Wir sprachen mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick über seine Leidenschaft für Essen, Food-Aktivismus und sein yogisches „Streck-mich-Programm“.
Herr Kosslick, Sie haben das „Kulinarische Kino“ bei der Berlinale eingeführt, engagierte Filme wie „Food Inc.“ zum Festival gebracht, sind selbst Vegetarier …
Ich bin Aquatarier, also ein Vegetarier, der Fisch und Milchprodukte isst. Das wichtigste ist für mich, dass ich kein Fleisch mehr esse und das jetzt seit 17 Jahren. Ich habe mich schon von Kindesbeinen an mit Ernährung beschäftigt: Ich bin in einer Bäckerei groß geworden, Kochen und Backen hat mich immer interessiert. Als ich dann in München studierte, war ich mit Esskritikern wie Wolfram Siebeck befreundet, der mich zu seinen Testessen mitnahm. Das war Essen, wie ich es noch nicht kannte. Meine Essenspalette war sehr eingeschränkt, ich habe mich bis dahin von den Kartoffeln und Teigwaren meiner Mutter ernährt. In dem Kreis, in dem ich auch den Jahrhundertkoch – und meinen jetzigen Freund – Witzigmann kennen lernte, wurde natürlich viel über Essen diskutiert. Ich würde mich selbst nicht als Gourmet bezeichnen. Ich bin Foodfighter, besser noch Foodaktivist.
Was zeichnet für Sie einen Foodaktivisten aus?
Das sind Leute, die gerne essen, aber dabei auch daran denken, dass die Hälfte der Menschen nichts zu essen hat. Genuss steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Verantwortung. Durch die Beschäftigung mit Ernährung bin ich 1981/82 als Redakteur bei ‚Konkret’ dazu gekommen, die erste Öko-Tipp-Seite zu schreiben. Es ging um Essen, aber auch um Formaldehyd in Haarwaschmitteln, Cadmium in roten Rührschüsseln und vergifteten Bienenhonig. Ich schrieb über verschnittenen Bordeaux-Wein, der deshalb so schön rot funkelte, weil man ihn durch ein Asbestsieb kippte. Und über Wurstwaren, die keine sind, weil nur der Mülleimer einmal durchgehäckselt wird und dann eine Pelle darüber kommt. Damals bin ich von einer Ohnmacht in die andere gefallen.
Was für Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?
Ich habe meine Ernährung auf Vollkornbrot und ähnlich Gesundes umgestellt. Das ging soweit, dass ich Slow Food-Mitglied wurde. Schließlich kam noch der Aspekt „fair“ hinzu. Denn ich möchte nicht nur gut und sauber essen, sondern alle Beteiligten auch richtig bezahlt und behandelt wissen. Inzwischen spielt dieser umfassende Bereich für mich eine sehr große Rolle, was auch der Antrieb für das ‚Kulinarische Kino’ der Berlinale ist. Am Anfang haben das alle verwechselt, weil sie dachten, wir wollen nur gut essen. Dabei geht es tatsächlich um viel mehr. Letztes Jahr haben wir eine Schulspeisungs-Initiative ins Leben gerufen. Wir sind auf eine unglaubliche Maschinerie von Monopolisten gestoßen, die ganz Europa aus Polen heraus mit aufwärmbarem Schulessen beliefern. Dort müssen sie nämlich keine Abwassergebühren zahlen und verdienen so noch mehr an ihren Fertiggerichten. Es geht bei den Slow Food-Initiativen aber auch um den Bau von Schulgärten. Viele Kinder wissen gar nicht mehr, wie Obst und Gemüse wächst oder wie es aussieht. Das ist ein ganz eigenes Universum.
Sehen Sie eine Verbindung zwischen Ernährung und Yoga?
Für Menschen, die Yoga praktizieren oder meditieren, liegt es nahe, den Körper sauber zu halten und ihn nicht zu verschmutzen. Yoga und Ernährung sind eng miteinander verknüpft. Für andere ist dies ein weiter Weg. Wir müssen uns den gesamten Kreislauf bewusst machen und gleichzeitig darf man die Leute damit nicht überfordern. Diesbezüglich bleibe ich eisern und nutze die Berlinale als Plattform, auch wenn ich von Kritikern belächelt werde. Die Berlinale hat damit in den letzten Jahren eine neue Dimension bekommen. Diese Themen fließen bewusst oder unbewusst, bemerkt oder unbemerkt mit ein. Ernährung war und ist für mich extrem wichtig. Ich möchte über eine Lusterfahrung Qualität sinnlich erfahrbar machen. Das macht einen Großteil meines Lebens aus – nicht etwa das Essen, sondern der Kampf um das Menschenrecht, nicht vergiftetes Essen zu bekommen.
Wie sind Sie selbst zum Yoga gekommen?
