Der Sonnengruß begleite ihn durch Höhen und Tiefen, sagte Schauspieler Devid Striesow beim interview. Die Figuren, die er portraitiert, gehen gerne dorthin, wo es weh tut – ob als Tatort-Kommissar oder in „Ich bin dann mal weg“, dem Film nach dem Bestseller von Hape Kerkeling. YOGA JOURNAL hat mit dem Schauspieler über seinen Beruf, Yoga und seine Rolle “Ich bin dann mal weg” gesprochen.
Devid Striesow: Ah, das YOGA JOURNAL! Habe heute morgen schon ein paar Runden Sonnengruß geübt.
YJ: Inmitten von Dreharbeiten, hier im Hotel, Respekt! Eine echte Home Practice.
Home is where my mat is, da nehme ich mir die Yogis in Indien zum Vorbild, wie man sie im Dokumentarfilm „Der atmende Gott“ sehen konnte. Sie meditieren sogar in der überfüllten Straßenbahn, umgeben von Chaos und dennoch ganz bei sich.
YJ: Laut den alten Schriften sollte ein Ort für Yoga vor allem „sauber und frei von Ungeziefer“ sein, abgetrennte Matten-Spaces in schick eingerichteten Studios sind ja ein eher junges Phänomen.
Ich persönlich brauche kein separates, weiß angemaltes Zimmer für meine Praxis. Im Sonnengruß ist für mich alles drin, er begleitet mich durch Höhen und Tiefen, und ich finde es sehr beruhigend, dass da etwas ist, das jederzeit zur Verfügung steht. Ansonsten mache ich viel Kraft- und Ausdauersport, um die vielen Gewichtsschwankungen abzufangen, die meine Rollen erfordern.
YJ: Kürzlich hat das ZDF-Format „Inga Lindström“ mit einer Geschichte über eine Yogalehrerin über 6 Millionen Zuschauer erzielt, und auch beim Tatort fällt der von Ihnen dargestellte Kommissar Jens Stillbrink aus dem Ermittler-Rahmen: Er übt Yoga und ist Vegetarier. Ist Yoga auch im populären Fernsehen angekommen?
Ich denke schon. Die Rolle des Jens Stillbrink habe ich komplett selbst angelegt und wollte sie als langfristig gedachten Part mit allem füttern, was mir nahe ist. Damit kann ich einen vielschichtigeren Ermittlertyp zeigen als den, der immer nur zur Tür hereinkommt und fragt, wo man gestern zwischen 10 und 11 war. Obwohl die Einschaltquoten super waren, gab es zunächst Kritik an der vermeintlichen „Softie“-Figur. Das hat sich hoffentlich mittlerweile gelegt. Wie immer musste sich an eine innovative Idee erst gewöhnt werden.
YJ: Bei „Ich bin dann mal weg“ war ein solcher Spielraum nicht möglich, diese Rolle ist bereits festgelegt: Über 5 Millionen Leser wussten, worum es ging.
Man bringt ja beim Spielen nicht immer alles von zuhause mit. Das wäre krass und würde die Möglichkeiten sogar beschränken.
YJ: Wie Hape Kerkeling beschreibt, stolperte er im wahrsten Sinne des Wortes in sein „spirituelles Abenteuer“. Er wusste nicht genau, was er sucht, ihn interessierten eher die Fragen. Ist das, was ihn zur Pilgerreise motiviert, eine andere Form von Spiritualität, die Menschen in Yogastudios treibt?
Ich sehe da viele Gemeinsamkeiten. Ich habe Yoga ganz banal wegen Rückenschmerzen und als Alternative zu einer gewissen Überspanntheit in Alltagssituationen gefunden. Um Gedanken, Dinge und damit mich selbst ordnen zu können. Dazu könnte ich sicher auch spazieren gehen. Generell geht es mir darum, Raum und Zeit zu finden, um zu reflektieren, wie ich auf Dinge reagiere. Beim Yoga sind die Übungen eine Sache, das Leben nach der Sequenz eine andere. Der Weg ist tatsächlich das Ziel.
Obwohl so viel Wahrheit in ihnen liegt, wirken solche Formulierungen manchmal strapaziert, genau wie die Suche nach Gott und Selbsterfahrung. Was beobachten Sie da in Ihrer Praxis?
Vor allem erstmal, dass die Übungen für mich stimmig sind. Sie sind organisch, sorgen dafür, dass alles im Fluss bleibt und kein Stau entsteht. Ich glaube, dass eine intensive Beschäftigung mit dem, was im Kopf und dann im Körper entsteht, garantiert eine Auswirkung auf alles andere hat, was man tut. So kann ich natürlich auch jede Wanderung sehen. Nur durch Bewegung kommt man zur Lösung. Sie ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Dinge nicht aufhören, sich weiter zu entwickeln oder zumindest ihre Form zu verändern.
YJ: Auch die Bedingung für Zufriedenheit und die Fähigkeit zum Loslassen?
Man muss nicht gleich ans Ende kommen, aber man kann erkennen, dass man Land gewinnt. Einen Weg entlang gehen, Zeit haben, sich mit Dingen beschäftigen, mit denen man sich schon lange trägt, sie fließen lassen. Oft liege ich einfach still auf meiner Yogamatte, bereite mir bewusst einen Kaffee zu, spüle Geschirr und putze die Wohnung. Ganz einfache Dinge. Besonders liebe ich Rasenmähen: Ich setze den Gehörschutz auf, fahre gemächlich auf meinem Grundstück herum und überlege, ob ich hier oder dort eine Schleife drehe.
YJ: Im Gegensatz zu solchen Situationen ist beim Film Vertrauen in die Arbeit und Hingabe anderer nötig.
