Die Freiheit der Frauen: Das ist ein großes Lebensthema der Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Karoline Herfurth, das sich auch in ihren Filmen widerspiegelt. Im Videochat sprachen wir mit ihr über vermeintliche Körperideale, Sexualität und die Kraft der Gemeinschaft …
Interview: Carmen Schnitzer / Titelbild: Anne Wilk
Ihr Film “Wunderschön” beschäftigte wsich mit Körperidealen und Schlankheitswahn aus der Perspektive von fünf sehr unterschiedlichen Frauen. 2025 kam der zweite Teil in die Kinos: “Wunderschöner”. Woher kam das Bedürfnis, die Geschichten weiterzuerzählen?
Ehrlich gesagt war dieses Bedürfnis zunächst gar nicht da. Wir haben doch alles erzählt, dachte ich. Dann aber war die Resonanz auf den Film sehr berührend, wir haben gemerkt, wie viele Menschen sich darin so abgeholt und gesehen gefühlt haben. So wuchs die Motivation, die Geschichten von Sonja, Julie, Leyla, Vicky und Frauke weiterzuentwickeln. Gleichzeitig hatten wir das Gefühl, dass beim Thema Körperdruck in den letzten Jahren auch gesellschaftlich einiges passiert ist, das wir mit aufnehmen wollten. Wir haben diesmal den Fokus etwas anders gesetzt.
Ein bisschen weg von der Schönheit hin zur Sexyness …
So ungefähr. Im ersten Teil war die große Frage: Was können Frauen tun, um weniger Zeit in den Körperdruck zu investieren, dafür mehr in sich selbst, die eigenen Wünsche und Ziele, die eigene Kraft, ihr Können. Diesmal beschäftigte uns die Frage: Warum landet der Fokus eigentlich immer wieder und mit solcher Brutalität überhaupt auf Frauenkörpern? Was ist das System dahinter, was der Ursprung – und warum ist es immer die Aufgabe von Frauen, diesbezüglich Lösungen zu finden? Schönheitsideale haben viel mit Sexysein und Fuckibilitiy zu tun. Aber was ist das eigentlich, für wen und warum? Man landet dann recht schnell beim Thema Sexualität. Das zu untersuchen, fanden wir spannend. Auch die Frage: Was hat Sexualität mit Freiheit zu tun? Das spitzt sich dann besonders in dem neuen Erzählstrang zu, in dem es um Prostitution geht …
Unter anderem wegen dieses Strangs habe ich den zweiten Film als irgendwie dunkler empfunden als den ersten. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob “dunkler” das richtige Wort ist …
Schmerzhafter vielleicht. Das bringt die Thematik sicher mit sich. Auf der anderen Seite ist es mir sehr wichtig, dass man mit Hoffnung und einem kraftvollen Blick ins Leben aus dem Film gehen kann.
Das ist durchaus gelungen, finde ich.
Das freut mich. Ich finde im Leben liegen die schmerzhaften und schönen Dinge manchmal nah nebeneinander und ich glaube fest daran, dass man sich zusammenschließen kann, dass man gemeinsam noch mal eine ganz andere Kraft entwickeln kann als alleine und dass man so eben auch Türen öffnet für eine gute Sicht auf die Dinge. Ich glaube total daran, dass wir Menschen die Welt besser machen können, dass wir eigentlich alle gut zusammenleben wollen – und dass es beim Geschichten-Erzählen eben auch darum geht, diese optimistische Perspektive zu integrieren.

Hauptsache sexy? Im Mittelpunkt von Karoline Herfurths aktuellem Film „Wunderschöner“ stehen sechs Frauen unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen Lebensumständen, die ihren Selbstwert nicht mehr an diesem Anspruch ausrichten wollen.
Den Film gibt es derzeit unter anderem bei Prime Video, Apple TV und Magenta TV im Stream. Hier geht es zum Trailer.

Dabei spielt auch das Thema Verzeihen eine große Rolle, nicht wahr? Inwiefern können wir anderen verzeihen? Inwiefern uns selbst?
