Es gibt (nicht) viel zu tun
Dienen Sie, wem Sie wollen – aber dienen Sie! Karma Yoga ist einer der besten Wege zum Glücklichsein. Wenn man dabei nicht gegen sich selbst kämpft.
Als ich von der YOGA JOURNAL-Redaktion gefragt wurde, ob ich einen Text über Karma Yoga schreiben könne, war ich sofort Feuer und Flamme. Schließlich sollte es darin auch um Hanuman gehen, den Sohn des Windes. Mit seiner absoluten Hingabe an den Prinzen Rama hatte er mir immer imponiert. „Ich kenne nur zwei Dinge“, soll er einmal gesagt haben: „’Ra’ und ’ma’“. Man muss ihn einfach lieben, diesen starken Typen in Affengestalt. Als ich dann überlegte, welche Geschichte aus seinem Leben wohl am besten zu diesem Thema passt, fiel mir auf, dass Hanuman wenig mit dem zu tun hat, was heutzutage viele Lehrer als „Karma Yoga“ bezeichnen. Selbstloses Dienen, so heißt es, soll ein Weg zur Befreiung sein. Wenn ich mich derzeit allerdings in der Yogaszene umsehe, dann frage ich mich manchmal, ob die Chancen dabei immer so gut stehen.
Viele Lehrer bieten ihren Schülern an, ihr Ego durch freiwillige Mitarbeit in der Yogaschule abzubauen. Die Schüler dürfen die sanitären Einrichtungen putzen und können dafür umsonst in der Yogastunde mitmachen. Früher hätte man das „Tauschgeschäft“ genannt. Heute heißt es Karma Yoga. Im besten Fall fühlt sich der Schüler dabei doch wieder als etwas ganz Besonderes: Weil er vor den Augen der zahlenden Yogis zeigt, dass er (oder sie) sich nicht zu schade dafür ist, die Toiletten fremder Leute zu putzen. So viel Ego kann ja gar nicht mehr da sein! Gerade frische Yogis genießen es oft, sich im Sinne der Ideen großer Yogameister in die Arbeit zu stürzen; egal ob gerade Wochenende ist oder ein Feiertag. Wenn sie dann jemand aus ihrem Umfeld darauf hinweist, dass diese angebliche Aufgabe des Ego eher wirkt wie Selbstausbeutung, dann redet man sich ein, derjenige sei eben „noch nicht so weit“.
Mir stellt sich häufig die Frage: Warum gehen so viele Menschen im Namen der guten Sache über ihre eigenen Grenzen und oft gegen ihren eigenen Körper an? Ich glaube, dass „Karma Yoga“ manchmal einfach ein Etikett ist, das man über die eigenen inneren Antreiber klebt. Den Satz „Streng dich an!“ haben wir schon als Kind gehört. Wenn wir dem jetzt einen spirituellen Namen geben, sind wir aus dem Schneider – ohne dass wir tatsächlich etwas verändern mussten. Statt unser Ego abzubauen, wird es weiter fixiert. Es handelt sich um den verstecken Glauben: „Ich bin eigentlich nicht gut genug. Aber ich mache immerhin etwas für Gott. Also bin ich jemand!“ Es kann sich lohnen, vom starken Affen abzuschauen, aus welcher Haltung heraus er sich als Diener verstand. Hanuman hatte keinerlei Selbstzweifel. Er tat einfach das, was ihm richtig zu sein schien. Das ergab sich aus seiner tiefen Liebe zu Rama. Nachdem er Sita gerettet hatte, gab diese ihm ihre kostbarste Perlenkette. Hanuman nahm sie erfreut an und zerbiss dann jede einzelne Perle. Die Minister um ihn herum begannen ihn zu schelten, doch er entgegnete: „Lasst mich doch in sie hineinsehen. Wenn sie so wertvoll ist, muss Rama darin sein.“ „Nun übertreibt der Affe aber“, tönte es aus der Menge. Und weil er es nicht anders erklären konnte, öffnete Hanuman seine Brust. Dort, wo sein Herz war, konnten die Leute Rama und Sita sehen.
Man kann Karma Yoga nicht „machen“. Vielmehr werden die Dinge, die wir tun, zu Karma Yoga, wenn wir Gott (oder die Göttin) wirklich in unser Herz lassen. Man kann auf Kongressen beobachten, wie Yogis darüber diskutieren, ob und wie lange man beim Üben den Atem anhalten sollte. In Yogaforen werden Fragen gepostet, wie die, welche Meditationstechnik nun die „richtige“ sei. Wenn man wie Hanuman an die Sache herangeht, werden diese Details ein bisschen weniger wichtig. Mit der richtigen Haltung funktionieren alle Techniken gleich gut. Aus einer falschen Motivation heraus entsteht dagegen nie Karma Yoga, sondern eine Form der Selbstgeißelung. Sollte Ihnen also jemand Karma Yoga empfehlen, um an Ihrer Hingabe zu „arbeiten“, lautet mein Tipp: Vergessen Sie’s! Hingabe ist nichts, das man durch harte Arbeit oder kriegerische Akte entwickelt. Sie entsteht, indem man sich voller Freude vor etwas verneigt, das man als kostbar erkennt. Die Inder nennen es „full namaskar“, wenn sie sich im Tempel mit zusammengelegten Händen auf den Boden legen. „Dein Wille geschehe“ sagen wir in unseren Breitengeraden dazu. Das kommt – ganz einfach – von innen heraus. Man muss das Kind also nicht mit dem Bade ausschütten.
Karma Yoga ist in der Tat ein wunderbarer Weg. Wir können etwas von unserem Selbst vergessen, wenn wir lernen, unsere Kraft auch anderen zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, den Mittelweg zwischen Trotz und Selbstaufgabe zu finden. Dann wird unser Herz weit – wie das von Hanuman. Wer dagegen von seinen Schülern Karma Yoga fordert und dabei nur „hilflose Helfer“ ausnutzt, hat nichts verstanden. Ein Lehrer, der seine Schüler wirklich für Karma Yoga begeistert, findet auch Freude darin, wenn er ab und zu selbst für sie das Bad sauber macht.
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