Freiheit und Methode
Im Zenith seiner Karriere schmeißt ein erfolgreicher Rapper alles hin. Was ihm fehlte? „Glück“, sagt Michael Kurth alias Curse. Was meint er damit? Der Buddhist, Coach und Lehrer für tibetisches Yoga im Gespräch.
Curse, in deinem Buch „Stell dir vor, du wachst auf“ beschreibst du Methoden, mit denen du mehr Präsenz und Klarheit in dein Leben gebracht hast. Normalerweise steht der Einsatz fester Formeln dem Verständnis von Kunst und Kreativität entgegen.
Und meine Probleme entstanden dann, wenn genau das passierte. Wenn ich das Gefühl hatte, mich in krassen Gegensätzen zu befinden: „Ich kann das eine nicht machen, weil das andere anliegt. Ich kann nicht gelöst sein, weil mich Strukturen unter Druck setzen. Ich gerate ins Driften, weil ich keinen Halt habe.“ Meine Erfahrung mit Meditation, Yoga und Achtsamkeitspraxis haben mir geholfen, unter anderem diese Trennung aufzuheben.
Also kann man auch in der Anspannung Entspannung leben?
Warum nicht? Samsara, es geht ja immer weiter. Die Vorstellung, dass alles immer funktioniert, wenn ich nur die drei richtigen Dinge beachte, ist ja eine Illusion. Mit meiner persönlichen Mischung aus Elementen des systemischen Coaching und Bewusstseinsübungen habe ich gelernt, mir bestimmte Impulse zu setzen. Das wurde zur regelmäßigen Praxis. Und selbst wenn es damit mal nicht so klappen sollte, habe ich eine bewährte Grundlage, zu der ich jederzeit zurückkehren kann. Ich möchte von keiner Methode abhängig sein. Die Praxis gibt mir zwar Struktur, aber ihre Methoden helfen mir vor allem, wenn die Struktur mal wegbricht. Mit einer solchen Situation gehe ich mittlerweile tatsächlich viel entspannter um als früher.
Siehst du darin auch einen Schlüssel zum Glück? Falls ja, zu welchem?
Ob ich heute glücklicher bin als vor zehn Jahren? Ja, eindeutig. Dennoch kann ich es nicht hieb- und stichfest definieren. Ein Buddhist würde sagen, dass ein solcher Schlüssel in der Erleuchtung liegt, aber er würde nicht von „Glück“ sprechen, eher davon, die wahre Natur des Geistes zu erkennen. „Glück“ ist sicher ein überstrapaziertes Wort. In meinem Leben habe ich es früh mit meinem Traum gleichgesetzt, Musik zu machen, damit und davon zu leben. Seit ich zehn, elf Jahre alt war, wollte ich immer Rapper werden. Das verstand ich unter Ankommen und Zufriedensein. Darüber hinaus hatte ich immer den Wunsch nach einem ausgeglichenen Zustand, einem gesunden, erfüllten Leben. Aber obwohl ich als Künstler Erfolg hatte, stellte er sich nicht ein.
Das „Schneller, Weiter, Höher“ funktionierte nicht.
Was ich nicht verstanden habe. Ich versuchte, die Antwort im Äußeren zu finden, arbeitete noch mehr, plante größere Konzerte und wollte höher in die Charts. Ich setzte auf Leistung und wollte messbare Ergebnisse. Meine innere Programmierung lautete: Sei stark, sei perfekt. Je mehr ich ihr folgte, desto unglücklicher wurde ich.
Würdest du von einem Burnout sprechen?
Ähnlich wie in der Diskussion um Depression will ich hier keine Schublade aufziehen, aber auf jeden Fall gab es das Hamsterrad-Gefühl. Ich schien immer mehr zu investieren, um immer weniger zu erreichen. Selbstkritik, Selbstzweifel und Einsamkeitsgefühle waren an der Tagesordnung. Gleichzeitig funktionierte ich bestens. Nur weil ich ein ziemlicher Durchhaltemensch bin, hat es mich nicht zerrissen. Stattdessen kam das Gefühl, dass ich, wenn es so weitergeht, als Mensch endgültig an einen Punkt kommen würde, an dem ich nicht mehr weiter kann. Es musste sich also grundsätzlich etwas ändern, nur wusste ich nicht, was.
Du hast dann erst mal eine Pause von der Musik eingelegt. Warum musstest du dich von diesem Teil deiner selbst trennen?
Ich war der Meinung, differenzieren zu müssen. Im Studio zu sein, Songs zu schreiben und auf der Bühne zu stehen, war nie das Problem. Schwierigkeiten machten mir das Darstellen, Verkaufen, mich in die Öffentlichkeit zu bringen. Davon brauchte ich eine Pause, nicht von der Musik an sich: Ich habe in der Zeit sogar ein Rockprojekt angefangen, aus reinem Spaß.
Wurde – verzeih das Wortspiel – der Curse zum Fluch?
Aber hallo! Ich habe dann angefangen, für andere Künstler zu schreiben, und hatte sogar einige Top-Ten-Hits. Ich habe Kunst gemacht, musste sie aber nicht verkörpern, was ich sehr genoss. Für mich als Curse habe ich Klarheit geschafft, alle Verträge auslaufen lassen und in meinem Umfeld für Verwunderung gesorgt. Privat habe ich meine langjährige Beziehung beendet. Schließlich habe ich mit einem systemischen Coach gearbeitet, der mich noch weiter hinter die Kulissen geführt hat, mit der einfachen Frage „Worum geht es hier?“ Irgendwann stand ich nur noch vor mir selbst. Und auf dieser Reise, sehr genau hinzuschauen, habe ich Meditation entdeckt.
