Nik Linder ist Apnoetaucher. Der Freiburger tauchte mit einem Atemzug 108 Meter unter Eis – Weltrekord. Um solche Extremleistungen zu schaffen, nutzt Linder Pranayama, Asanas, autogenes Training und Meditation,
denn Freediver sind die Yogis unter den Tauchern.
Apnoe heißt Atemstillstand oder „nicht atmen“, was etwas ganz anderes ist, als die Luft anzuhalten. Der Apnoetaucher Nik Linder sagt: „Ich mache Pause vom Atmen“ – und taucht dann minutenlang ab. Die Grundtechniken dafür kommen aus dem yogischen Pranayama.
Mit einem Atemzug unters Eis
Weißensee im Januar 2011. Kärntner Wintersportidylle. Nik Linder sitzt im roten Neoprenanzug auf dreißig Zentimeter dickem Eis mitten im See. Die Beine baumeln in einem Loch, herausgesägt aus der Eisschicht. Werbebanner, Zuschauer in Daunenanoraks, Sicherungstaucher mit Pressluftflaschen – Nik kriegt all das kaum mit. Der Freiburger konzentriert sich vollständig auf seine Atmung und den Rekordversuch: Er will mit einem Atemzug 108 Meter unter der Eisdecke durch den Weißensee tauchen. Ein letztes Mal tief Luft holen, dann verschwindet er im schwarzen Wasser.
Bewusste Entspannung
An Land und im Gespräch begegnet man Linder ganz anders: Kurzhaarfrisur, Dreitagebart, direkter Blick aus stechend blaue Augen – er strahlt etwas Besonnenes aus, wirkt erfrischend unaufgeregt und gut gelaunt. Egal wie viel Trubel um ihn herum tobt, er wählt seine Worte sorgfältig und lacht viel.
Man spürt: Dieser Mann ist tiefenentspannt. Das muss er auch sein, denn Entspannung ist die Quintessenz beim Apnoetauchen, der Tauchdisziplin ohne Flasche, wo alles von einem Atemzug abhängt. Rekorde wie Niks sind spektakulär und bringen Freediving (wie Apnoetauchen auch genannt wird) immer wieder in die Schlagzeilen – doch eigentlich geht es hier gerade nicht um das „Weiter, tiefer, länger“, sondern um bewusste Entspannung.
Atempausen nehmen
Genau das lehrt Linder in seinen Apnoe-Workshops, denn mittlerweile kann der gelernte Sparkassen-Versicherungskaufmann von seinem einstigen Hobby leben: Er ist Profiathlet, Trainer, schreibt Bücher und gibt Entspannungsseminare – nicht nur für Taucher. So lehrt er etwa, wie man Stress wegatmen kann. „Sich eine Atempause nehmen“, nennt Nik das. Schon nach wenigen Minuten verlangsamt sich der Puls und man entspannt sich. Dabei nutzt Linder Aspekte aus Yoga Nidra, autogenem Training, Meditation und vor allem Pranayama. Entwickelt hat er all das natürlich für seine Tauchgänge. Wobei sich seine Lust auf Yoga anfangs in Grenzen hielt. Der Türöffner war die Einsicht, dass er hier eine Menge Techniken finden würde, die seiner Tauchpraxis und seinem Unterricht mehr Tiefe geben könnten. Inzwischen ist Yoga Teil seiner täglichen Routine geworden. „Ich mache jeden Morgen Kapalabhati und abends Anuloma Viloma, dazu Aufladeübungen und verschiedene Asanas“, sagt Nik. „Das reicht, um die Atmung bewusster wahrzunehmen. Außerdem bin ich so viel entspannter, weniger impulsiv und meine lästigen Schlafstörungen sind auch verschwunden.“
Weltrekord
In der Woche vor unserem Gespräch war Nik in Ägypten, dann auf Madeira, anschließend standen Kroatien, Türkei und die Bahamas auf dem Plan – das Leben als Profi-Athlet kann ganz schön anstrengend sein. „Nach einem langen Tauchtag ertappe ich mich schon mal bei dem Gedanken: Mensch, damals bei der Versicherung, da hattest du nach acht Stunden Feierabend!“, sagt Nik. Aber dann muss er selbst darüber lachen. Nein, er ist mit seinem Leben, den Reisen und seinen Rekordversuchen glücklich. Wie damals am Weißensee, als er nach 76 Sekunden und 108 Metern wieder Luft holen konnte – denn er hatte den Weltrekord an diesem winterlichen Tag im Januar tatsächlich gebrochen.
Foto: Cedric Schanze