Kunstvoll und aufmerksam

Erica schreibt Elena eine E-Mail mit der Bitte, Elena solle sich Ericas Homepage ansehen und ihre Design- Arbeit beurteilen. Erica möchte das leben, was sie im Unterricht lehrt: Mut, Mitgefühl und Schönheit. Ob sich das in ihrer Webseite widerspiegeln würde? Elena erkennt sofort, dass sie in Erica eine kreative Partnerin gefunden hat, mit der sie ein besonderes Buch gestalten will. Die beiden greifen zu Buntstiften, Herz und Papier, sammeln Geld für den Druck und klären in Buchform kunstvoll über Aufmerksamkeit auf.

YOGA JOURNAL: Während ich durch die Seiten geblättert habe, musste ich mich sehr konzentrieren, um keins der vielen Details in eurem Buch zu übersehen. War es eure Absicht, detailreich zu designen, um beim Leser eine gewisse Aufmerksamkeit zu generieren? Ist Kunst per se ein Weg, Interesse zu steigern?
ELENA BROWER: Kunst kann einen sicherlich dabei unterstützen, wenn man aufmerksamer werden möchte. Unsere Absicht war es, unsere eigenen Wege aufzuzeigen, wie wir Informationen sehen und sammeln, die im Kontext mit Yoga, Philosophie und der Heilung stehen. Unsere Hoffnung ist es, dass unsere Leser anfangen, den Lernprozess auszukosten. Besonders, weil der Akt des Notierens immer digitaler wird. Wir wollten mit einem Buch anfangen, dass man tatsächlich in den Händen halten kann und das am Ende jeden Kapitels durch leere Seiten Raum für Kritzeleien, Spiele, Zitate oder selbst kreierte Unterrichtssequenzen lässt. Während meines Studiums habe ich mir immer gerne Notizen im bunten, kreativen Stil gemacht und mit Schriftzug, Größe und Platzierung gespielt, um meine Aufmerksamkeit auf gewisse Punkte zu lenken, die mir wichtig erschienen.

Das ist dein erstes Buch. Warum hast du dich dafür entschieden, es diesem Thema zu widmen? Hast du die Kunst der Aufmerksamkeit durch Anusara gelernt?
Als Yogalehrer suchen wir immer nach Wegen, unseren Schülern die verschiedenen Arten der Verbindung zu vermitteln. Dieses Gefühl der Verbindung in unserer Asana-Praxis ist mit dem Empfinden vergleichbar, das einen überkommt, wenn man seine Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes richtet. Athleten machen dieselbe Erfahrung, wenn sie in ihrer Materie aufgehen. Und sie sind erfolgreich, weil sie sehr achtsam und mit ihrem Sport verbunden sind. Erica und ich wollten besonders die interessanten Wege aufzeigen, die Lehrer anwenden, um sich dieser Verbindung zu nähern. Deshalb berührt jedes Kapitel eine tiefgreifende Form der Verbindung: Vergebung lernen, der Stille zuhören, unsere wahrgenommenen Begrenzungen erfahren, unseren Mitmenschen und Momenten in unserem Leben gegenüber präsenter und respektvoller sein. Es wäre schön, wenn wir alle die Kunst der Aufmerksamkeit praktizieren könnten. Wir beide haben erfahren, wie es sich anfühlt, wenn wir es selbst praktizieren. Und ja, gelernt habe ich die Kunst der Aufmerksamkeit von John Friend. Er hat uns gezeigt, wie wir Schönheit sehen und Kunst auf ungewöhnlichen Wegen erschaffen können. Seine Lehren haben eine besondere Ebene von Aufmerksamkeit in mein Leben gebracht, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich dazu im- stande wäre, sie zu fühlen. Dafür bin ich auf ewig dankbar.

