Doug Keller leitet Workshops und Teacher-Trainings in den USA, Europa und Indien. Er ist Professor für das Master-Studium “Yoga Therapy” an der Universität von Maryland und Autor des zweibändigen Werkes “Yoga as Therapy”. Nach seinem Studium in östlicher und westlicher Philosophie verbrachte er sieben Jahre im Ashram von Swami Muktananda in Ganeshpuri, Indien. Unsere Gastautorin Melanie Oetting hat ihn getroffen, um mit ihm über Yogatherapie zu sprechen. Lesen Sie das komplette Interview in unserer März/April Ausgabe 2015.
Hat Ihnen auch schon mal jemand gesagt, dass das heutige Yoga hier im Westen ja gar nichts mehr mit dem ursprünglichen Yoga zu tun hätte? Dass Yoga hierzulande viel zu körperlich sei – eher ein Workout als ein spiritueller Weg? “Ein gewisser Wandel vom Geist zum Körper hat tatsächlich stattgefunden”, so Doug Keller. “Ursprüngliche Yogatraditionen hatten ihren Fokus hauptsächlich – und nicht selten ausschließlich – auf den Geist gerichtet. Damals war Yoga jedoch auch einigen wenigen Menschen vorbehalten und der Masse gar nicht zugänglich. Eine wesentliche Einsicht des modernen Hatha Yoga ist, dass der Weg zu geistiger, emotionaler und körperlicher Gesundheit oft beim Körper und bei der Atmung beginnt”, so Keller. “Es ist schwer, sich direkt an Gefühle oder Geisteshaltungen zu wenden. Insofern ist der Körper die beste und naheliegenste Adresse für einen Start. Das Problem dabei ist nicht die körperliche Praxis, sondern die Tatsache, dass diese immer öfter kompetetiv wird oder vom Ego angetrieben. Liegt also das Problem nicht eher in unserer Haltung dazu als im Wesen des Hatha Yoga?”
Asanas und Atmung sind für viele Menschen ein überschaubarer Einstieg in die Welt des Yoga. “Ihren Nutzen”, so Keller, “fühlt man oft sofort: In Form von weniger Schmerzen, beweglicheren Gelenken und Muskeln, freier Atmung und mentalem Wohlbefinden. Verdauungs- oder Durchblutungsprobleme verbessern sich schnell durch das Synchronisieren von Asanas und Atmung. Auch sind die wissenschaftlichen Belege heute deutlicher und die Wirkungen messbar. Also doch nicht alles Esoterik und Wunschdenken”.
Allerdings müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, dass nur eine fortgeschrittene Yogapraxis der Gesundheit gut tut. “Eine simple, genussvolle Praxis”, meint Keller, “ hat den größten gesundheitlichen Nutzen”. Für viele Menschen, besonders für solche mit emotionalen Problemen, ist ein Einstieg über Meditation oder Pranayama oft zu hart. “Ist es zu schmerzhaft, sich nach innen zu richten, beginnt man eben außen – und arbeitet sich langsam nach innen vor. Letztendlich macht eine strikte Trennung von innen und außen ja auch gar keinen Sinn. Yoga eignet sich prima, sämtliche Arten von körperlichen Beschwerden zu verbessern. Dabei ist es kein Ersatz für eine medizinische Behandlung wenn eine Erkrankung vorliegt – aber eine enorme Unterstützung.”
Melanie Oetting ist Journalistin, Physiotherapeutin und Yogalehrerin. Sie unterrichtet u.a. Rückenyoga bei Yoga-Elements am Zürichsee.