Yoga und Workout – Wie passt das zusammen?
Wer die heutige Yogawelt betrachtet, stellt fest, dass Yoga innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte eine unglaublich hohe Zahl an Stilblüten hervorgebracht hat. Selbst Yogarichtungen aus einer Entwicklungszeit von mehreren Tausend Jahren werden dabei um ein Vielfaches überstiegen. Die meisten „neuen“ und immer populärer werdenden Stile finden ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten. Ähnlich wie die Fitnesswelle in den 80er Jahren von Amerika nach Europa schwappte, so erreicht uns auch das westliche Yoga aus den USA.
Die Parallelen sind unverkennbar: Massenmobilisation, Kommerzialisierung, inhaltliche Systematisierung sowie die Dominanz amerikanischer Konzepte. Wer sich Yogakongresse anschaut, fühlt sich in die Anfänge der Fitness- und Aerobic-Conventions zurückversetzt. „Presenter“ (heute: „Yoga-Presenter“) üben mit Massen von Menschen alle möglichen Yogastile – je intensiver und schweißtreibender, desto gefragter.
Auspowern als Hauptmotivation
Von diesem Standpunkt aus betrachtet hat ein gewisser Teil der westlichen Yogakultur sehr viel mit „Workout“ zu tun. Es ist offensichtlich, dass Yoga in vielen Fällen Menschen begeistert, die nicht in erster Linie die „höheren Ziele“ des Yoga vor Augen haben, sondern ganz profan Bewegung, Schwitzen oder Auspowern als Hauptmotivation für ihre Praxis sehen. Genau diese Beweggründe wurden von verschiedenen Yogakonzepten früh erkannt; ein typisches Beispiel ist Power Yoga. Hier lässt der Name unterschiedliche Interpretationen zu. Einerseits könnte „Power“ ganz neutral für Energie oder Kraft stehen (Energie Yoga, Energetisches Yoga, Lebensenergie), andererseits ist die Assoziation mit der Fitnessbranche unübersehbar. Besonders in diesem Zusammenhang steht „Power“ für körperlich besonders anstrengende Trainingsformen und lässt auf einen Anspruch auf mehr Jugendlichkeit, Leistungsfähigkeit und dem Streben nach gängigen Schönheitsidealen schließen.
Natürlich hat jeder Yogastil seine Berechtigung, und besonders wir Yogaübenden sollten Toleranz und Akzeptanz als eine der bedeutendsten Prinzipien unserer Lebenseinstellung ansehen. Egal, ob Yogapraktizierende eher den Wunsch nach einem energetischen Workout oder einer spirituellen Körpererfahrung haben: Yoga kann nicht missbraucht werden, solange die Übungspraxis aus eigener und freier Entscheidung geschieht.
Der Weg zum Ich führt über den Körper
In Zukunft könnte die Verbindung Workout und Yoga jedoch um einen weiteren, bedeutenden Aspekt ergänzt werden: Einerseits lassen die Prognosen über demographische Entwicklungen einen deutlichen Anstieg der höheren Altersgruppen erkennen, andererseits werden allgemeine Bewegungsarmut und einseitige Haltungsmuster weiterhin auch Probleme der jüngeren Altersschichten bleiben. Die Bedürfnisse der Menschen könnten sich in eine Richtung entwickeln, der am besten durch differenzierte Yogaformen begegnet werden sollte. Eine der wichtigsten Bestimmungen der Yogalehrer besteht also darin, Teilnehmern in den Einsteiger- und Mittelstufestunden primär den Status ihrer eigenen Körperlichkeit zu vermitteln. Ziel sollte dabei sein, dass sie ihren eigenen Körper kennen und verstehen lernen. Dieses Prinzip steht in keinem Widerspruch zu dem spirituellen Anspruch der Yogapraxis. Der Weg zum Ich führt über den Körper, wobei der Körper kein unüberwindbares Hindernis sein darf, sondern vielmehr der Schlüssel zur spirituellen Praxis. Dieser Weg steht jedem Menschen offen, unabhängig von seinen individuellen Voraussetzungen und dem Level seiner Praxis. Das macht das System Yoga wunderbar offen und zum Tor der Selbsterfahrung im eigenen Körper. Jeder sollte sich sein Yoga erarbeiten können – oder wie man im englischsprachigen Raum sagen würde: „Workout Your Yoga.“
Sonja Söder (BDY/EYU) praktiziert verschiedene Yogastile und begründete 1999 das Yogakonzept Woyo („Workout-Yoga“). Als Leiterin der Woyo Akademie entwickelt sie die angebotene Yogalehrerausbildung (200 h) vor allem im Bereich Yoga-Physiologie/ Anatomie und Hilfestellung bei Gelenkproblemen ständig weiter. www.woyo.de