Crocodile Yogi

Lance Schulers Erscheinung ist das, was im Englischen als „weathered“ bezeichnet wird: Von den Wettern der Natur und des Lebens gezeichnet. Als Basis seines Unterrichts bezeichnet der Gründer von Inspya (Integrated South Pacific Yoga Academy) Yoga die Rückkehr zur (menschlichen) Natur. Im YOGA JOURNAL-Interview spricht der gebürtige Neuseeländer über Autorität, yogische Freiheit und Angsttherapie mit Schlangen.
 

Interview: Christina Raftery

YOGA JOURNAL: Lance, du bist auf einer Farm in Neuseeland aufgewachsen und lebst nahe des australischen Yoga-Mekkas Byron Bay. Deine Workshops und Teacher Trainings unterrichtest du aber weltweit. Ist modernes Yoga vor allem eine interkulturelle Praxis?

Lance Schuler: Für mich hat die Yoga-Praxis viel mit konstanter Veränderung zu tun. Ja,   ich unterrichte gerne innerhalb anderer Kulturkreise. In den letzten Jahren habe ich viel in China gearbeitet. Dort setzte ich den Fokus auf physische Stärke: Chinesische Schüler haben einen einfachen Zugang zu den Haltungen, finden aber oft wenig Stabilität. In Deutschland hingegen wird viel auf Kraft gesetzt, aber die Struktur der Positionen fällt schwer. In gewisser Weise müssen in China die Frauen ihre männliche Seite entdecken, in Deutschland die Männer ihre weibliche.

Welche Herausforderungen birgt das für dich als Lehrer? 

Überall unterschiedliche. Man muss die individuellen Stärken und Schwächen der jeweiligen Kultur erspüren, was hochinteressant ist. Aus dieser Individualität entsteht Unterstützung für eine viel größere Gemeinschaft.

Laut populärer Auffassung haben die Menschen in Asien einen ausgeprägten Zugang zur Spiritualität…

… was ich nicht unterschreiben kann. Besonders die Generation zwischen 20 und 35 hat das westliche Prinzip als Vorbild: Ununterbrochen kommunizieren, essen – all diese Projektionen nach außen. Vor allem in China merke ich, dass Yoga gebraucht wird, dass die Menschen eine spirituelle Praxis belebend finden. Oft halte ich meine Asana-Klassen dort in totaler Stille ab. Für viele ist Yoga die erste Gelegenheit iüberhaupt, in ihr Gefühlsleben einzutauchen – eine Gelegenheit, sich selbst zu entdecken. Meistens gefällt es ihnen sehr: Sie sind es nicht gewohnt, ihre Gedanken zu befreien. Das ist im Rahmen des chinesischen Staatssystems radikal.

Brauchen sie auf diesem Weg dennoch Autorität?

Ja, es ist Teil ihrer Kultur.

Im November unterrichtest du wieder in Deutschland. Wie sieht es hier aus?

Deutschland scheint immer noch stark von seiner Vergangenheit geprägt zu sein. Wir müssen allerdings in der Gegenwart leben und für die Zukunft Sorge tragen. Ob historisch oder individuell bedingt: Viele Menschen scheinen Schuld mit sich zu tragen, die sich in ihrem Körper und in den Asanas manifestiert. Ich versuche sie anzuleiten, sich gegen diese Haltung zu entscheiden. Wir müssen diese Dinge loswerden. Das sehe ich als zentralen Aspekt meines Unterrichts: Ich weiß alles über Physiologie, die integrale Struktur und Natur der Asanas. Aber letztlich nutze ich das Wissen als Werkzeug, um in die tieferen Schichten des Lebens einzusteigen. Ich wünsche mir eine Kultur der Liebe. Bhakti. Das ist meine Aufgabe und meine eigene Praxis.

Wie vermittelst du das in deinen Teacher Trainings?

Als Lehrer sollte man vor allem aufmerksam und präsent sein. Und seinen Plan aus dem Fenster werfen, sobald die Einheit einer Gruppe auseinanderfällt. Yoga-Unterricht ist eine kontinuierliche gegenseitige Übersetzung.

Welche Qualitäten braucht ein überzeugender Yoga-Lehrer?

Ein gewisses Maß an Charisma, das normalerweise aus der eigenen Erfahrung mit Yoga kommt. Formal braucht man eine fundierte Ausbildung, aber das Wichtigste ist Zeit auf der Matte und dem Meditationskissen. Man sollte geradezu rituell praktizieren und Yoga vor allem leben. Dann sieht man nicht nur den größeren, sondern vor allem den echten Zusammenhang, die wahre Natur der Dinge.

