Einige Asanas fallen uns von Anfang an leicht und erfordern wenig Kraft oder Flexibilität. Andere scheinen fast unerreichbar – sogar nach jahrelanger Übung. Utkatasana (kraftvolle Haltung oder Stuhlhaltung) fällt in eine ganz eigene Kategorie: Sie sieht täuschend einfach und unkompliziert aus, aber beim Üben stellt man fest, wie viel Beweglichkeit in den Schultern, Stabilität in der Körpermitte und Kraft in den Beinen man braucht.
Utkata bedeutet „kraftvoll“ oder „wild“, und obwohl die Haltung feurige Energie im Körper erzeugt, übt man sie am besten mit kühlem Kopf. Achten Sie darauf, ob Sie die Stirn runzeln oder den Kiefer anspannen. Wenn ja: lassen Sie los! Sollte sich Ihre Atmung gepresst anfühlen, verlängern Sie bewusst die Ausatmung. Sie werden sich gelassener und konzentrierter fühlen.
In Ihrer äusseren Einfachheit wirkt die Stuhlhaltung nicht gerade vielversprechend auf ambitionierte Yogis. Obwohl sie recht anstrengend ist, wickelt man am Ende weder die Beine hinter den Kopf, noch verrenkt man sich in sonst eine attraktive Position. In meinem Unterricht ruft Utkatasana– zumindest am Anfang – mehr Stirnrunzeln und sogar Stöhnen hervor als fast jede andere Basic-Asana. Wenn ich meine Schüler trotzdem zum Durchhalten motivieren kann, sind sie hinterher immer froh. Die Asana lehrt uns Entschlossenheit gegenüber neuen Herausforderungen und trainiert das Durchhaltevermögen, damit wir dranbleiben können, auch wenn es schwierig ist.
Utkatasana kräftigt Ihre Oberschenkel und hilft, Ihre Knie zu stabilisieren. Die Fußknöchel werden beweglicher und zugleich stabiler; die Arme und Schultern gewinnen an Kraft und Flexibilität. Wenn Sie die Arme nach oben strecken und dadurch die Zwischenrippenmuskulatur dehnen, erhöhen Sie Ihre Atemkapazität. Die Position kann auch dabei helfen, die Körperhaltung zu verbessern. Alle Muskeln der Körpermitte arbeiten in Utkatasana hart: Wir heben das Becken in eine aufrechte Ausrichtung und wir müssen vermeiden, ins Hohlkreuz zu gehen, wenn wir gleichzeitig die Arme gerade nach oben strecken. Hört sich kompliziert an? Genau das ist der Sinn der Stuhlhaltung: Wir lernen, viele Dinge gleichzeitig zu beachten, und das über einen längeren Zeitraum hinweg – nach unserem Gefühl manchmal zu lange.
>>>> Es ist hilfreich, Utkatasana zunächst in zwei Schritten einzuüben:
Zuerst liegt der Fokus auf der unteren Körperhälfte. Bevor Sie die Arme dazunehmen, arbeiten Sie daran, die Knie in einem rechten Winkel zu beugen und das Gewicht dabei nach hinten auf die Fersen zu verlagern. Beim zweiten Schritt stehen Sie aufrecht in Tadasana (Berghaltung) und versuchen, die Arme senkrecht nach oben zu strecken, ohne dass sich dabei der Brustkorb nach vorne wölbt oder Sie in ein Hohlkreuz fallen. Anschließend verbinden Sie beide Elemente miteinander zu einer in sich geschlossenen und kraftvollen Haltung. Verknüpfen Sie die Arbeit der Beine und Arme, indem Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Oberkörper lenken, die Rumpfmuskulatur hebt sich und Sie strecken die Wirbelsäule in die Länge.
SCHRITT 1:
Kommen Sie mit den Beinen in eine tiefe Kniebeuge und ziehen Sie die Wirbelsäule in die Länge.
Optimale Ausrichtung:
Füße: Wenn die Füße sich berühren, werden die inneren Oberschenkelmuskeln stärker aktiviert. Sollten Sie sich dadurch instabil fühlen, öffnen Sie die Füße hüftbreit.
Arme: Die Position erfordert Durchhaltevermögen. Wenn Sie erschöpft sind, versuchen Sie, die Arme gerade nach vorne zu strecken oder seitlich neben dem Körper zu halten.
Knie: Verlagern Sie das Gewicht nach hinten auf die Fersen, damit die Knie nicht zu sehr belastet werden. Achten Sie darauf, dass die Knie sich nicht nach vorne über die Zehen schieben.
