Magical Mystery

Eine yogische Spurensuche in Ägypten, Vögel füttern als spirituelle Handlung, dazu viele Übungen aus ihrer persönlichen Praxis: Sharon Gannons neues Buch „Mein magischer Morgen“ ist – wie seine Autorin – etwas exzentrisch, ein wenig mystisch und absolut erfrischend.

TEXT: CHRISTINA RAFTERY FOTOS: GUZMAN

Sharon, wie unzählige Yogaübende auf der ganzen Welt wissen, bist du immer für eine Überraschung gut. Aber dass du dich, wie du in „Mein magischer Morgen“ berichtest, in der ägyptischen Cheops-Pyramide in einen Sarkophag legst und dort eine außerkörperliche Erfahrung durchlebst, übertrifft so einiges. Wie kam es dazu?

Das kann ich ehrlich gesagt nicht beant­worten. Irgendetwas zog mich auf magi­sche Weise in diesen Steinkasten. Es war keine bewusste Entscheidung, es gab kei­ne Absicht, keinen Grund und kein Ziel. Ich wusste nicht, was auf mich zukam.

Abgesehen davon, was du dort über dich und deine Vergangenheit erfahren hast, ist es natürlich eine gute Geschichte. In welcher Beziehung stehen Yoga und Erzählkunst für dich?

Wir alle leben unsere individuelle Geschichte – den Weg unserer Seele zur Erleuchtung. Wie Schauspieler überneh­men wir in dieser Geschichte eine Rolle. Dabei folgen wir einem Drehbuch, das wir aufgrund unseres Karmas selbst ge­schrieben haben. Yoga passiert, wenn wir aufwachen, das Rollenspiel bemer­ken und aufhören, uns mit diesem Part zu identifizieren. Eine „Jivanmukta“ (be­freite Seele) ist eine Person, die erkennt, wer sie jenseits des Charakters in der Geschichte wirklich ist, und die ihren Part auf der Bühne des Lebens dennoch überzeugend ausfüllt.

Das von dir und David Life gegründete Jivamukti-Yoga gilt als sehr kreative Form der Praxis, in der „Storytelling“ seinen festen Platz hat.

Die meisten Traditionen überliefern ihre Inhalte über Geschichten – denken wir nur an die Upanishaden, das Rama­yana, das Mahabharata, die Bhagavad Gita, das Shrimad Bhagavatam und die Bildergeschichten des alten Ägypten.

Du bist Musikerin, Künstlerin – und experimentierst nun auch mit Fiktion.

„Mein magischer Morgen“ enthält Ge­schichten, weil ich meine Ideen erzähle­risch umrahmen wollte, statt bloß Fakten aufzuzählen. Ich hoffe, dadurch auf einer tieferen Ebene kommunizieren zu kön­ nen. Eine gute Geschichte packt uns jen­ seits des Intellekts. Wenn wir uns in ihre Figuren hineinversetzen und mit ihnen auf die Reise gehen, spricht sie auf zau­ berhafte Weise Intuition und Gefühle an.

Welche Autoren und Autorinnen haben den größten Einfluss auf dich?

Diejenigen, die mich in ihrem Schreiben wie eine Freundin ansprechen, die mit ihrer Kunst in Kommuniktation treten anstatt zu dozieren, Bekenntnisse abzu­ legen oder lediglich Informationen bereit zu stellen. Mich ziehen Schriftsteller an, die an Magie, Mystik und Erleuchtung glauben. Mein Lieblingsbuch als Kind war die Biografie des Zauberkünstlers Harry Houdini.

Du berichtest auch von einer interessanten These zum Ursprung des Yoga: das alte Ägypten statt Indien – ein ziemlicher Perspektivenwechsel. Magie?

Niemand weiß, wo und wie Yoga tat­ sächlich entstanden ist. Die meisten Menschen, die damit in Berührung kom­men, spüren jedoch früher oder später eine natürliche, instinktive Verbindung. Dann kann tatsächlich Magie ins Spiel kommen: Wenn das, was wir bislang als „wahr“ betrachteten oder empfanden, plötzlich anders erscheint und größere Möglichkeiten eröffnet.

Wie kann uns das zehnwöchige Programm, das du im Buch präsentierst, helfen, den Alltag magisch aufzuladen?

Meiner Meinung nach hilft uns die Yogapraxis, uns an unsere Verbin­dung zum Göttlichen zu erinnern, die allen von uns innewohnt, egal, welchen Hintergrund wir haben. Die Übungen können dazu beitragen, unseren Fokus von negativen Gewohnheiten zu lösen: der Hang, andere für unser Unglück verantwortlich zu machen, Stress, Un­sicherheit, Ängste, Identifikation mit dem vergänglichen Körper, belastende Gedankenspiralen. Ich sehe sie als Weg zu unserem erleuchteten Selbst, zu Frieden und Lebensfreude.