Im Film geht es zum Beispiel bei Milan und Sonja sicher auch darum, in dem ganzen Alltagswahnsinn und dem Druck, dem Eltern ausgesetzt sind, den liebevollen Blick füreinander nicht zu verlieren. Das hat sicher mit Verzeihen zu tun, aber auch mal mit einem Perspektivenwechsel. Was schafft der andere alles, was schaffen wir gemeinsam, wo geben wir uns etwas? Der Blick dafür geht im Alltag schnell mal unter.
Schwieriger wird Verzeihen bei dem Paar, bei dem der Mann zu einer sehr jungen Zwangsprostituierten geht …
Und wir lassen bewusst offen, ob das Verzeihen hier gelingt. Wir erzählen die Geschichte eines Mannes, dem die volle Dimension seines Handelns selbst erst bewusst wird – und was er ändern kann, damit seine Familie ihm eventuell verzeiht. Das wird einem ja in der Regel nicht einfach so geschenkt.
Ich halte es ja für sinnvoll, bei feministischen Themen die Männer mit ins Boot zu holen. Wie sehen Sie das?
Nun ja, Feminismus heißt ja zunächst mal einfach, jeden Menschen mit den gleichen Rechten ausstatten zu wollen – auch in Deutschland sind wir ja von Gleichberechtigung noch weit weg. Beziehungsweise in vielen Bereichen weiter weg, als wir denken. Das hat viel mit Prägung zu tun. Ich glaube, dafür ein Bewusstsein zu schaffen, ist ein erster Schritt, damit sich wirklich etwas ändern kann – und das ist für alle Menschen wichtig, denn sicher leiden auch Männer unter einem ungleichen System und könnten von mehr Freiheit und tatsächlicher Gleichberechtigung profitieren. Ich glaube fest daran, dass Augenhöhe der Weg zu einem schöneren, kraftvolleren Zusammenleben ist.
Das hoffe ich auch. Erstaunlicherweise scheint ja immer noch der Mann der “Norm-Mensch” zu sein und die Frau die Abweichung davon. Es gibt zum Beispiel Kleidung – und es gibt “Frauenkleidung”. Als Frau kannst du problemlos im Hosenanzug auf die Straße gehen, als Mann im Blümchenkleid wirst du schief angeguckt …
Und das zieht sich durch die Gesellschaft. Der Standard, an dem sie sich ausrichtet, ist der männliche, auch bei alltäglichen Dingen wie Arbeitszeiten, dem Arbeitsrhythmus, der Gestaltung von öffentlichen Bereichen … Das aufzubrechen, verschiedenste Lebensrealitäten auch ins öffentliche Bild und in den Standard mit zu integrieren, das ist es, glaube ich, was uns weiter nach vorne bringt und was die Aufgabe der Zukunft ist.
Da stimme ich zu. Das Thema “nach vorne bringen” bedeutet ja auch “etwas besser machen”. Die Frage, inwieweit das Streben nach einem “Besser” in Bezug auf uns selbst sinnvoll ist, war auch ein Ausgangspunkt für diese Ausgabe: Ab wann kippt es hin zu einem ungesunden Selbstoptimierungswahn?
Ich glaube, der zentrale Punkt ist hierbei Wahrhaftigkeit. Sich selbst kennen, gesund leben wollen etc. sind ja erst mal gute Dinge. Die Frage ist: Geht es wirklich um mich oder um die Abdeckung einer bestimmten gesellschaftlichen Erwartung? Ich empfinde es als eine große Kunst, mir selbst so nah zu kommen, dass ich zum Beispiel merke, welche Bewegung mein Körper tatsächlich braucht, welche Ernährung, welchen Schlafrhythmus … Und zwar unabhängig von sozialen Anforderungen, Schönheitsidealen etc. Da gilt es, die Balance zu finden und zu erkennen, wann man sich von sich selbst entfremdet.

