Ist Yoga in der Stadt eigentlich genau so wie Yoga auf dem Land? Oder ist eines gar yogischer als das andere? Unsere Mitarbeiterin Stephanie Schönberger kennt beides – lange lebte sie in München, wo sie auch erstmals mit Yoga in Kontakt kam. Als sie mitten ins Allgäu zog, lernte sie Yoga ganz neu kennen
Kurz vor der Geburt meiner Tochter bin ich von der Stadt aufs Land in ein Dorf gezogen. Ein Dorf-Dorf, aus dem der Bus dreimal am Tag in die eine Richtung und dreimal in die andere fährt. Freitags geht man hier in den Schützenverein, sonntags in den Gottesdienst, die einzige Gastwirtschaft hat im Winter geschlossen, zum Einkaufen muss man in die zehn Kilometer entfernte Kleinstadt fahren. Ideale Vorraussetzungen für pratyahara, den Rückzug der Sinne, svadhyaya, das Selbststudium, und isvarapranidhana, das Gottvertrauen. Eigentlich.
Damals war ich allerdings vor allem am dritten von Patanjalis achtgliedrigem Yoga-Weg interessiert: den Asana. In München, der Stadt, die ich gegen das Dorf tauschte, hatte ich meine ersten Erfahrungen mit den Asana gemacht. Eine Kollegin, die ebenfalls schwanger war, überredete mich, mit ihr zu einem Yoga-Kurs für werdende Mütter zu gehen. Eigentlich wollte ich nicht mit. Das Bild, das ich zu dieser Zeit von Yoga hatte, war nämlich nicht das beste. Madonna machte das und schlimmer noch Sting, dessen Musik bei mir immer Erinnerungen an schlechte Jugendküsse weckt. In meiner Redaktion schrieb man über „coole Yoga-Moves für einen sexy Body“ und machte sich Gedanken über das passende Übungs-Outfit. Yoga war für mich „Sex & The City“ und „Der Teufel trägt Prada“ in einem, Lifestyle aber nicht Lebensweg, oberflächlich und alles andere als tief, Glamour und kein bisschen Einfachheit.
Ich ging trotzdem mit. Natürlich. Und landete in dem schönen Raum einer Hebammenpraxis inmitten von angehenden Müttern, die eine harte Zero-Tolerance-Linie gegenüber dem bösen K wie Kaiserschnitt-Wort fuhren. Egal. Ich verließ die Praxis mit einem Gefühl, das, wie ich einige Jahre später in Patanjalis Yoga Sutra nachlesen sollte, dem Zustand von citta prasadanam entsprach, was manchmal mit „heiterer Gelassenheit“ übersetzt wird. Davon wollte ich mehr. Auch auf dem Land, in dem Dorf. Es wurde schwierig. Als Schwangere besuchte man hier, auch mangels anderer Angebote, den Geburtsvorbereitungskurs. Ein bisschen Arme und Beine bewegen, Atmen üben, blutige Wassergeburtsvideos anschauen. Entspannen ging danach nicht mehr. Natürlich hätte ich mich jetzt in santosa, der Zufriedenheit und Genügsamkeit mit dem, was da ist, üben können. Tat ich aber nicht. Denn ich wollte Yoga-Unterricht, wenigstens nach der Geburt.
Yoga im Pfarrhof
Doch auf dem Land einen oder eine gute(n), geschweige denn überhaupt eine(n) Yoga-LehrerIn zu finden, ist gar nicht so einfach. Eine Bekannte von mir, die in einem verschlafenem Kaff an der bayerisch-österreichischen Grenze lebt und kein Auto hat, übt Asana ausschließlich mit DVDs und Büchern und wundert sich regelmäßig, warum ihr oft so „kotzübel ist“, wenn sie unaufgewärmt in Matsyasana geht. Meine Freundin Katja, die von Berlin in die Nähe von Augsburg gezogen ist, sagt: „In Berlin wurde ich schon sehr verwöhnt, weil ich aus einem großen Angebot auswählen konnte. Hier habe ich nach einem Lehrer gegoogelt und war froh, dass es überhaupt Yogaunterricht in meiner Nähe gab.“ Santosa.
Die Flyer-Kultur, die einen in großen Städten mit attraktiven Angeboten fast erschlägt, ist auf dem Land nicht so verbreitet. Yoga-Lehrende findet man, zumindest in der Region, in der ich gerade lebe, hauptsächlich durch Empfehlung und Hörensagen. Die Lehrer „verstecken“ sich in den Dörfern und Kleinstädten der Umgebung, bieten ihren Unterricht in Pfarrhöfen, Turnhallen, Kellerräumen oder unter dem ausgebauten Dach des eigenen Hauses an. Fast ausschließlich in Zehner-Blöcken, was einerseits natürlich zu einer Regelmäßigkeit diszipliniert, denn nicht wahrgenommene Stunden bedeuten verlorenes Geld. Andererseits nimmt es Menschen, denen auf Grund ihres Berufs oder ihrer Familien eine weniger starre Form entgegen käme, die Möglichkeit zum regelmäßigen Üben. Natürlich gibt es auch das übliche VHS-Programm, aber das verband ich, vorurteilsfrei wie ich selbstverständlich bin, mit älteren Hausfrauen, unpersönlichen Räumen, sanften Gymnastik-Übungen und Zehner-Kursen. Ob das tatsächlich so zutrifft, weiß ich aber nicht – ich habe nie einen Kurs besucht.