Asanas machen nur einen Teil des Programms aus. Welchen Stellenwert hat deine „Magic Ten“-Sequenz?

Diese zehn einfachen Haltungen unter­ stützen die körperliche Gesundheit: Sie kräftigen, erhöhen die Flexibilität und bewegen die Wirbelsäule in alle sechs Richtungen, was optimale Mobilität ge­währleistet. Die Umkehrhaltungen, in denen der Kopf tiefer als das Herz plat­ ziert ist, sind gut für das Herz, das men­tale Wohlbefinden und einen frischen Blick auf die Dinge. Das ganze Pro­gramm kann man in 10 Minuten üben, was sicher dem Zeitgeist entspricht. Die restlichen Kapitel, darunter Kriyas, Pranayama, Meditation, Tanz und Für­ sorge für alle Lebewesen, was ich am Beispiel des Vögel fütterns beschreibe, schaffen den größeren Rahmen.

Was bedeutet „Älterwerden“ für dich?

Das Leben ist ein Geschenk, das uns die Möglichkeit gibt, jeden Morgen voller Dankbarkeit aufzuwachen. Unsere Kör­per sind zweifellos vergänglich. Was uns in und mit ihnen jedoch jung hält, ist für mich das Bewahren einer kindlichen Begeisterung für die Wunder des Lebens – und gerade nicht das Gefühl, über al­les Bescheid zu wissen. „Erwachsensein“ definieren wir normalerweise damit, dass wir aufhören zu wachsen. Ich versuche dagegen, immer wieder Neues zu lernen.

Apropos „wachsen“: Wo siehst du Jivamukti-Yoga heute, über 30 Jahre nach seiner Gründung?

Als globale Gemeinschaft im Zeichen von Mitgefühl und Hingabe an das Göttliche. Was die Zukunft betrifft, setzen wir ganz besonders auch auf die Community in Deutschland, die sich sich als erste au­ ßerhalb der USA selbständig gemacht und profiliert hat. Ihre Erfahrung und ihr Potenzial werden die kommenden Entwicklungen wesentlich mitgestalten.


WOZU YOGA?

Vögel füttern als spirituelle Praxis

Freundlichkeit ist der Schlüssel zum Yoga. Ohne die Entwicklung von Mitge­fühl gegenüber anderen können Sie im Yoga keine Fortschritte machen. Sich um andere zu kümmern, ist ein siche­rer Weg, das eigene Glück zu erhöhen. Wenn wir die Dinge in erster Linie tun, um uns selbst gut zu fühlen, steigern wir nur die Identifikation mit unserem klei­nen Selbst – unserem Körper, unserem Geist und unserer Persönlichkeit. In den Yoga Sutras führt Patanjali diese Identi­fikation als das Haupthindernis für Yoga an und nennt es Avidya, was „Ignoranz“ oder „falsche Identität“ bedeutet. Die Yogaübungen zielen darauf ab, egozentrische Sorgen abzulegen und den Fokus auf die Belange anderer zu legen. Zugunsten anderer von eigenen Bedürfnissen abzu­sehen, erweitert das Selbstgefühl und be­ wirkt wahres Selbstvertrauen. Von sich selbst besessen zu sein, kann zu Unglück und Depression führen. Der Schlüssel zu größerem eigenen Wohlbefinden ist, zum Glück anderer beizutragen.

Warum also Vögel? Wenn Sie wil­de Vögel füttern, versichern Sie sich auf karmische Weise, dass Sie immer genug zu essen haben werden und Ihre eigene Wildheit nicht sterben wird. Vögel und andere wilde Tiere haben es schwer, in einer von egozentrischen Menschen dominierten Welt zu überleben. Die meis­ten Menschen nehmen an, dass Vögel in freier Wildbahn selbst wissen, wie sie für sich sorgen können und weisen die Verantwortung von sich. Tatsache ist aber, dass wir Ihren natürlichen Lebens­raum mit Pestiziden verschmutzt oder gar zerstört haben. Vögel brauchen so wenig für ihr Leben: Ein paar Samen und ein paar Tropfen frisches Wasser. Für uns bedeutet das nicht viel. Für ein gefiedertes Wesen kann es über Leben und Tod entscheiden.


„Mein magischer Morgen“ von SHARON GANNON gibt es seit 25. März im Irisiana Verlag.

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