Als Yogis wissen wir, dass unsere Praxis viel mehr ist als ein praktisches Übungssystem zur Gesunderhaltung von Körper und Geist. Sie hilft uns, ethische Lebensprinzipien zu entwickeln und im Alltag umzusetzen. Yoga als weltweite Massenbewegung könnte ein wichtiger Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung sein.
Die UN-Klimaverhandlungen haben gezeigt, dass das Problem des Klimawandels nicht alleine durch die internationale Staatengemeinschaft gelöst werden kann. Die Diskussion um den Klimawandel spiegelt jedoch nur eines von vielen sozial-ökologischen Herausforderungen der Menschheit wider. Weitere globale Probleme wie Artensterben, Verlust von Biodiversität, Bodenerosionen, Wasserknappheit, Hunger, Verschuldung oder Armut können nur gelöst werden, wenn verschiedene Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft sich gemeinsam für eine nachhaltige Entwicklung engagieren. Eine solche Entwicklung, bei der die jetzige Generation nicht auf Kosten künftiger Generationen lebt, muss neben den Dimensionen Ökologie, Soziales und Wirtschaft auch geistig-kulturelle Aspekte berücksichtigen.
Viele der oben genannten Probleme liegen maßgeblich in unserem westlichen Wirtschaftssystem begründet, das auf permanentes Wachstum, Massenkonsum und –produktion ausgerichtet ist. Die „Wirtschaft“ ist kein abstraktes Gebilde, sondern die Summe der daran beteiligten Menschen und damit positiv gedacht durch Menschen auch (um-)gestaltbar. Diese individuelle persönliche Perspektive führt uns zu der Frage, welche Rolle wir als Yogis dabei spielen (wollen). Wir alle sind Teil der Wirtschaft und es gibt vielfältige Möglichkeiten, sich als Arbeitgeber oder -nehmer, Kapitalgeber oder Konsument für eine zukunftsfähige Gestaltung der Wirtschaft einzubringen. Dabei können wir dem Ideal von Mahatma Gandhi folgen: Wir müssen zuerst selbst die Veränderung werden, die wir in der Welt sehen möchten. Damit liegt die Verantwortung für die Zukunft dieser Welt bei jedem einzelnen.
Unsere Rolle als Konsumenten
Wir leben in einer Zeit, in der der (Massen-)Konsum eine zentrale Rolle in der westlichen Gesellschaft spielt. Konsum stiftet Menschen Identität, soziale Zugehörigkeit und stellt einen zentralen Ausdruck des individuellen Lebensstils dar. Die Massenmedien als Sprachrohr der Wirtschaft kreieren in diesem Kontext eine kollektive Wirklichkeit, in der Marken und Produktwelten Status und soziale Orientierung geben. Die Botschaften der Werbeindustrie sind omnipräsent und wir können uns diesem Einfluss kaum entziehen, insbesondere im urbanen Raum. Die Botschaften und Bilder transportieren häufig Informationen, die nach yogischen Prinzipien die Entwicklung des Menschen und das soziale Miteinander behindern. Es werden dadurch Werte wie Wettbewerb, Neid, Oberflächlichkeit, Schnelligkeit oder Geiz verbreitet, die gerade Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter sozialen und ökonomischen Druck setzen. Bedauerlicherweise wird dieser materialistische und konsumorientierte Lebensstil von multinationalen Konzernen in aufstrebende Schwellenstaaten wie Indien oder China importiert, was die globalen ökologischen und sozialen Herausforderungen verschärft.
Yoga und Nachhaltigkeit
Umso wichtiger ist es, dass Yoga als weltweite soziokulturelle Bewegung einen Beitrag in der Diskussion um Nachhaltigkeit liefert. Sowohl die Schriften als auch das Leben vieler Yogameister geben uns Ideen für einen nachhaltigen Lebensstil. Konsum stellt als Alltagshandlung für viele Menschen eine erste einfache Möglichkeit dar, um sinnvoller und nachhaltiger zu leben, daher wird das Thema in der Gesellschaft sichtbarer – Beweise dafür sind beispielsweise die Ausbreitung von Biosupermärkten oder die wachsende Verfügbarkeit von Biolebensmitteln in konventionellen Supermärkten.
Die Karma-Lehre gibt uns eine gute Orientierungshilfe an die Hand, um uns die Auswirkungen unserer Konsumhandlungen bewusst zu machen. Dabei können wir zwei Aspekte beachten:
1) Das Karma des Produktes
Jedes Produkt hat eine individuelle Entstehungsgeschichte und ist das Ergebnis verschiedener Wertschöpfungsstufen, an denen unterschiedliche Menschen mitgewirkt haben. In unserer globalisierten Welt reicht diese Ursache-Wirkung-Kette rund um die Welt und hat damit einen erheblichen Einfluss auf das ökologische Gleichgewicht. Jedes Produkt besitzt demnach einen „karmischen Rucksack“, in dem die sozialen und ökologischen Bedingungen der Produktion gespeichert sind. Wir sind also für jeden Artikel, den wir kaufen, verantwortlich. Deshalb sollten wir uns vor jedem Kauf in Anlehnung an einige yogische Tugenden (Yamas und Niyamas) folgende Fragen stellen:
– Zufriedenheit (Santosha): Brauche ich das Produkt wirklich oder will ich es nur haben, um mein Ego zu befriedigen? Welchen Beitrag liefert der Konsum zu meiner Zufriedenheit?