Meine Yoga-erfahrene Kollegin Anke aus München hatte nämlich Erbarmen mit mir und suchte im BDY-Verzeichnis (dem Bund Deutscher Yogalehrer) einen Lehrer in meiner Umgebung. Der, den sie fand, war auch der, der mir fast gleichzeitig von anderen Bekannten empfohlen worden war. Als unglaublich charismatisch, begeisternd und faszinierend wurde er mir beschrieben. Mein Frauenzeitschriften konditioniertes Hirn assoziierte damit umgehend: Durchtrainiert, stylisch, jung. Citta Vritti in reinster Form eben. Mit meiner Gymnastikmatte unterm Arm und im sorgfältig zusammengestellten Yoga-Outfit machte ich mich auf den Weg zu meiner ersten Stunde – und erlebte, wie mich die Bewegungen meines Geistes mal wieder in die falsche Erwartung geführt hatten. In dem wunderbaren und ganz und gar unstylishem Raum saßen die ebenfalls ungestylten Schülerinnen auf Schaffellmatten im Halbkreis um den mitteljungen Lehrer – der charismatisch und gänzlich uneitel in einer verbeulten Jogging-Hose vor ihnen Platz genommen hatte. Was folgte, war Satsang pur mit einer anschließenden kurzen Yoga-Praxis, deren Ziel das Wahrnehmen der Ruhe im eigenen Körper war.
So kannte ich Yoga nicht, so hatte ich es mir nicht vorgestellt, aber es hätte schöner nicht sein können. Ich fuhr dreimal die Woche in den Unterricht, bald auch in verbeulten Jogginghosen, denn das Äußere zählt hier, was für ein befreiendes Gefühl, überhaupt nicht. „Um das Outfit mache ich mir wirklich keine Gedanken“, sagte mir später, als ich bereits selbst unterrichtete, meine Stundenteilnehmerin Uschi. „Hauptsache, es zwickt nicht.“ Dieser pragmatische Ansatz ist typisch für Yoga auf dem Land. „Die Kleidung muss gemütlich sein“, erklärt etwa meine Nachbarin Marion, die lange in Frankfurt gelebt hat. Ihr sei das Outfit egal, sagt auch meine Münchner Kollegin Anke. „Aber wenn ich hier um mich sehe, dann ist die Bekleidung schon sehr wichtig. Lifestyle eben.“ Und Katja, die Frau, die Berlin den Rücken gekehrt hat, erzählt: „Da sieht man den Unterschied zwischen Stadt und Land. Auf dem Land wird nach Zweckmäßigkeit geschaut, in Berlin gab es regelrechte Yogafashion.“
Viele Styles in hippen Studios
Diese scheinbare Fokussierung auf Lifestyle hat, wie sie zugibt, meine alte Jobbegleiterin Astrid, ein kreatives Wunderwesen mit punkesker Vergangenheit, lange davon abgehalten, im stylishen München mit Yoga zu beginnen. „Wenn ich diese aufgepimpten Tussen sehe, die in die ach so hippen Studios hier latschen, hab ich doch schon keine Lust mehr“, sagte sie. Erst als sie im Rahmen einer Pressereise in ein Yoga-Retreat geschickt wurde, änderte sie ihre Yoga-Meinung. Denn: „Dort ging es um die Philosophie und Spiritualität.“
So gemütlich und bequem das Land bei der Kleidung ist – wenn es um Philosophie und Spiritualität geht, ist hier schnell mal Schluss mit lustig. Es gibt nur einen Gott und der ist der Vater von Jesus Christus, unserem Herrn, Amen. Die Volkshochschulen sind von vornherein dazu angehalten, alles „Esoterische“ aus ihrem Angebot fernzuhalten. Dadurch wird die „Bedeutung der sportlichen Aktivität und gesundheitsbewussten Einstellung“ betont, weiß Christine, eine Betriebswirtin, die Yoga als ihren „beständig unsteten Lebensbegleiter“ bezeichnet. Und meine eigene Mutter, die schon viel länger Yoga übt als ich, dachte tatsächlich noch bis vor kurzem, dass Yoga eine Gymnastik-Art ist. Ihre ehemalige Lehrerin erzählte mir, dass sie sich nicht getraut habe, ihre Schüler mit der Yoga-Philosophie zu „überfordern“.