Auch seine eigene Natur? 

Ein weiteres Geschenk auf dem Weg, der sich nicht nur in Sprüngen auf der Yogamatte äußert. Bei der Entdeckung der eigenen Natur hilft die äußere Natur! Deshalb lebe ich auf 15 Hektar Land im australischen Busch, gemeinsam mit Schlangen und Alligatoren. Kürzlich habe ich eine kleine Kobra mit in meine Philosophie-Klasse genommen. Auf dem Weg hat sie sich aus meinem Griff gelöst und mir eine Art Peitschenschlag versetzt.

Oh.

Es war nur eine kleine, ungiftige Kobra. Ich habe sie trotzdem in den Unterricht mitgenommen, auf meinem inzwischen blutigen Arm. Für viele Teilnehmer war es die erste Gelegenheit in ihrem Leben, ein solches Tier zu berühren.

Zu berühren?

Eine großartige Möglichkeit, Ängste zu lösen. Das ist meine Methode: Situationen kontrollierter Angst zu schaffen und die Menschen auf den Kopf zu stellen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Umkehrhaltungen arbeiten mit der gleichen Sorte Angst.

Eine interessante Pädagogik.

Sie kann dazu führen, dass Schüler im Laufe eines Teacher Trainings erkennen, dass sie gar nicht unterrichten wollen. Und regt mich immer wieder dazu an, meine eigene Auffassung des Lehrens zu hinterfragen. Was heißt Unterrichten eigentlich? Für mich eigentlich eher Anleiten, durch ein System führen. Den wahren Lehrer haben wir nämlich in uns. Es ist unser natürlicher Zustand, und ich möchte Schülern helfen, ihn wiederzufinden.

Trotzdem nimmst du als Lehrer oder Ausbilder eine Sonderrolle ein. Wie gehst du mit diesem Privileg um?

Ein wichtiger Teil der menschlichen Natur ist das Ego. Meine Herkunft hilft mir, meines nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Das Leben hat mir einige Rauheiten verpasst: Ich bin mit fünf Brüdern auf einer Farm aufgewachsen, manchmal frage ich mich, wie wir überlebt haben (lacht). Ich habe professionell Judo und Rugby betrieben, führte ein Riverrafting-Unternehmen, surfe und fliege mit dem Drachen. Ich habe gelernt, den Körper als wertvolles Instrument auf dem Weg zum Inneren zu benutzen. Meine erste Yogastunde fand in einer Kirche statt, gemeinsam mit sechs schweren Seniorinnen mit blauen und lila Haarsträhnen. Ihre Praxis war sehr inspirierend.

Deine Inspya-Methode kombiniert die Präzision des Iyengar mit dem Fluss des Vinyasa. 

So hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt. Ich möchte das ganze Feld des Yoga abdecken und einen Weg zu physischer, intellektueller, emotionaler und spiritueller Stabilität unterrichten. Der Flow wiederum weckt die Lethargie des Körpers und verfeinert das zentrale Nervensystem und lässt es autonom arbeiten.

Wie stehst du zu Yoga als weltweitem Trend?  

Ich habe nichts gegen das „weltweit“. Bringen wir es in die Welt, um Heilung zu erreichen! Heilung, keine Erlösung – dazu taugt Yoga nicht. Es ist ebenso Freude wie harte Arbeit, manchmal durchaus Leiden. Wieso auch nicht? Wir sollten die Traditionen nicht vergessen, sonst haben wir irgendwann zahllose Stile beliebigen Disco-Yogas. Letztlich zählt, die Praxis in den Alltag zu bringen. Das Leben ist einfach eine größere Matte.

Crocodile


CrocodileYogi„Alchemie und Ekstase“: Unter diesem viel versprechenden Titel unterrichtet Lance Schuler vom 8. bis 12. November 2010 ein Intensivtraining im Yogaraum Hamburg (www.yogaraum-hamburg.de), wo er im Juni und Juli 2011 ebenfalls eine Yogalehrer-Ausbildung leiten wird. Am 15.11.2010 ist er für eine Masterclass zu Gast bei Cool Yoga Dortmund (www.coolyoga.de).

www.inspyayoga.com

Fotos: Jörg Küster

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