Balance – das ist auch ein großes Yogathema …
Und ganz bestimmt kann Yoga helfen, den eigenen Rhythmus kennenzulernen, in einen Gleichklang und eine innerliche Aufgeräumtheit zu kommen. Und eben diese Fragen zu beantworten: Bin ich das? Macht mich das kraftvoll? Erfüllt es mich wirklich? Oder ist es eine Pflicht und ein Erfüllen von äußeren Anforderungen, die mir gar nicht entsprechen? Diese Unterscheidung kann nur jeder und jede für sich selbst treffen.
Was teilweise sauschwierig ist.
Auf jeden Fall! Allein schon, weil wir permanent umgeben sind von äußeren Anforderungen, von Körperbildern etc. … Es wird einfach so viel Geld damit verdient, mit der Diskrepanz zwischen einem vermeintlichen Ideal und der tatsächlichen Form von Menschen und Körpern. Das Bild, was wir im öffentlichen Raum wahrnehmen und das, was wir im Spiegel sehen, das ist so weit voneinander entfernt … Wir sind umgeben von einem permanenten Druck, einem permanenten Imperativ und einem falschen Versprechen: So sollst du aussehen, dann klappt’s auch mit dem Glücklichsein!
Was mir in Sachen Körperbilder viel Druck genommen hat, sind, so banal es klingen mag, Saunabesuche oder FKK.
Oh ja, oder überhaupt einfach ein Badesee! Das ist das Schönste, denn da siehst du einfach Menschen mit den unterschiedlichsten Körpern und merkst, dass wir alle nicht so aussehen wie auf Plakaten, auf Social-Media-Posts oder auch in den meisten Filmen. Wir sind es ja zum Beispiel auch gar nicht mehr gewohnt, dass Frauen normal altern und etwa Falten bekommen. Halle Berry macht sich aktuell dafür stark, dass älteren Frauen im Film mehr Beachtung geschenkt wird. Dann gibt es da noch Pamela Anderson, die Schlagzeilen macht, weil sie ungeschminkt über rote Teppiche spaziert – für Männer schon immer eine Selbstverständlichkeit!
„Die Hitze der Diskussion zeigt, dass etwas im Wandel ist. Da geht es um mehr als Körperbilder. Es geht darum, dass Frauen machtvoll und frei sein können.“
Und dann gibt’s wieder Anfeindungen, weil Halle Berry und Pamela Anderson ja trotzdem so attraktiv und “normschön” aussehen …
Gut – dass Frauen es eh nur falsch machen können, ist ja ein alter Hut.
Sehen Sie dennoch Fortschritte in den letzten Jahren? Oder vielleicht eher das Gegenteil?
Ich glaube, dass Körperdruck und weibliche Sexualität unglaublich viel mit einer tatsächlichen Freiheit von Frauen zu tun haben. Und das ist, glaube ich, eine Wellen bewegung. Das Bewusstsein über diese Thematik wird immer größer, habe ich das Gefühl – aber dadurch gibt es auch immer mehr Widerstand. Das Patriarchat schlägt zurück, heißt es, und da ist schon was dran. Plötzlich bekommen etwa konservative Männlichkeitsbilder wieder Zulauf. Fortschritt führt eben immer auch zu Abgrenzung oder Gegendruck. Ich denke aber, die Hitze der Diskussion zeigt, dass etwas im Wandel ist. Und das ist ein unglaublich tiefgehender, struktureller Wandel. Da geht es um mehr als Haut- und Körperbilder. Es geht darum, dass Frauen machtvoll und frei sein können. Erst kommt das Bewusstsein, dann folgen die Strukturen. Ein langer und schwieriger Weg. Aber trotz der Rückschläge: Ich glaube, die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten.

Ihre Frage nach einem möglichen 3. Film-Teil tut Carmen Schnitzer (so gern sie ihn sehen würde) im Nachhinein leid, war Karoline Herfurth doch gerade erst fertig mit Teil 2 und hat sich erst mal ein Durchatmen verdient.
In Folge 11 unseres Podcast hat sich Carmen Schnitzer Körperbildern gewidmet und sich mit Körperwahrnehmung und Schönheitsidealen beschäftigt. Hier kannst du die Folge hören:
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