Das Imperium schweigt zurück
Über das Reden in der Yogastunde und wie das Gegenteil uns richtig verbinden kann.
Ich gehe jede Woche ins Kino. Einerseits, weil Mr. Hicks und ich berufsbedingt immer auf dem Laufenden sein wollen, was da auf den Leinwänden so vor sich geht. Aber natürlich auch, weil es nichts Schöneres gibt, als sich in einen Sessel zu kuscheln und gemeinsam mit 150 Menschen eine Geschichte zu erleben und mitzufiebern. Man teilt die ganze Gefühlspalette von Freud bis Leid, ohne sich überhaupt sehen zu können, und ist für zwei Stunden Teil einer emotionalen, aufmerksamen und dabei doch komplett anonymen Masse. Leider hab ich als ewiger Deppenmagnet immer das Pech, eines dieser Exemplare neben mir sitzen zu haben, die denken, sie müssten der ganzen Welt kundtun, dass sie einen Mini-Joke kapiert haben, und lauthals losröhren. Sogar in wirklich traurigen Szenen, in denen ich möglichst lautlos von Weinkrämpfen geschüttelt werde, wird munter reingeplappert, nur um zu zeigen, dass man selber sich nicht einfangen lässt und alles schon längst durchschaut hat. He, Moment mal! Das erinnert mich doch an… an… na klar: an eine Yogastunde.
Auch hier gibt es diese Momente, in denen alles eigentlich gerade wunderbar läuft: Die Klasse hat sich warmgemacht und ist jetzt gemeinsam im Flow. Man bewegt sich zusammen und atmet zusammen. Aus unterschiedlichen Charakteren ist in diesem Augenblick ein einziger glücklich schwitzender Haufen geworden, der sich gerade kollektiv in Brezelform aufbiegt. Was für ein magischer Moment! Und dann plötzlich, auf der Nebenmatte, passiert das Schreckliche: Jemand. Sagt. Etwas. Gar nicht mal unlustig, der Kommentar, und ich muss selber lachen, so gut es eben geht in einer dramatischen Rückbeuge. Aber es ist geschehen und der Moment ist zerstört: Die Masse löst sich sofort wieder auf in ihre Einzelbestandteile. Wie ein heimliches Liebespaar, das man beim Händchenhalten erwischt hat, ziehen wir die Verbindungen zwischen uns zurück. Und man steht wieder alleine da, etwas verlegen, weil was macht man eigentlich hier, wie sieht denn das aus und puh, ist das anstrengend. Alles, wodurch uns das Gemeinschaftliche getragen hat, ist auf einmal doppelt so schwer. Und alles nur, weil jemand Angst davor hatte, sich aufzulösen und eins zu werden mit uns, dem zufriedenen, stummen Yogabündel, klebrig und warm wie ein Hefeteig und leider genauso sensibel.
Dabei ist Nicht-Reden doch so wichtig: „Mauna“ wird die spirituelle Praxis des Schweigens genannt und soll den ewig plappernden Geist ruhig werden lassen. Vermieden wird dadurch zum Beispiel, dass wir unbedacht in Angeberei, Tratsch und Klatsch, Lästerei oder Beschimpfungen verfallen. Aber es hilft uns auch, uns nach innen zu wenden und bewusster zu handeln. Nicht-Reden heißt aber nicht zwingend Nicht-Kommunizieren! In der Yogastunde gibt es keine Sekunde, in denen man die anderen nicht wahrnimmt. Da wird geraschelt, gezittert und geseufzt wie bei dem letzten Teil der „Twilight“-Saga, manchmal treffen sich Blicke und man lächelt sich zu. Und im Kino und in der Yogastunde ist es nicht wichtig, wie schlau und wie schlagfertig wir als individuelle Persönlichkeiten sind. Hier muss man nicht die ganze Zeit beweisen, wie geistreich man ist. Es reicht, wenn man offen und aufnahmefähig ist, sowie im Idealfall noch die Fähigkeit zum Ein- und Ausatmen mitbringt. Oder noch einfacher: Es reicht, wenn man ganz einfach nur da ist. Denn Reden ist am Ende des Tages eben doch nur Silber. Und Schweigen ein echter Blockbuster.
Illustration: Carla Schostek
Annalena Hicks lebt und arbeitet als Texterin in Berlin.