Dieter Kosslick: Das geschah sukzessive. Meine Frau Wilma macht schon ewig lange Yoga und mittlerweile unterrichtet sie auch – so ist Yoga bei uns zu Hause präsent. Ich selbst habe nicht über den spirituellen Ansatz begonnen, sondern aufgrund großer Schmerzen im Nacken- und Rückenbereich. Mein Arzt verschrieb mir dafür eine Bewegungstherapie, die erstmal eine reine Männerkiste an Geräten war: Hauptsache man braucht viel Kraft und es tut weh. Ich habe gespürt, dass mir das gut tut. Nach einiger Zeit haben wir dann die eine oder andere Yogaübung eingebaut und mit der Zeit wurden sie mehr und mehr Teil meines ‚Streck-mich-Programms’.
Seit wann ist Yoga fester Bestandteil Ihres Lebens?
Seit drei oder vier Jahren gehört Yoga zu meinem Übungsprogramm. Die Praxis ist so in meinen Körper und in meine Psyche integriert, dass ich diese halbe Stunde jeden Morgen – nach dem Aufstehen und vor dem Frühstück – mittlerweile brauche. Übe ich nicht, fühle ich mich nicht gut. Ich bin kein Yogaprofi, ich würde sagen, ich mache Yoga für den Hausgebrauch. Meine Schmerzen habe ich inzwischen im Griff und ich übe Yoga, um mich besser entspannen und konzentrieren zu können. Gerade in meinem Job kann der Geist sehr oft verwirrt sein. Dann ist es wichtig, ihn zu klären und frei zu machen.
Sie sind über die physische Seite zum Yoga gekommen. Spielt mittlerweile auch der spirituelle Aspekt eine Rolle?
Ich bin Zwilling und lebe schon über 60 Jahre mit dieser Sternzeichendualität. Dazu gehört – wie man bei uns in Pforzheim sagt – auch „Spinnkram“, also Spiritualität und Esoterik. Das ist ein Teil, den ich in mir trage und an den ich glaube. Ich war als Jugendlicher unendlich lange in der katholischen Kirche. Ich meditiere nicht, aber ich mache Konzentrationsübungen, die sind auch eine Art von Meditation. Früher bin ich viel durch die Welt gereist, vom Iran über Afrika bis nach Mexiko. Auf vielen dieser Reisen habe ich energetische Erfahrungen gemacht.
Haben Sie ein Beispiel parat?
In Palenque, Mexiko, gibt es eine unglaubliche Energie in der Erde und in den Pflanzen. Selten habe ich von so außergewöhnlichen Dingen geträumt, wie dort. Das ist mir nicht fremd, es ist ganz einfach Teil des Lebens.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme unserer Zeit sind weit verzweigt und unglaublich komplex. Was muss geschehen, damit sich etwas ändert? Mehr Yoga in Bankerkreisen…?
Die könnten nicht nur Yoga gebrauchen, sondern, wie Prince Charles einmal sagte: „We also need slow banking, not only slow food“. Das wäre besser als Bohrlöcher in die Erde zu bohren, das Meer zu versauen und das Ganze mit dem Geld der Kleinanleger zu finanzieren. Es ist Irrsinn, wie gesellschaftliches Kapital systematisch von privaten Firmen in einem nie da gewesenen Ausmaß kaputt gemacht wird. Das Verrückte ist, dass es trotz dieser moralischen, wirtschaftlichen und finanziellen Katastrophen weiterhin nur darum geht, noch mehr Geld zu machen und nochmal hunderte Millionen von Euro für Sinnloses wie Atomkraftwerke auszugeben, bis sie uns um die Ohren fliegen. Diese Dinge haben mich lange Zeit politisiert, aber dann auch auf eine andere Ebene gebracht. Und diese gern belächelte esoterische, anthroposophische, yogische, buddhistische – wie auch immer man sie nennen mag – Ebene, fehlt noch an vielen Ecken in unserer Welt. Aber gerade die brauchen wir, weil sie den Menschen erfahrener und letztendlich größer und besser machen kann.
In der Filmwelt wird deutlich mehr Yoga geübt, als unter Bankern, Wirtschaftsbossen und Finanzleuten. Beim Festival begegnest du sicher vielen Yogis. Siehst du einen Zusammenhang zwischen Yoga und Kreativität?
Klar, bei der Berlinale treffe ich viele Yogis. Das hat bei Schauspielern mit Konzentration und mit Rollenfindung zu tun, aber auch damit, was man bei Kindern ‘Selbstverlorenheit’ nennt: Sie sind beim Spielen so konzentriert, dass sie die Realität nicht mehr wahrnehmen. Sie verlieren sich selbst, was wiederum einen Entspannungseffekt und kreative Auswirkungen hat. Man darf nicht vergessen, dass Schauspieler nicht nur gute Tage haben. Die Schauspielerei ist ein sehr komplizierter, anstrengender, waghalsiger Beruf, bei dem man oft durchhängt, wenn es keine oder nicht die richtigen Rollen gibt. Eine gewisse Gelassenheit und Kontinuität in der Konzentration hilft – mit Yoga lässt sich das etablieren.
Dieter Kosslick ist seit 2001 Leiter der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Die 66. Berlinale findet vom 11. bis 21. Februar 2016 statt. www.berlinale.de.
Interview: Kathrin Steinbrenner
Fotocredit: Marc Ohrem Leclef / Berlinale 2012