Brust: Heben Sie das Brustbein nach oben – weg von den Oberschenkeln. Stellen Sie sich vor, dass Sie Ihren ganzen Oberkörper gegen eine Wand hinter sich lehnen.
Nacken: Halten Sie Kopf und Nacken in einer Linie mit der Wirbelsäule. Blicken Sie nicht nach oben, sondern auf den Boden einige Meter vor Ihnen.
SCHRITT 2:
Öffnen Sie Brust und Schultern, während Sie die Wirbelsäule durch eine starke Körpermitte stabilisieren. Bleiben Sie mindestens für fünf tiefe Atemzüge in dieser Haltung, weiten Sie den Brustkorb und verankern Sie beide Beine. Mit einer Ausatmung senken Sie die Arme und entspannen sich.
Optimale Ausrichtung:
Achten Sie darauf, dass Ihre Schultern und der obere Rücken die Wand berühren. Der untere Rücken und der Nacken berühren die Wand nicht, denn hier wölbt sich die Wirbelsäule normalerweise nach vorne. Versuchen Sie diese natürliche Krümmung beizubehalten, wenn Sie Ihre Arme heben. Sobald Sie Ihre Arme heben, schieben sich Brustkorb und Wirbelsäule automatisch nach vorne – dadurch können Spannungen im unteren Rücken entstehen. Spannen Sie die Bauchmuskeln an, um sich zu stabilisieren, und ziehen Sie die unteren Rippen leicht in Richtung Wand. Experimentieren Sie damit, wie hoch Sie die Arme über den Kopf strecken können, ohne dass die Rippen den Kontakt mit der Wand hinter Ihnen verlieren.
UTKATASANA:
Ausgangsposition:
✤ Beginnen Sie in Tadasana, die Füße berühren sich. Verteilen Sie das Gewicht gleichmäßig auf den Füßen.
✤ Heben Sie die Arme vor dem Körper bis auf Schulterhöhe an. Ziehen Sie die Schultern zurück und heben Sie das Brustbein .
✤ Nun strecken Sie die Arme so hoch wie möglich über den Kopf, ohne dass die unteren Rippen sich nach vorne wölben.
✤ Beugen Sie die Knie und bringen Sie sie in Richtung rechter Winkel; das Gewicht lastet dabei auf den Fersen.
Optimale Ausrichtung:
Erinnern Sie sich an das Gefühl, dass sich die Wand an Ihrem Rücken befindet (Schritt 1), und versuchen Sie, diese Empfindung beizubehalten. Je stärker Sie die Beine beugen und je tiefer Sie kommen, desto mehr müssen Sie den unteren Bauch anheben, um die natürliche Krümmung der Wirbelsäule aufrecht zu erhalten. Denken Sie daran, das Schambein nach oben in Richtung Nabel und die unteren Rippen nach innen zu ziehen. Dehnen Sie sich weiter durch die Arme nach oben, während Sie sich gleichzeitig durch die aktiven Beine nach unten strecken und die Fersen fest in den Boden drücken. Lassen Sie Ihren Blick auf einem Punkt ein Stück vor Ihrer Matte ruhen.
Abschluss:
Bleiben Sie wenn möglich noch einige Atemzüge lang in der Haltung. Dann pressen Sie mit einer Einatmung die Füße noch fester in den Boden und kommen gleichzeitig nach oben. Strecken Sie die Beine, senken Sie die Arme und kehren Sie in Tadasana zurück. Spüren Sie der Wirkung dieser kraftvollen Haltung eine Weile lang nach.
Wenn Sie regelmäßig üben, werden Sie die Haltung schon nach wenigen Monaten mit mehr Leichtigkeit und Ausdauer halten können. Sollten Sie zwischendurch mit Ihrer Praxis aussetzen, fühlt es sich beim nächsten Ausrollen der Matte vielleicht so an, als müssten Sie wieder ganz von vorne beginnen. Aber auch wenn Ihre Muskeln in der Stuhlhaltung wie Feuer brennen und Sie schwitzend mit Ihrer Willenskraft kämpfen – lassen Sie sich nicht entmutigen. Die Haltung lehrt sie eine wertvolle Lektion und ein Schlüsselprinzip des Yoga: Regelmäßige Praxis über eine längere Zeit hinweg ist besser als gelegentliche große Anstrengungen. Die regelmäßige, tägliche Praxis ist die Mühe wert – sonst haben Sie jedes Mal das Gefühl, wieder von vorne anzufangen. Kontinuität ist im Yoga der Schlüssel zu den tiefsten und nachhaltigsten Ergebnissen.
Autorin: Annie Carpenter unterrichtet im Exhale Center for Sacred Movement in Venice, Kalifornien, und bildet dort Lehrer aus.