Julia Schmelter reiste vor einiger Zeit nach Indien. Doch nicht, um dort entspannt Urlaub zu machen. Sondern um sich zur Asthanga-Lehrerin ausbilden zu lassen. Dabei lernte sie das „wahre“ Asthanga-Yoga kennen – und das hatte nichts mit dem zu tun, was sie in Deutschland darüber gelernt hatte…
Es gibt kein zurück mehr. Ich habe gebucht. Indien. Vier Wochen Ashtanga Yoga Teacher Training. Was mich dort erwartet? Keine Ahnung. Nach langer Recherche habe ich mich für eine kleine Schule außerhalb Mysores, dem Herzen des Ashtanga Yogas, entschieden. Jetzt bin ich um 1500 Euro ärmer und ziemlich nervös, was mich dort erwarten wird.
2. Januar
Nach einem langen Flug und einer schrecklichen Busfahrt sitze ich in einer typisch indischen Riksha auf dem Weg zu meiner Yoga-Schule. Langsam werde ich richtig aufgeregt. Wir halten vor einem großen Haus, sofort kommt ein Inder raus und begrüßt mich herzlich. Es ist Jaykumar, mein Lehrer. Er sieht nicht unbedingt wie ein typischer Yogalehrer aus. Klein, mit rundlichem Bauch, erinnert mich eher an einen Universitäts-Professor. Tatsächlich hat er auch an der Uni von Mysore gelehrt, außerdem für die Indische Botschaft in Moskau gearbeitet. Sein Haus ist groß, unten die Yogahalle, darüber wohnt er und im zweiten Stock die Schüler. Ich beziehe also den zweiten Stock – und wundere mich, wo wohl die anderen Schüler sind. Wie es aussieht, bin ich die Einzige. Einzeltraining? Das kann ja was werden!
3. Januar
Mein erster Morgen, der Wecker klingelt um fünf Uhr. Es ist dunkel und kalt. Ich bereue zutiefst, dass ich den Kurs gebucht habe. Hilft ja nichts. Ich ziehe mich an und gehe in die Yogahalle. Dort wird mir schnell klar: Ich bin doch nicht allein. Zwei indische Jungs aus dem Dorf machen mit mir die Ausbildung. Wir sind also zu dritt, ich die Einzige aus dem Westen, noch dazu eine Frau. Meine enge Leggings hatte ich an diesem Tag zum ersten und zum letzten Mal an!
Seit ungefähr einem Jahr bin ich Fan des westlichen Ashtanga-Stils. Diese Art von Power Yoga hat mir sofort gefallen, ich begann, immer regelmäßiger Kurse zu besuchen. Etwas Ähnliches erwartete ich in Indien. Mir war klar, dass wir auch viel atmen, singen und meditieren werden – doch wie viel es tatsächlich sein würde, konnte ich ja nicht ahnen!
Zuerst werde ich die Atemwelt (Pranayama) eingeführt, dann in die Meditation. Ziemlich schwer, nicht einzuschlafen um diese Uhrzeit, ohne Kaffee… Als wir mit Atmen und Meditieren fertig sind, geht es weiter mit Sonnengrüßen. Irgendwie funktioniert das hier etwas anders. Langsamer und nicht so strikt. Um acht ist die erste Klasse vorbei und das Einzige, was ich will ist: einen starken Kaffee.
4. Januar
Heute auf dem Programm: Ein Einzelgespräch mit meinem Lehrer. Er möchte mich kennen lernen. Sein erster Kommentar ist: „Wir müssen zunächst das westliche Ashtanga aus dir raus kriegen. Wir lehren hier das ursprüngliche Ashtanga, traditionell nach Patanjali.“ Soso. Ich habe keine Ahnung, wer das ist.