– Gewaltlosigkeit (Ahimsa): Welche Schäden haben Produktion und Handel für Natur, Mensch und Tiere verursacht?
– Nicht-Stehlen (Asteya): Kann das natürliche Gleichgewicht von Mutter Erde meinen Konsum während meiner Lebenszeit wieder ausgleichen oder betreibe ich damit Raubbau an den natürlichen Ressourcen?
Am Beispiel der Konsumentscheidungen von Lebensmitteln kommt man über diese Denkweise zu einer biologischen, saisonalen, regionalen und vegetarischen (veganen) Ernährungsweise. Andere Konsumentscheidungen wie der Kauf eines Elektronikartikels sind durchaus komplexer, da die Produktionsbedingungen für den Laien nicht vollständig transparent sind. In diesem Zusammenhang ist der Ratgeber der Bundesregierung „Der nachhaltige Warenkorb“ zu empfehlen. Dieser kann kostenlos im Internet heruntergeladen oder als Broschüre bestellt werden: www.nachhaltiger-warenkorb.de. Auch das Portal des Öko-Instituts www.ecotopten.de oder verschiedene Konsumratgeber der Umweltverbände (z.B. die Greenpeace Textil-Fibel oder der WWF Fisch Ratgeber) helfen Verbrauchern, das Karma des Produktes im Dschungel der nachhaltigen Konsumentscheidungen zu bestimmen. Bei vielen Konsumentscheidungen lohnt es sich aber auch darüber nachzudenken, ob es ein neues Produkt sein muss oder ob es auch als Secondhand-Variante erhältlich ist.
Dem aktuellen Zeitgeist entsprechend, entwickelt sich derzeit der Megatrend des Selbermachens (Do-it-yourself / DIY) als Gegenbewegung zum anonymen Massenkonsum. Dem folgt auch die ursprüngliche Bedeutung der Wortschöpfung „KarmaKonsum“: Karma bedeutet in seiner einfachsten Form “Handlung“ und wenn wir für unseren Konsum selbst wieder handeln, sprich produzieren, lösen wir uns aus der Abhängigkeit von ökonomischen Zwängen. Diese stark an Nachhaltigkeit orientierte Bewegung, die unter dem Schlagwort „Prosumenten“ (eine Wortschöpfung aus den Wortstämmen Produzent und Konsument) diskutiert wird, ist eine Grundlage neuer ökonomischer Modelle wie z.B. der Postwachstumsökonomie, einer radikalen Neuorientierung der Wirtschaft.
2) Das Karma des Geldes
Durch diese zweite Perspektive sollten wir uns bewusst machen, was nach dem Kauf mit unserem Geld geschieht. Wer erhält es und wofür wird es verwendet? In welchen Wirtschaftskreislauf fließt es? Behält man diese Überlegungen im Kopf, wird aus jeder Konsumentscheidung ein (wirtschafts-)politischer Akt. Wir stimmen mit unserem Geldschein darüber ab, welche Zukunft wir möchten. Es macht einen Unterschied, ob ich mein Geld einem multinationalen Konzern gebe, der primär durch monetäre Interessen getrieben ist und das Geld zu einer möglichst hohen Rendite an seine anonymen Anteilseigner (Shareholder) ausschütten möchte oder ob ich mein Geld einem regionalen Biolandwirt gebe, der es in die giftfreie Bewirtschaftung seines Hofes reinvestiert. Am Beispiel des fairen Handels wird auch deutlich, dass bei diesen Fairtrade-Konsumentscheidungen immer ein Teil des Geldes direkt in die nachhaltige Entwicklung von Kleinbauern und deren Familien in Entwicklungsländern fließt. Streng nach ökonomischen Prinzipien gedacht, bestimmen wir als Konsumenten über die Produktion. So lange wir nicht aufhören, günstige Massenware zu kaufen, wird sie auch angeboten werden.
Häufig wird von Kritikern bemerkt, dass diese Art des Konsums nicht für jeden finanzierbar sei. Dem entgegne ich aus eigener Erfahrung und der Beobachtung anderer Menschen heraus, dass sich bei der Umstellung der Konsumgewohnheiten nach yogischen Prinzipien häufig automatisch eine neue Bescheidenheit (Tapas) und Einfachheit entwickelt. Mögen in diesem Sinne Yogapraktizierende nicht nur wichtige Treiber des nachhaltigen Konsums werden, sondern zur Avantgarde eines neuen einfachen freiwilligen Lebensstils (Lifestyles of voluntary simplicity / LOVOS) erwachsen. Hari Om Tat Sat.
Von Christoph Harrach
Der Diplombetriebswirt und Yogalehrer Christoph Harrach ist Gründer des Portals KarmaKonsum.de.