Gab es schon einmal eine Situation in deinem Leben, in der es dir geholfen hat, in voller Aufmerksamkeit zu handeln?
Als dieses Buch vervollständigt wurde, bekam meine Mutter eine Stammzellentransplantation für das Mantelzell-Lymphom. Während dieser Monate gab es mehrere Momente, die meine volle Aufmerksamkeit forderten. Als sie wegen eines niedrigen Blutzuckerspiegels in meinen Armen ohnmächtig wurde und wir uns in die Augen sahen – beide voller Verwunderung darüber, ob sie nun wohl sterben würde – nie war ich präsenter in meinem Leben. In diesem Moment regierte die Angst unsere komplette Aufmerksamkeit, doch wir konnten uns gegenseitig ansehen, die Angst wegstoßen und stattdessen Liebe empfinden. Sich für die Liebe zu entscheiden, scheint mir immer eine sehr geeignete Möglichkeit zu sein, um schwierige Situationen zu meistern.

Ich habe einmal in einem Buch von Osho gelesen, dass Künstler die spirituellsten Menschen seien, weil sie bei jeder neuen Arbeit vertrauen müssen. Hast du bei eurem Buch dasselbe gefühlt?
Für mich bedeutet Spiritualität, wachsam und bewusst zu leben. Wenn ich an einem vertrauten Ort bin, kann ich diese Wachsamkeit sehr einfach üben. Und umgekehrt: Wenn ich auf diese Weise wahrhaft präsent bin, kann ich meine Bewertungen und Projektionen aufgeben und fühlen, dass ich vertraue. Dieses Buch zu gestalten wurde zu einer Feuerprobe für Erica und mich, in der wir Vertrauen üben und erfahren konnten. Erica vertraute meiner Textarbeit, ich vertraute ihrem künstlerischen Auge und manchmal tauschten wir die Rollen. Während unserer nächtlichen Arbeitssitzungen am Telefon (Erica lebte auf Hawaii und ich in New York – da blieb uns für die Arbeit nur die Zeit von Mitternacht bis drei Uhr morgens) mussten wir beide immer wachsam bleiben, um unseren Lesern am Ende das beste Ergebnis präsentieren zu können.

Du hast Modedesign studiert und als Kunstlehrerin gearbeitet. Jetzt unterrichtest du Yoga. Was ist für dich beim Yoga Kunst?
Auch hier halte ich mich an einen meiner ersten Lehrer, John Friend. Er lehrte mich, dass der Körper ein feines Instrument ist; eines, mit dem wir durch Ausrichtung eine grandiose Kunst schaffen können. Anusara lehrt uns, wie wir Muskeln in Beziehung zu Knochen platzieren sollen, um unsere Körper formvollendet öffnen und heilen zu können und nebenbei physisch Kunst zu erzeugen. Für mich ist die Kunst der Yogapraxis in dem Moment spürbar, wenn ich nicht praktiziere. Wenn meine Familie in Eile ist, ich gleichzeitig mit mehreren Dingen beschäftigt bin und plötzlich realisiere, dass ich (dank Yoga) trotzdem bei mir bleiben kann.

Im Buch kann man auch seiner eigenen Kreativität freien Lauf lassen und Sequenzen selbst kreieren. Hast du gemerkt, dass die Yogapraxis deine Kreativität gesteigert hat?
Erica und ich haben in unserem Yogastudium die gleichen Erfahrungen gemacht: Yoga steigert unsere Selbstliebe, was eine wichtige Komponente für Kreativität ist.

Kannst du uns verraten, was die wahre Kunst der Aufmerksamkeit ist?
Aus unserer Aufmerksamkeit Kunst zu machen ist ein Privileg, die wir als menschliches Wesen erfahren können. Wir bestimmen durch unsere Aktionen, Gedanken oder unsere Liebe, ob wir unsere Aufmerksamkeit zu Kunst machen – ganz egal, ob wir uns nun bewegen oder still sitzen. Wir können sogar ein Gespräch in ein kunstvolles verwandeln, wenn wir einer Person besonders aufmerksam zuhören.

 

 

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