Blumenkinder-Gedanken begleiten unsere Autorin Carmen Schnitzer seit ihrer Jugend und werden es vermutlich bis ins hohe Alter tun. Eine kleine Reflexion über die 68er-Bewegung, Politik auf der Yogamatte und Indienröcke …
Text: Carmen Schnitzer / Titelbild: Jasmina007 von Getty Images Signature
Der Spirit der 68er
Ich war 14, als ich die alten Indienröcke meiner Mama aus einer Kiste im Keller zog und sie trug, bis sie buchstäblich auseinanderfielen. Drei Jahre später erschien mein erster Artikel außerhalb einer Schülerzeitung: Für die Jugendseite der Neuen Presse Coburg hatte ich einen kleinen Text über die “Neo-Hippies” der 1990er-Jahre geschrieben. Zu den Büchern, die ich damals verschlang, gehörten eine John-Lennon-Biografie, Erich Segals “Love Story” oder Jugendromane über 70er-Jahre-Sekten, und aus meinem Kassettenrekorder und später CD-Player erklangen regelmäßig Flower-Power-Lieder, “be sure to wear some flowers in your hair”, you know. Du siehst schon: Die 68er-Bewegung übte schon früh eine Faszination auf mich aus, und so ganz davon weg bin ich, Jahrgang 1976, ehrlich gesagt immer noch nicht.

“Das Private ist politisch”
Umso mehr freute es mich natürlich, dass ich, nachdem ich wieder in meiner Geburtsstadt München und hauptberuflich im Journalismus gelandet war, Rainer Langhans und seinen “Harem” kennenlernen durfte, vor allem mit Christa Ritter hatte und habe ich immer mal wieder ein bisschen Kontakt. Bei aller Bewunderung gingen diese Begegnungen durchaus auch mit einer gewissen – sicher ganz gesunden – Entzauberung einher, denn siehe da: Das waren ja auch bloß Menschen! Sogar solche, mit denen ich gar nicht immer einer Meinung war – die aber glücklicherweise offen waren für Diskussionen. Trotz dieser Meinungsverschiedenheiten gibt es Sätze, mit denen ich nach wie vor sehr mitgehe, etwa den 68er-Spruch: “Das Private ist politisch”.
In Zeiten von Social Media hat der noch mal eine viel weitere Dimension bekommen, was sowohl neue Chancen als auch neue Probleme mit sich brachte, doch diesen Aspekt genauer zu beleuchten, führt hier zu weit. Im Kern aber denke ich schon: Wenn wir es im Kleinen nicht schaffen, miteinander klarzukommen, wie sollte es uns dann im Großen gelingen? Und umgekehrt: Wie wollen wir das große Ganze begreifen, wenn wir es als etwas betrachten, das außerhalb unseres Alltags besteht? Wo ist Demokratie ein sinnvoller Ansatz, wo braucht es Autorität(en), nach welchen Regeln wollen wir leben – all das gilt es schließlich auch in der Familie zu überlegen, im Freundeskreis zu diskutieren, am Arbeitsplatz auszuhandeln usw. …
“Darum geht es Tatsächlich. Um die Verbindung von Allem.”

Die Auflösung von Groß und Klein
In meinem Roman “Feuerwerkskörper” schrieb ich: “In meiner Kunst blicke ich auf den Kiesel, du in der deinen auf den Berg. Ich auf die Tränen, du auf das Meer, ich auf den Moment, du auf die Ewigkeit. Was die Märchen angeht, die Hoffnungen, die Illusionen, ist es umgekehrt: Ich glaube an eine friedliche Heilung der Welt, du an deine eigene Heilung durch Liebe. Kinder sind wir, alle beide. Verirrte, sehnsüchtige Kinder.” Damals stand ich noch ziemlich am Anfang meines Yogaweges, aber heute denke ich: Darum geht es tatsächlich. Um die Verbindung von allem, um die Auflösung von “Groß” und “Klein” – ich bin niemals nur Einzelperson, sondern immer auch Teil einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft.
Insofern kann Yoga eigentlich gar nicht unpolitisch sein. Selbst das Yoga nicht, das ich nur allein im stillen Kämmerlein betreibe. Denn wenn ich an mir selbst arbeite, wenn ich versuche, meinen Körper und Geist in Balance zu bringen und mich in Achtsamkeit übe, dann trage ich das auch in die Welt und treffe im besten Fall Entscheidungen, die einem harmonischen Zusammenleben von Menschen untereinander sowie von Mensch und Umwelt dienlich sind. Meine private Yogapraxis wird also ganz automatisch politisch.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Auch wenn mir beim Blick auf unseren Umgang mit der Welt manchmal ganz anders wird und ich nicht umhin komme festzustellen, dass wir den Karren sehenden Auges an die Wand fahren: Das Möchtegern-Hippiemädchen in mir will weiterhin an all das glauben, was mir als Teenie im Kopf herumschwirrte: “War is over, if you want it …” Die Hoffnung stirbt zuletzt – mit Blumen im Haar und vielleicht auf der Yogamatte. Aber noch ist es nicht so weit.

Indienröcke trägt Carmen Schnitzer immer noch gerne. Ihre letzten hat sie sich selbst in Dharamsala im Himalaya gekauft, auf ihrer ersten Reise ins Mutterland des Yoga. Erfahre mehr über unsere Autorin und besuche ihre Facebook-Seite.
Diese Kolumne stammt aus unserer YOGAWORLD JOURNAL Ausgabe 04/2024 mit dem Titelthema “Yoga & Politik”.
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