Damit hat sie recht und unrecht. Iris, die Teilnehmerin eines Yoga-Kurses, der in einem Dorf in der Umgebung angeboten wird, erzählt: „Wenn unsere Lehrerin am Anfang der Stunde „OM“ singt, dann haben die meisten Probleme damit. Und mit Meditation können sie gar nichts anfangen. Viele Frauen sind von der Stallarbeit so müde, dass sie nach zwei Minuten laut schnarchend einschlafen.“
Spiritualität – Lifestyle oder Verbundenheit?
Zu „meinem“ Yoga-Lehrer kommen die Schüler dagegen vor allem, weil sie an der Philosophie interessiert sind. Caro, eine Bekannte, die gerade erst mit Yoga begonnen hat, geht es im Yoga neben „Ruhe und Bewegung im Atemfluss“ auch darum, „alte Weisheiten“ kennenzulernen. Und meine Freundin Tina, die in München in einem großen Yoga-Center unterrichtet, aber auch schon auf dem Land Stunden gegeben hat, sagt: „Auf dem Land erlebe ich eine tiefere Spiritualität in dem Sinn, dass Spiritualität Gewahrsein und Verbundensein bedeutet. In der Stadt wird Spiritualität oft eher im Sinn von Lifestyle gelebt.“
Dafür wiederum gibt es in der Stadt ein größeres Angebot verschiedener Stile und Traditionen. Hier auf dem Land macht man Yoga und dieses Yoga hat, von Iyengar mal abgesehen, keinen Vornamen. Moderne Formen wie beispielsweise Jivamukti-Yoga sind, kennt man es nicht aus den Medien oder aus Berlin und München, ziemliches Neuland. Als ich meine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin in der bayerischen Landeshauptstadt begann, war ich nicht nur überrascht, dass hier nicht auf Schaffellmatten geübt wurde, sondern dass die Asana tatsächlich Sanskrit-Namen haben, die ich zuvor noch nie gehört hatte und die Praxis, zu meiner großen Freude, durchaus auch sehr fordernd sein kann. So haben wir im Unterricht meines Lehrers nie geübt. Für meinen Freund Armin war das ein guter Grund, sich dem Yoga lange und hartnäckig zu verweigern. Seine Begründung: „Das ist mir zu soft und zu esoterisch.“ Mit dieser Einstellung stand er nicht alleine. Hier, auf dem Land, ist Yoga noch stärker von Frauen dominiert als es in den Großstädten schon der Fall ist. Und so brachte erst eine Jivamukti-Stunde meinen Freund auf den Geschmack. Einen Geschmack, den er nicht mehr missen will: Jetzt ist Yoga für ihn „eine Lebenseinstellung“, die ihm „Anstrengung, Entspannung und geistige Ruhe“ bringt.
Dennoch: Armin übt trotzdem lieber in einem Yoga-Studio in unserer näheren Umgebung als in der Stadt. Denn hier hat er einen Kurs mit „vertrauten Teilnehmern“. Das ist ein Kriterium, das die „Landyogi(ni)s“ aber auch viele Städter immer wieder an den Stunden auf dem Land schätzen: „Die Schüler sind mehr an sich und am Lehrer interessiert. Es ist authentischer“, fasst es Tina, die Yoga-Lehrerin, in Worte. „Man trifft die anderen Frauen aus dem Dorf und erzählt sich, was es Neues gibt. In Frankfurt hat man sich nicht näher kennengelernt, auch über Jahre nicht“, sagt meine Nachbarin Marion.
Hier auf dem Land geht man – ganz im Gegensatz zur großen Stadt – nach dem Unterricht gerne noch gemeinsam etwas Trinken, lernt sich besser kennen, tauscht sich aus, teilt seine Sorgen, seine Nöte und natürlich auch das Glück; man lacht miteinander, hilft sich, schließt Freundschaften. Und (er)lebt dadurch ganz natürlich das, was Patanjali im YogaSutra 1.33 mit maitri, karuna, mudita und upeksa meint und was von T.K.V. Desikachar so übersetzt wird: „Wenn es uns gelingt, ein liebevolles Gefühl den Menschen gegenüber zu hegen, die glücklicher sind als wir, Mitgefühl mit denjenigen zu haben, die unglücklich sind, uns zusammen mit denen zu freuen, die etwas Wertvolles tun, und uns nicht durch Irrtümer anderer Menschen aus dem Gleichgewicht bringen lassen, wird in unserem Geist Ruhe einkehren.“
Im Pfarrhaus meines Dorfes wird jetzt auch Yoga angeboten. Marion, meine Nachbarin, war schon dort. Sie hat erzählt, dass ihr Blick jedes Mal wenn sie in den Drehsitz geht, auf die Getränkekarte des letzten Faschingballs fällt und sie „daran erinnert, dass man von der Caipi-Bohle mindestens drei Glässer zuviel hatte.“ Ich habe fest vor, demnächst einmal mitzugehen.