In Erinnerung an Guru Jagat

Mit großer Trauer haben wir erfahren, dass Guru Jagat am 1. August ganz überraschend mit nur 41 Jahren in Los Angeles gestorben ist. Guru war ein moderner, populärer Guru, dazu (betont) weiblich. Ihre Variante des Kundalini-Yoga präsentierte die Amerikanerin als kraftvolle Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit – und traf damit nicht nur den Nerv der „Digital Natives“. YJ-Redakteurin Christina Raftery traf sie 2018 auf ihrer Buchtour und erinnert sich zurück. 

An diesem Tag genoss Guru sichtlich eine echte bayerische Brezen. Sie, die sonst nie Gluten zu sich nahm, hatte es auf der München-Station ihrer Deutschlandtour getan und erzählte minutenlang von der extremen Wirkung des wuchtigen Gebäcks auf ihr sensibles System. Dass das nicht nervte, sondern bestens unterhielt, sprach bereits vor der Veranstaltung für ihre Entertainer-Qualitäten. Optisch eine gesündere Version von Janis Joplin, verbreitete sie in ihren Workshops und ihrem Buch „Unbesiegbar leben“ Kundalini-Yoga als Rundum-Programm, in dem Gesundheit, psychische Kraft und spirituelle Präsenz auf besonders effektive Weise zusammenkommen. Spektakulär einfach klingende Beauty-Tipps („mit Beckenbodentraining zu Faltenfreiheit“) und Drei-Minuten-Kurzprogramme, die so ziemlich alles Unangenehme aus dem Leben räumen sollen, haben Guru Jagat eine große Fangemeinde beschert.

Bei ihr traf Turban auf Tablet: Sie unterrichtete in der traditionellen, weißen Kundalini-Kluft, doch mit griffbereitem Handy und spielte dabei Musik ihres eigenes Labels. Als Unternehmerin betrieb sie Studios in Los Angeles, New York und auf Mallorca, dazu den Videokanal Rama TV und professionelle Social- Media-Auftritte.

Begleitet wurde sie auf Tour von einem wuseligen Team. Ununterbrochen nestelte die Assistentin an der Technik, besorgte Cappuccinos und Smoothies, rückte Yogi Bhajans Foto auf dem Bühnenaltar zurecht. Diese Choreografie und Entourage hatte Guru Jagat vielleicht von ihren prominenten Schülerinnen übernommen: Stars wie Alicia Keys, Demi Moore und Kate Hudson übten regelmäßig mit ihr. Dass ihr dabei Community sehr wichtig war, das zeigen auch die Fotos im Buch „Unbesiegbar leben“: Stets umringt von einer weiß gekleideten, sympathischen Hipster-Clique, setzte Guru Jagat einen erfrischenden Kontrapunkt zu den Solo-Motiven anderer Lehrer, die sich gerne in akrobatischen Haltungen und Funktions-Leggings zeigen.

Durchaus selbstironisch und tief mit den Ideen ihres berühmten Lehrers verbunden, sah die mit damals 38 Jahren jüngste Kundalini-Yogalehrerin, die noch von Yogi Bhajan persönlich unterrichtet wurde, Yoga vor allem als Wissenschaft. Ihre optimistisch-blumigen Heilsver- sprechen konnten dabei durchaus „gaga“ klingen (Süddeutsche Zeitung). Doch der Schlüssel liegt in der Praxis: Die Übungen und Meditationen, die Guru Jagat an diesem Tag in München anleitete, hatten in ihrer Kompaktheit unmittelbare Wirkung. Genau wie ihre Person: Sie gab sich handfest, zugewandt, engagiert und humorvoll. Man fühlte sich auf Augenhöhe und konnte sich vorstellen, mit dieser Frau seinen Liebeskummer zu besprechen, Brillenshopping zu gehen (ihre eigene auffällige Sehhilfe stammte von Dolce & Gabbana) oder auch einen feministischen Diskussionszirkel mit veganen Snacks zu gründen. Guru Jagat modernisierte Kundalini-Yoga für junge Zielgruppen – und besonders für junge Frauen. Was übrigens ganz im Sinne Yogi Bhajans war, der Frauen wie sie als neue Führungskräfte im Yoga betrachtete.