Absolut, auch im Vergleich zu Theaterrollen. Im Schnitt können Regisseur und Cutter einen komplett anderen Film bauen. Bei „Ich bin dann mal weg“ fiel eine solche Überraschung allerdings weg, es gab einen ganz klaren Plan, wie der Film sein wird. Bei einer solchen Bestseller-Vorlage gibt es keine Beliebigkeit, was große Vorteile hat. Ich habe Kerkelings Buch sehr früh gelesen, und habe – lange bevor ich die Rolle annahm – seine literarische Qualität sehr geschätzt.
YJ: Welchen Nerv hat das Buch Ihrer Meinung nach getroffen?
Kerkelings große Begabung liegt in seinem Humor, auch in Hinblick auf Grenzsituationen. Ein solches Talent kann nicht nur inspirierend, sondern sogar lebensrettend sein. Ich bin Botschafter des Kinderhospizes im Saarland und habe an kaum einem anderen Ort so viel mit den Menschen gelacht. Selbst die ehrenamtlichen Mitarbeiter sagen von sich selbst, dass ihre Aufgabe sonst unmöglich wäre. Es kann und sollte über alles gelacht werden. Das ermöglicht Kerkeling dem Leser durch seine Intelligenz und Schnelligkeit.
YJ: Sie sind Kerkeling in Ihrer Rolle so täuschend ähnlich geworden, dass es sogar ihn selbst verwirrte. Wie schafften Sie es, so tief in diesen Charakter einzutauchen?
Genau, er dachte beim Hören der Off-Texte, seine eigene Stimme zu hören. Ich habe das allerdings nicht wirklich beabsichtigt. Vielleicht ist der Duktus des Texts ein Selbstläufer oder unsere Stimmen haben eine ähnliche Lage. Für mich ließen es seine Worte nicht anders zu, daher finde ich den Text auch so gut.
YJ: Im Yoga geht es um das Ankommen bei sich selbst, um Authentizität. Beim Schauspielen ist das Aufgehen in einer anderen Figur, einer anderen Idee elementar. Ein Widerspruch?
Etwas glaubwürdig darzustellen, geht nur aus einem authentischen Kern heraus. Jeder Schauspieler hat da eine andere Arbeitsweise. Mein Yogalehrer Andreas Hickel aus Köln ist da sehr genau in seiner Beobachtung: Als er meinen Film „Die Fälscher“ sah, kommentierte er eine bestimmte Stelle so: „Da spielst du nur böse, müsstest aber böse sein.“ Auf jeden Fall muss man bei sich bleiben – wie man ja auch nur Liebe geben kann, wenn man sich selbst liebt. Im Stück „Karamasow“, das ich in Berlin gespielt habe, sagt ein Einsiedlermönch: „Alle Menschen muss man pflegen wie die kleinen Kinder, manche sogar wie die Kranken im Spital.“
YJ: Sollte man sogar, wie es in „Ich bin dann mal weg“ zur Sprache kommt, Gott bei sich selbst suchen?
Viele flüchten in vieles, ob es nun Wege sind, materielle Ablenkungen oder Yoga. Ich glaube, dass es darum geht, einfach anzufangen, sich damit zu beschäftigen – ob in diesem Leben oder im nächsten. Einfach losgehen, in dem Wissen „Ich werde laufen“. Der Gedanke ist der Anfang von allem. In einer Position wie meiner kann man nur Schlagworte und Anregungen für einen Beginn geben. Die tiefgehende Betrachtung folgt auf der nächsten Ebene.
YJ: Auf der es sinnvoll ist, sich mit einem Lehrer auseinanderzusetzen?
Auch im Schauspiel gibt es das „Meister“-Prinzip, etwa von Stanislawski um die Jahrhundertwende. Am Anfang steht die Imitation, denn was kann schon völlig neu erfunden werden? Dann spüre ich Interesse, erforsche, woher es kommt, mache nach, bis ich eigenständig werde und mich vom Lehrer emanzipiere.
YJ: Welchen Yogastil praktizieren Sie?
Den Einstieg habe ich mit Iyengar Yoga gemacht. Heute nehme ich hauptsächlich Privatstunden mit Andreas Hickel. Als ich nach dem Dreh zu „Ich bin dann mal weg“ völlig erschöpft aus Spanien zurückkam und mich alles erneut überrollte, habe ich Andy gebeten, mich zu besuchen und täglich zwei lange Sessions gemacht. Er war auch bei meinen Theaterproben anwesend und hat Input gegeben. So etwas funktioniert super für mich, weil es auf Hilfsbereitschaft beruht.
YJ: Der Effekt von Yoga sei „Gelassenheit, die keine Abgeklärtheit ist“, haben Sie einmal in einem Interview gesagt.
Die Sehnsucht danach ist immer da. Dazu kommt jetzt interessanterweise die wissenschaftliche Belegbarkeit. Mein Regisseur bei „Karamasow“, Thorsten Lensing, ist bekennender Katholik, ich begleite ihn manchmal zur Messe. In einem Fitness-Studio wurde seine Stressresistenz gemessen. Unter 6000 Probanden waren seine Werte die zweitbesten – nach einem Yogameister. Da ist für mich klar, dass man bei sich selbst ansetzen kann, um höhere Dinge passieren zu lassen.
Devid Striesow wurde auf Rügen geboren. Auf wichtigen Theaterbühnen beeindruckte er ebenso wie in Filmrollen, allen voran „Lichter“ (2003) von Hans-Christian Schmid und „Der rote Kakadu“ (2006) von Dominik Graf. 2012 gewann er für „Ein guter Sommer“ den Grimme-Preis und 2015 für „Wir sind jung. Wir sind stark“ den Deutschen Schauspielerpreis. Demnächst steht er für die ARD als Martin Luther vor der Kamera.
Foto: Stefan Klüter