gegen seine eigenen Verwandten antreten.
Damit spiegelt die Bhagavad Gita, der “Gesang Gottes”, etwas wider, das wir alle wohl kennen: Meistens sind wir nicht mit Fremden oder vermeintlichen Gegnern im Konflikt, sondern ganz besonders – und oftmals viel schmerzhafter – mit Menschen, die wir kennen und lieben. Der Gott Krishna erklärt Arjuna, dass wir sehr gut aufpassen müssen, wie wir in solchen Situationen reagieren und handeln.
Die Sinne zügeln
Nach Überzeugung der Bhagavad Gita ist es vor allem die im irdischen Dasein natürlich angelegte Prägung des Menschen durch seine Sinneswahrnehmungen, die uns hier im Weg steht. Wenn wir völlig davon eingenommen sind, was unsere Sinne als wünschenswert oder wahr erscheinen lassen, als angenehm oder unangenehm, dann verlieren wir den Fokus: Aus Wünschen entstehen immer stärkere Begierden und werden die nicht erfüllt, dann sind Zorn und destruktives Handeln die Folge. Krishna betont, wie wichtig es ist, aus diesem Teufelskreis auszusteigen, die Anhaftung an die Sinne in den Griff zu bekommen und auch in konfliktreichen Situationen Mittel und Wege zu finden, die Ruhe zu bewahren und sich nicht aus der Bahn werfen zu lassen. In Kapitel 2, Vers 67 heißt es:
indriyanam hi charatam
yan mano ’nuvidhiyate
tadasya harati prajnam
vayur navam ivambhasi
Das kann man in etwa so übersetzen: “So wie starke Winde ein Boot auf dem Wasser mit sich fortreißen, so kann der Geist die Intelligenz hinwegfegen, wenn er sich von den Sinneseindrücken vereinnahmen lässt.” Unser Ziel sollte es demnach sein, sich von der Flut unserer Wünsche und Abneigungen nicht stören zu lassen und den Geist klar und ruhig zu halten. In Vers 70 des 2. Kapitels findet die Bhagavad Gita auch dafür ein schönes Bild: Man werde, heißt es da, wie ein Meer, dass trotz des Zustroms verschiedener Flüsse (nämlich der Sinneseindrücke und ihrer emotionalen Prägung) ruhig bleibt wie ein Ozean in seiner Tiefe.
Hier findest du einige alltagstaugliche Tipps von Rina Deshpande zur Beruhigung der Sinne.

Ruhe im Sturm finden
Dabei räumt der Text durchaus ein, dass Stürme und hitzige Konflikte manchmal unausweichlich sind. Manche sind viel schlimmer als andere, vielleicht sogar lebensbedrohlich, auch das finde ich wichtig zu betonen. Es geht also nicht darum, auszuweichen oder hitzige Gefühle wegzudrücken. Vielmehr sollte man sich, besonders im Alltag, immer wieder selbst überprüfen und fragen: Wie kann ich damit umgehen, dass meine Gefühle, Denkmuster oder Lebensumstände gerade immer angespannter oder symbolisch gesprochen “erhitzter” werden? Wie kann ich in dieser konkreten Situation auf produktive Weise nach vorne schauen und handeln? Die alten Weisheitslehren erinnern uns daran, diese Situation zunächst einmal zu akzeptieren, uns zu beruhigen und zentrieren und erst dann zu handeln.
Genau wie das Wetter unterliegen auch unsere Gefühle und Beziehungen natürlichen Zyklen. Vielleicht dauert es einige Zeit und du musst dich immer wieder auf deine Praxis zurück besinnen, bis du tief in dir eine Ruhe wahrnehmen kannst, die dich in den Stürmen, die an der Oberfläche gerade toben, stabilisiert. Auch wenn der Wind dir eine Zeit lang heftig ins Gesicht bläst: Wenn du lernst, das Ruder in die Hand zu nehmen und dein Ziel im Blick behältst, bist du unterwegs zu einem tieferen Verständnis.
Hier findest du 3 wirkungsvolle Übungen für einen ruhigen Geist:

Rina Deshpande lehrt, erforscht und schreibt seit über 15 Jahren über Yoga und Achtsamkeit. Ihre Artikel erschienen bei uns, Huffington Post, Self Magazine und vielen anderen. Außerdem hat sie 2022 ein Kinderbuch verfasst und selbst illustriert: “Yoga Nidra Lullaby“. Erfahre mehr über Rina und besuche sie auf ihrer Website oder ihrem Instagram-Account @rinathepoet