Der beste Beweis für den Effekt ihres Kundalini-Yoga war sie tatsächlich selbst: Ausgeruht, gut gelaunt und tatsächlich faltenfrei vermittelte sie 2018 im Interview mit YOGA JOURNAL mit jedem Satz ihr Lieblings-Mantra: „Keep it simple“…

„Stars wie Alicia Keys, Demi Moore und Kate Hudson üben regelmäßig mit ihr.“

Das Besondere an Kundalini-Yoga scheint die unmittelbar sichtbare Wirkung der Übungen, der berühmte „Glow“. Auch du beschreibst Kundalini als ein besonders „effektives“ System. Wollen wir in einer Gesellschaft, die so sehr auf Effizienz setzt, Yoga nicht eher als Alternative, als Weg der Entspannung sehen?

Wir dürfen nicht vergessen, dass es der Westen war, der Yoga mit dem Attribut „sollte“ versehen hat: Wir sollten inneren Frieden finden, wir sollten uns vegan ernähren, wir sollten insgesamt besser werden – das ist ein westlicher Überbau. Die großen Lehrer und Rishis denken an „könnte“: Was könnte passieren, wenn wir unsere Lebensweise optimieren, gesünder lebten, aus tieferer Kraft schöpften? Waskönnte heute passieren, wenn ich tiefer atme, in die Stille gehe… Mein Ziel ist, dass sich die Menschen solche Fragen stellen. Ich möchte sie motivieren, zum Yoga-Wissenschaftler ihrer selbst zu wer- den und ein Experiment einzugehen: Was funktioniert für mich?

Parallel beschäftigst du dich viel mit den Herausforderungen durch die neuen Technologien: das pausenlose Verfügbarsein und die Informationsflut, der wir nonstop ausgesetzt sind.

Wir Westler repräsentieren oft eine „Typ A“-Persönlichkeit, sind hoch organisiert, leistungsorientiert und immer im Wettbewerb. Es ist tief in unserer Kultur begründet. Yogi Bhajan war das bewusst. In seinem sehr realistischen Zugang zu Yoga hat er damit gearbeitet, statt es auszublenden oder negativ zu bewerten. Schließlich haben wir es heute mit Menschen zu tun, die die nächste Generation des Internet vorbereiten – und damit entscheidende Veränderungen bewirken werden, hoffentlich zum Guten.

Empfindest du eine davon als besonders dringend?

Jahrhundertelang sind alle Traditionen zur Kontemplation von Männern begründet worden, während die Frauen das System Familie erhielten. Hier wird es zu einer großen Verschiebung kommen, beziehungsweise: Wir sind schon mittendrin.

Yoga beschreibst du als Technologie, Werkzeug, Wissenschaft: alles männlich konnotierte Begriffe …Tatsächlich empfinde ich mich als analytische Natur und stand dem esoterischen „Fou fou“ in der Yogaszene und den Ritualen, von denen man nie die genaue Bedeutung erfuhr, immer etwas ratlos gegenüber. Wir leben in einem Zeitalter, in dem ein immenses Interesse am menschlichen Potential besteht. Wie können wir uns intensiv mit künstlicher Intelligenz beschäftigen, wenn wir unsere eigene kaum erforscht haben?

Dein spiritueller Name trägt das Wort „Guru“ in sich, worunter man sich wohl eher einen strengen, bärtigen Inder vorstellt. Mit welcher Bedeutung füllst du dieses Wort?

Yogi Bhajan hatte viel Humor. Dass er mir als 21-jähriger Yogaschülerin den Namen „Guru“ gab, beweist es (lacht). Nein, ich glaube, dass ich ihn erhielt, weil er ernsthaft von dem Wechsel zu weiblicher Führungskraft in der Welt überzeugt war. Dazu kommt, dass wir in der Kundalini-Tradition davon überzeugt sind, dass der Klang eines Wortes dessen wahre Bedeutung und Kraft enthält. Wir verstehen Klänge als direkten Zugang zum Gehirn, die es regelrecht massieren und aktivieren. In der Aussprache des Wortes „Guru“, das in vielen unserer Mantras vorkommt, entsteht durch die Bewegung der Zunge eine Resonanz mit dem Hypothalamus, die die Chemie des Gehirn verändern kann.

