Nicht nur aufgrund ihrer eigenen Biografie interessiert sich Gräfin Annabelle von Oeynhausen-Sierstorpff für Traditionen und Kreisläufe. Ihr Einsatz für einen Kurort im Teutoburger Wald hat heilende Qualitäten.
TEXT: CHRISTINA RAFTERY FOTOS: CHRISTIAN SCHOPPE
Kunst und Körper
Dass das Moorbad vor dem Treffen mit Annabelle von Oeynhausen-Sierstorpff eine passende Einstimmung war, wird im Gespräch schnell klar. Eine der augenfälligsten Eigenschaften der Gräfin ist nämlich Erdverbundenheit. Nicht nur weiß die aus Düsseldorf stammende und heute im westfälischen Bad Driburg lebende Kunsthistorikerin alles über die therapeutische Wirkung der westfälischen Erde, wie sie entsteht, heilt und nach der Anwendung wieder ihrem natürlichen Kreislauf zugeführt wird. Auch aufgrund ihrer Biografie, die streckenweise durchaus romanhafte Züge trägt, zeigt sich die Frau mit dem Namen von Loriot’schen Ausmaßen als pragmatische Unternehmerin mit großem Bewusstsein für Herkunft und die Zyklen von Natur, Kunst und Geschichte(n).
Solche Abläufe hält sie in Gang, seit sie sich – damals noch als Anna- belle Hünermann –Mitte der Neunzigerjahre in Marcus Graf von Oeynhausen-Sierpstorff verliebte, der sich gerade anschickte, in siebter Generation das in Bad Driburg angesiedelte Familienunternehmen weiterzuführen. Zuvor hatte die in Karachi, Pakistan geborene und in Spanien aufgewachsene Tochter eines deutschen Unternehmensberaters eine Lehre als Groß- und Außenhandelskauffrau absolviert, Kunstgeschichte studiert, in namhaften Galerien gearbeitet und schließlich ein Kunsthaus in Caracas, Venezuela geleitet. Eigentlich stand ihr die Welt offen – doch es wurde der Landkreis Höxter. Sie folgte dem Ruf ihres Herzens, heiratete den Grafen, bekam drei Kinder und lebte nicht nur „happily ever after“, sondern wurde auch als Unternehmerin erfolgreich. Unter anderem gelang es ihr, das Hotel „Gräflicher Park“ zu seinen Wurzeln zurückzuführen: von einer Krankenschein-Kurklinik zu einem eleganten Ort für umfassende Heilung.
Zu den Schlüsselfiguren des über 230 Jahre alten Anwesen, an denen sie sich orientiert, gehören der Gründer des Bades, Caspar Heinrich Graf von Sierstorpff (1750-1842), ein Pionier der nachhaltigen Forstwirtschaft – und ein romantisches Liebespaar. Wo heute Yoga- Retreats und Kuren nach F. X. Mayr und Ayurveda stattfinden, erlebte einst Friedrich Hölderlin die „sechs glücklichsten Wochen seines Lebens“, so die Gräfin. Da der Lyriker vom Schreiben nicht leben konnte, verdingte er sich als Hauslehrer bei der Frankfurter Bankiers-Familie Gontard. 1796 begleitete er Susette Gontard und ihre vier Kinder nach Bad Driburg und beschrieb den Teutoburger Wald in enthusiastischen Briefen als wahrhaft „heroische Landschaft“. Seiner verehrten Muse Susette widmete er mit der „Diotima“ in seinem Roman „Hyperion“ ein literarisches Denkmal.
Um die Geschichte lebendig zu halten, setzt Annabelle von Oeynhausen-Sierstorpff seit Beginn ihres Wirkens im Gräflichen Park auf ihre alte Leidenschaft, die Kunst: Mit der von ihr gegründeten „Diotima Gesellschaft“ ver- anstaltet sie Ausstellungen, Lesungen und Konzerte. So steht im Park eine Installation von Jeppe Hein, noch bis April läuft die Sound- und Lightinstallation „Street Lamp for an Inferiority Complex“ von Murray Gaylard, und Michael Sailstorfer aus Österreich hat einen Irrgarten mit Aussichtsplattform gestaltet: „Kopf und Körper“. Auch sonst treffen unter Annabelle von Oeynhausen-Sierstorpff Intel- lekt auf eine klassische Vorstellung von Gesundheit und moderne Ansätze auf traditionelle Therapien. Für Retreats bucht sie Yogalehrende wie Kristin Rübesamen, Andrea Kubasch, Dirk Bennewitz und Ralf Bauer. Das Ayurveda-Zentrum leitet der erfahrene Arzt Vaidya Kumaran Rajsekhar aus Kerala. Seine Methode ist für ihn auch im Westfälischen ganz zu Hause: „Letztlich greifen auch beim westfälischen Sauerbraten ayurvedische Prinzipien.“
Dass sie „keinen Mann, sondern einen Betrieb“ geheiratet hatte und sich damit auch zugleich in Adelskreisen wiederfand, in denen, so die Gräfin, „die falsche Konfession oder das falsche Kleid zum falschen Anlass auch im 21. Jahrhundert noch kleine Skandale auslösen können“, gleicht die begeistert Yoga Übende mit Achtsamkeit, Pragmatismus und Sinn für das Schöne aus. Als „Außenministerin“ und „Spiritus Rector“ achtet sie zwar auf die Bewahrung des traditionellen Geistes, aber von „Rückwärtsgewandtheit wird man in vielerlei Hinsicht arm.“ „Gebäude müssen mit Leben gefüllt werden“, sagt sie als ehemaliger Metropolen-Fan. Kern ihres Zugangs, die Schönheit im Unentdeckten zu finden, sei jedoch die „Innerlichkeit“. „Die würdevoll durch unsere ‚rolling hills‘ gleitende Weser kann es jederzeit mit dem Rhein aufnehmen“, schwärmt die Gräfin. Dank einer nicht ganz zur Ruhe gekommenen Globetrotterin gehen hier modernes Yoga, Panchakarma und das Moorbad aus Erdbrocken, über die einst vielleicht ein verliebter Hölderlin wandelte, ganz selbstverständlich Hand in Hand.