Was waren die wichtigsten Stationen dieser Reise?
Ich habe einige Systeme ausprobiert und habe meine wichtigsten Anker im Buddhismus, Osho-Kontext und dem tibetischem Kum-Nye-Yoga gefunden, das ich heute auch unterrichte. Extrem wichtig für mich war und ist auch das „Path of Love“-Programm. Mit meinem Buch und meinem Podcast will ich aber niemanden mit krassen Meditationserfahrungen, extremen Konzepten und den speziellen Instruktionen meiner Lamas überladen. Letztlich empfinde ich das als Privatsache. Mir geht es darum, die Basics zu zeigen, die für mich gewirkt haben, aus denen wiederum andere sich ihr eigenes System basteln können.
Womit wir wieder bei Formeln wären: Ist deine im Buch beschriebene „OOOO+X“-Methode ein Baukasten für bewusstes Leben?
Darin konzentriere ich einfach meine Erfahrungen, die eigentlich gar nicht spektakulär, sondern realistisch gelebt sind. Das erste O steht für „offener Raum“, das zweite O für das portugiesische Wort „Obrigado“ – Dankbarkeit als Praxis und Ressource –, das dritte O für OM, also Meditation, das vierte O für das japanische „Ocha“ – Bewusstheit in alltäglichen Dingen – und das X für „Exercise“, also Bewegung. Für all das müssen wir nicht in den Himalaya ziehen, wir können aber jeden Tag einen kleinen, wichtigen Schritt gehen.
Das widerspricht eindeutig dem Leistungsprinzip, das absurderweise auch häufig auf spirituelle Systeme übertragen wird.
Buddha hat sich nicht vor 3000 Jahren unter den Baum gesetzt, damit Manager heute effizienter an ihren Tabellen arbeiten können. In meinen Workshops und Ausbildungen habe ich oft eine Atmosphäre des „Let’s master this!“ gespürt. Für mich zählt inzwischen die Ausrichtung nach innen. „Relax. It’s gonna be fine.“ Aus der Entspannung entstehen die besten Ideen, der beste Zugang zu sich selbst. Da ich auch Coachings im Business-Kontext leite, höre ich Menschen oft sagen: „Ich habe 15 Minuten, gib mir drei Tools für mehr Ruhe und Klarheit.“ Ich antworte dann so: „Das erste Tool ist mehr Zeit, dann entspanne dich und atme ganz tief ein.“ Unser Problem ist oft nicht die fehlende Methode für ein besseres Leben, sondern die unbestimmte Vorstellung, es sollte „besser“ sein. Das gilt auch für den Körper. Wir sollten ihn nicht als optimierungsbedürftig, sondern als Tor zur Freude empfinden. Als offenes Tor, ohne Gatekeeper.
Braucht es für diese Erkenntnisse ein gewisses Alter? Muss man schon eine Weile gelebt haben, um überhaupt das Verlangen danach zu entwickeln?
Ich habe Literaturwissenschaft und Soziologie studiert, und auch in meiner Musik sind diese Themen seit meinem ersten Album präsent: Wer bin ich, wer sind die anderen, Selbst- und Außenwahrnehmung. Das hat sich in den letzten 20 Jahren nicht maßgeblich verändert. Anders als früher beschäftige ich mich aber nicht mehr nur intellektuell damit, sondern brauche die Erfahrung. Die Auseinandersetzung damit ist ins Tun gegangen. Ich kann zehn Meditationsbücher lesen oder mich zehn Minuten still hinsetzen. Dann entsteht eine zusätzliche Dimension.
Wie beeinflusst es dich, dass du seit neun Jahren in einer Familie lebst?
Genau deswegen sehe ich zu, dass ich mich um meinen Scheiß kümmere. Ich bin froh, dass ich intensiv an mir selbst arbeiten konnte, bevor meine Frau und ihr damals vierjähriger Sohn in mein Leben traten. Gerade der Kontakt mit ihm motiviert mich, auch meine Schattenseiten zu konfrontieren und offen mit ihnen umzugehen. Und apropos Struktur: Das Familienleben bringt mir mehr Routine als jede Meditation. Wenn mein damals kleiner Sohn morgens in seinem Spiderman-Frottee-Schlafanzug vor mir stand, war sonnenklar, welche Abläufe jetzt starten. Das tat mir gut. Denn das Künstlerleben ist in den seltensten Fällen routiniert.
Mit seinen genreuntypisch poetischen Texten gilt der in Berlin lebende Curse als einer der Wegbereiter des deutschen Rap und hat seit 1996 sieben Alben veröffentlicht. Besondere Bekanntheit erlangte er vor allem durch den mit Silbermond aufgenommenen Song „Bis zum Schluss“ (2008), der bis heute sein erfolgreichster Titel ist. Außerhalb der Musikszene gibt er Workshops zu den Themen Meditation und Work-Life-Balance, dazu produziert er den Podcast „Meditation, Coaching & Life“ und gehört zum Line-up der Wanderlust Festivals 2018. Sein Buch „Stell dir vor, du wachst auf“ ist bei Rowohlt erschienen.
www.curse.de