7. Januar
Yogaphilosophie. Jetzt erfahre ich also ein wenig mehr über Patanjali. Er war der Erfinder des Ashtanga Yogas. Ashtanga Yoga bedeutet, nach dem achtgliedrigen Pfad zu leben. In Sanskrit heißt „ashta“ acht und „tanga“ Teile, erklärt mir Jaykumar und zählt alle acht Stufen von der Moral bis hin zum Superbewusstsein auf. Ich bin verwirrt. Was für ein Ashtanga habe ich denn die ganze Zeit gemacht? Jaykumar lächelt. Die Frage scheint er schon häufiger gehört zu haben. Bei seinem Ashtanga wird bei den Asanas größten Wert auf eine langsame, bewusste Atmung gelegt. „Der Atem entscheidet darüber, wie lange du lebst. Sieh dir die Schildkröte an“, sagt mein Lehrer. „Die lebt über 200 Jahre, weil sie so langsam atmet.“ Aha. Das westliche Ashtanga orientiert sich dagegen stark an Pattabhi Jois, der gesagt hat: Die Leute wollen keine Theorie, sondern Power. Also entwickelte er dynamisch-anspruchsvollen Ashtanga Vinyasa Flow-Stil, der mir eigentlich bisher ganz gut gefallen hat. Jaykumar meint jedoch, dass diese Art leider nichts mehr mit dem ursprünglichen Ashtanga zu tun hat. Im westlichen Ashtanga hetzt man von Asana zu Asana, springt in den Sonnengrüßen und kommt komplett außer Atem – das sei vollkommen kontraproduktiv.
8. Januar
Mir tut alles weh. Mein rechtes Bein lässt sich kaum noch bewegen. Der permanente Schneidersitz während der Vorträge ist nichts für mich. Herrje, wie machen die Inder das bloß? Die können Stunden auf dem Boden rumsitzen, ohne Probleme. Nichtsdestotrotz quäle ich mich aus dem Bett und gehe in die Yogahalle…
9. Januar
Sonntag, endlich ein Tag frei!
15. Januar
Das Chanten der Mantren ist immer noch komisch für mich, ich habe so etwas noch nie vorher gemacht. Ich muss mich richtig konzentrieren, die Sanskrit-Worte mitzusingen (das ist schon kompliziert genug) und gleichzeitig zu verstehen (echt schwierig). Das Meditieren fällt mir auch nicht gerade leicht. Schließlich komme ich direkt aus dem Chaos der westlichen Welt, mein Kopf ist voller Gedanken, Zweifel, Hoffnungen etc. Das Bein tut übrigens immer noch weh.
23. Januar
Cleaning day. Heißt: Wir bekommen eine kleine Gießkanne in die Hand gedrückt, in der warmes Salzwasser ist. Das soll durch das eine Nasenloch rein und durch das andere wieder raus. Soll den Nasengang reinigen. Seltsame Angelegenheit. Danach gibt mir Jaykumar einen Mini-Schlauch, den ich durch die Nase einfädeln und durch den Mund wieder rausziehen soll. Wie bitte?! Er macht es mir vor, röchelt und hustet wie wild. Ich weigere mich. Doch Jaykumar drängt mich, es zu versuchen. Es geht nicht, ich huste wie verrückt und habe ein hochrotes Gesicht. Ich gebe auf. Es geht weiter: Magenreinigung! Ich trinke fünf Gläser warmes Salzwasser und kotze es wieder raus. Ich bin vollkommen erschöpft. Keine Ahnung, ob sich das nun gut anfühlt oder nicht. Zumindest ist mein Bauch von innen gereinigt. Na prima.
25. Januar
Es wird einfacher. Mein Körper und mein Geist gewöhnen sich langsam an das straffe Programm.
29. Januar
Au weia… Mein erster Unterricht! Ich soll die normale Yogaklasse meines Lehrers übernehmen. 90 Minuten, 15 Leute, alles Inder, die seit Jahren Yoga machen. Ich bin fürchterlich aufgeregt. Jaykumat beobachtet mich mit strengem Blick. Die letzten zwei Tage habe ich ein Programm zusammengestellt mit Meditation, Pranayama, Mantras und Asanas. Zuerst muss ich vor der gesamten Klasse ein Mantra chanten und – alle 15 chanten mir nach. Cooles Gefühl! Meine Aufregung legt sich mit jeder Minute mehr. Die Asanas habe ich mir zur Sicherheit auf einen Spickzettel geschrieben, da ich mir nicht alle Bezeichnungen merken kann. Klappt ganz gut. Mein Lehrer ist halbwegs zufrieden.
31. Januar
Der Kurs geht seinem Ende zu. Zum Abschluss fragt mich Jaykumar das Gelernte ab. Ich bin selbst überrascht, was ich in der kurzen Zeit alles gelernt habe.
02. Februar
Abreisetag. Mein Körper ist in Hochform, so fit war ich noch nie! Und erst recht nicht so ruhig und frei im Kopf. Was für ein Gefühl! All die Anstrengung waren es echt wert. Am Ende bekomme ich mein offizielles Zertifikat. Ich habe es wirklich geschafft und bin jetzt Yogalehrerin für traditionelles Ashtanga Yoga! Die vier Wochen werde ich nie vergessen. Danke, Jaykumar!