Befreite Seelen und ein Paar Verrückte
Das Konzept der romantischen Liebe halten Sharon Gannon und David Life für überbewertet. Ihre Beziehung basiert auf Zusammenarbeit und Mitgefühl – für die Gründer des Jivamukti Yoga eines der besten Gefühle überhaupt.
YOGA JOURNAL: Sharon und David, wie lange kennt ihr euch schon?
SHARON GANNON: Wir trafen uns 1983 in New York City das erste Mal.
DAVID LIFE: Dreißig Jahre dieses Lebens sind eigentlich ziemlich schnell vergangen. Als Yogis müssen wir spezifischer benennen, von welchem Leben wir sprechen. Sharon und ich haben zwar keine speziellen Erinnerungen an frühere gemeinsame Leben, aber ein Gefühl, dass wir da weitermachen, wo wir das letzte Mal aufgehört haben.
Wart ihr schon immer ein Paar?
SHARON: Ein Paar [sic] Verrückte – ja. Ein verheiratetes Paar – nein.
DAVID: Der Begriff „Paar“ oder „paar“ kann unterschiedliche Bedeutungen haben. Darum weiß ich nicht so genau, wie ich darauf antworten soll. Lieber definiere ich den Begriff einmal: Es kann sich dabei um eine Mengenangabe handeln und sich auf zwei oder mehrere Einheiten beziehen. Ein paar Äpfel, ein paar Minuten … und dann spricht man noch vom „Paaren“ und meint damit einen sexuellen Akt, der normalerweise nur ein paar Minuten dauert (lacht) …
Versteht ihr euch als Liebespaar?
DAVID: Wir waren uns über die Jahre hinweg immer sehr nah, was uns wichtig ist. Wir finden aber auch, dass die romantische Liebe im Vergleich zu anderen Konzepten wie Zusammenarbeit oder Mitgefühl – eines der besten Gefühle – in unserer Kultur überbewertet wird. Manche Projekte gehen wir zusammen an, sind jedoch auch jeder für sich gleichsam produktiv. Bei gemeinsamen Projekten sind es unsere verschiedenen Ansichten und Meinungen genauso wie unsere Übereinstimmungen, die unsere kreativen Ergebnisse und Lösungen hervorbringen. Vielleicht trifft es die Antwort „ein Paar Verrückte“ wirklich am besten.
Wie integriert ihr yogische Prinzipien in eure Beziehung?
SHARON: Unser Zusammensein basiert auf Yoga. Es ist der Grund, weshalb wir zusammen sind. Wir unterstützen uns gegenseitig in unserer spirituellen Praxis. Wir befinden uns beide in einer äußerst verbindlichen Beziehung – mit Gott.
DAVID: Wir sind beide stark, was unsere spirituelle Praxis angeht, doch diese Praxis ist persönlich und privat. Wir respektieren die Praxiszeiten des anderen und helfen uns gegenseitig dabei, zu dienen. Auch unsere kraftvolle Dharma-Praxis teilen wir miteinander: als Sprecher und Vertreter für Yoga, Veganismus, Umweltschutz und Aktivismus haben wir die Jivamukti-Yogamethode und -schule in New York gegründet und betreuen noch immer unsere Schüler und alle anderen Center weltweit. Wir fühlen beide, dass eine funktionierende Beziehung nur zwischen zwei voneinander unabhängig glücklichen Menschen möglich ist, die
sich dafür entschieden haben, zusammen glücklich zu sein. Wenn eine Person von der anderen abhängig ist oder sich ohne sie nicht vollständig fühlt, steht das der Gleichheit im Weg, die solchen Prinzipien wie Zusammenarbeit oder Mitgefühl innewohnt.
Ihr lebt als Paar, das Brahmacharya [Enthaltung, Anm. d. Red.] als wichtiges Glied von Patanjalis Pfad praktiziert. Könnt ihr bitte etwas über eure Gründe, Erfahrungen, die Vorteile und Schwierigkeiten berichten, die damit in Zusammenhang stehen?
SHARON: Wir leben nicht als „Paar“ zusammen. Wir leben als Menschen zusammen, die Verzicht praktizieren, sich einer spirituellen Praxis verschrieben haben und keine Zeit für das Streben nach anderen Dingen haben. Da tauchen keine Schwierigkeiten auf, da wir uns von den normalen Erwartungen und Enttäuschungen befreit haben, die scheinbar die meisten Menschen in ihren Beziehungen plagen.
DAVID: Lass uns diesen Begriff erneut definieren, um Missverständnissen vorzubeugen. Brahmacharya ist Sanskrit, bestehend aus „Brahma“, dem schöpferischen Aspekt der hinduistischen Trinität Brahma, Vishnu und Shiva, und „Charya“, was unter anderem Fahrzeug oder Pfad bedeutet. Der Begriff bezeichnet also einen Weg, der zu Gott führt, und ein Fahrzeug, das sich dorthin bewegt. Man könnte auch sagen, dass sich das Wort auf den Umgang mit der kreativ-schöpferischen Energie bezieht, um Erleuchtung zu erlangen. Es steht mit allen Arten schöpferischer Partnerschaften in Verbindung und ist keineswegs ausschließlich für die Fortpflanzung unserer Spezies reserviert. Im klassischen Kontext wird als Brahmacharya-Lebensphase die von kleinen Kindern in Ashram-Schulen verstanden – eine Zeit, in der die schöpferische Kraft fürs Lernen und Wachstum verwendet wird. Im Sinne dieser Definition können wir behaupten, dass wir unsere gesamte schöpferische Kraft nutzen, um in diesem Leben Erleuchtung zu erlangen. Dahinter steht die Absicht, das Leid anderer zu mindern. Jeden Tag erfreuen wir uns daran, zu lernen, zu wachsen oder wieder mehr wie Kinder zu werden. Gründe haben wir viele dafür. Ganz besonders geht es uns jedoch darum, das Selbst in uns und im anderen wieder zu erkennen. Außerdem haben wir den Wunsch, das größtmögliche Maß an karmischen Rückständen in nur einem Leben zu verbrennen. Mit der direkten Unterstützung und Hingabe an die Verwirklichung durch den Lebenspartner ist das einfacher als im Rahmen normaler familiärer Pflichten.
Wie verwirklicht ihr diese Prinzipien in eurem Leben?
DAVID: Jedes Jahr verbringen wir einige Zeit zusammen in tiefem Rückzug in unserem „Wild Woodstock Forest Ashram and Sanctuary“. Normalerweise fasten wir dort und intensivieren unsere Sadhana. Wir stöpseln unsere Computer und Telefone aus und benutzen so wenig Elektrizität wie möglich. In dieser Stille versuchen wir, gemeinsam neue Grenzen auszuloten. Ein großer Vorteil ist, dass wir viele der „normalen“ Paar-Probleme umgehen, weil wir sie schlicht für irrelevant halten. Außerdem begegnen uns Spinnern nicht allzu viele „normale“ Probleme. Die Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, entstehen vor allem dadurch, dass viele Leute annehmen, wir seien ein „normales“ Paar und sich nicht für unsere individuellen Bedürfnisse und Sehnsüchte interessieren. Meist sind sie vollkommen auf dem Holzweg, was ihre uns betreffenden Vermutungen angeht. ✤