„Letztlich empfinde ich alles, was beim Praktizieren wachgerufen wird, als mystische Erfahrung. “

Entsteht hier die Brücke zum Mystischen?

Das Chanten ist im Kundalini-Yoga sicher der wichtigste Teil der „Spiritualität“, wenn man so will. Ich habe meinen Namen bekommen, um mit ihm umzugehen, ihn zu rezitieren, über ihn zu meditieren. Er hat nichts mit einem „Guru-Trip“ zu tun. Aber natürlich bedeutet er „Lehrerin“, umfasst also auch ein Schicksal und eine Aufgabe.

Wie verändert sich die Aufgabe der spirituell Lehrenden heute?

Viele berühmte Yogalehrer haben in den letzten Jahren ihre Körper verlassen. Einige der Lehrer, die noch in ihrem Körper sind, enttäuschen ihre Schüler und stürzen von ihren Sockeln. Eine Veränderung scheint unausweichlich: Lehrer, die komplett im Mystischen aufgehen, sind nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen mit den Umständen umgehen, die uns umgeben. Mir hilft es, das Leben als Kunst und meinen Job als den einer Künstlerin zu begreifen. Je kreativer wir sind, desto glücklicher. Ein anderer Teil meines Anliegens ist Transparenz – gerade in einer Zeit, in der es keine Geheimnisse mehr zu geben scheint.

In deinem Buch „Unbesiegbar leben“ erreichst du das unter anderem durch Fotos, die nicht der gängigen Yogaästhetik entsprechen.

Das war mir ein großes Anliegen. In dem Maß, in dem große Teile des Yoga in der Wellness-Industrie aufzugehen scheinen, gleicht sich auch die Ästhetik an. Man denkt oft, man habe es mit der Mode-Industrie zu tun – aber nein, hoppla, es ist Yoga! Was mir fehlt, ist eine positive Einstellung zu allen Körperformen und vor allem Hautfarben. Letzteres ist nicht einmal in meinem eigenen Buch genug repräsentiert. Mir geht es um Schönheit jenseits von Alter und eine sexy Ausstrahlung, die nichts mit viel Haut oder halsbrecherischen Yogahaltungen zu tun hat. Das erzeugt so viel Druck!

Schönheitstipps gibt es dennoch reichlich in deinem Buch.

Ja, für die wahre Schönheit von innen, hoffe ich. Wir werden nie aufhören, uns für Ratschläge zu interessieren, wie wir besser und gesünder aussehen. Das ist – Stichwort „Wissenschaft“ (lacht) – Teil des X-Chromosoms.

Wie empfindest du es als Vertreterin eines traditionellen Stils, dass wir heute die Auswahl unter einer Vielzahl von Yogarichtungen haben?

Dass Kundalini in diesem Zusammenhang nicht verschwindet, sondern sogar immer populärer wird, ist für mich das Ergebnis harter Arbeit – und einer sehr ernst zunehmenden Tradition. Wir machen das schon ein paar Tausend Jahre lang (lacht)! Ich habe von erfahrenen Lehrern gelernt und lege bis heute meinen Mentoren Rechenschaft ab. Das ist ein Unterschied zu den selbst ernannten Stilgründern und Lehrern auf Instagram. Verstehe mich nicht falsch: Ich bin ein großer Fan der Chancen, die die sozialen Medien bieten, und ich nutze sie ausgiebig – aber ich lasse mich nicht von ihnen benutzen.


Ihre erste Begegnung mit Kundalini Yoga hatte YJ-Autorin CHRISTINA RAFTERY im Kino: Im „Woodstock“-Dokumentarfilm keucht ein heftig Pranayama übender Hippie „Das ist besser als Drogen“. Im Workshop mit Guru Jagat verkniff sich Christina eine solche Bemerkung, konnte die beflügelnde Wirkung aber nicht verhehlen.

FOTOS: EVE BREGMAN, LISSANDRA VASQUEZ

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