Interview: Alexander Hacke und Danielle de Picciotto

Nichts für die Kreissäge: Mit „Unity“ haben „Einstürzende Neubauten“-Bassist Alexander Hacke und die Love Parade-Mitgründerin Danielle de Picciotto ein Album für Yoga und Meditation komponiert. Dass das Berliner Künstlerpaar auch hierbei neue Wege beschreitet, ist keine Überraschung, sondern eine außer-gewöhnlich tief gehende Erfahrung.

„Das allgemein Übliche liegt uns nicht so“

Im Booklet eurer CD steht eine Warnung: „Obgleich es auch nur zur Entspannung (…) gehört werden kann, raten wir stark davon ab, ‚Unity‘ abzuspielen, während Automobile oder andere schwere Maschinen betätigt werden“. Interessant, sich vorzustellen, was anderenfalls passieren könnte …

Danielle: Das ist natürlich humorvoll gemeint, andererseits soll es auch verdeutlichen, wie wirkungsvoll Meditation sein kann.

Alexander: Das Album soll Introspektion und einen meditativen -Zustand unterstützen. Im Straßenverkehr und an der Kreissäge ist aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Form der Aufmerksamkeit gefragt.

Ihr seid seit einigen Jahren fast permanent unterwegs und habt große Teile eures Besitzes aufgegeben – eine Übung in Loslassen?

Danielle: Die Entscheidung, alles aufzugeben, hat unser Leben auf allen Ebenen verändert. Vorher waren wir Sammler, nun haben wir den Minimalismus als extrem befreiend entdeckt. Ursprünglich ging es uns vor allem darum, als Künstler neue Wege zu finden, um überleben zu können. Inzwischen geht es uns um viel mehr.

Welchen spirituellen Traditionen seid ihr auf dieser Reise begegnet und wie haben sie euch zu „Unity“ inspiriert?

Alexander: Uns in materieller Hinsicht zu minimieren, hat auch auf seelischer Ebene einen transformativen Prozess ausgelöst. Um heimatlos leben zu können, muss man die eigene Mitte als Heimat kultivieren. Obwohl ich mich eher den westlichen Schulen der Mysterien verbunden fühle, habe ich im Laufe der Reise meine Studien der taoistischen Literatur und des Zen-Buddhismus vertieft. Letzterer wirkt gerade auf Grund seines unsentimentalen Pragmatismus und seiner alles niederreißenden Klarheit ausgesprochen erfrischend auf mich.

Welchen Bezug habt ihr generell zu so genannter spiritueller Musik?

Danielle: Ich höre oft Musik aus Persien oder Gregorianische Chöre. Allerdings empfinde ich auch Musik von Beethoven (Violinkonzert in D), Ennio Morricone oder die Bach-Etüden als extrem spirituell.

Alexander: Für mich ist Musik an sich schon eine spirituelle Angelegenheit, aber natürlich habe ich in jedem Genre Vorlieben, deren Qualität ich an dem ausmache, was diese Musik bei mir auslöst. Sufi-Musik, insbesondere die der türkischen Mevlevi-Schule, liebe ich sehr, aber auch sakrale Musik der russisch-orthodoxen Kirche und der tibetischen Mönche. So genannte „Sacred Harp“ oder „Shape Note“-Gesänge der christlichen  Tradition entwickeln eine ungeheure- Energie, weil da amüsanter-weise nicht so schön, sondern so laut wie möglich gesungen werden soll. Auch afroamerikanische Gospels rühren mich zu Tränen.

Wie stehst du zu Kirtan?

Alexander: Da bin ich oft ambivalent, weil mir die Intention durchaus bewusst ist, die eigentliche Musik mich aber völlig kalt lässt, mit einigen Ausnahmen natürlich. Ich glaube, dass gerade dieses Feld zur Zeit etwas überbevölkert ist.

Wie kommt es bei „Unity“ zur christlichen Symbolik auf dem Cover – statt des im Genre allgemein üblichen indischen Themas?

Alexander: Das allgemein Übliche liegt uns nicht so.

Danielle: Die Religionen hängen für mich alle zusammen. Meine Freundin Olga Volchkova, eine in Moskau ausgebildete Ikonen-malerin, hat Alexander und mir zu unserem zehnten Hochzeitstag ein Portrait von uns als Ikonenpaar geschenkt. Da Yoga ja „Unity“ bedeutet, empfanden wir das Bild als schöne und persönliche Verdeutlichung unserer Einigkeit.

Wie sieht eure Yogapraxis aus?

Alexander: Ich habe Yoga in Zeiten extremer mentaler Instabilität für mich entdeckt und mich dann -intensiv, ja exzessiv damit beschäftigt. Sobald es mir aber wieder besser ging, habe ich die Praxis -vernachlässigt und mich wieder in der „normalen“ Welt häuslich eingerichtet. Seit diese Zuflucht in die materielle Oberflächlichkeit für uns nicht mehr so einladend bequem bereit steht, ist das yogische Bewusstsein viel gegenwärtiger in meinem Leben. Wenn wir irgendwo genug Platz haben, üben wir gemeinsam den physischen Part, in erster Linie Kundalini Kriyas. Seit 7 Jahren hat sich auch die Meditationspraxis immer mehr als fester Bestandteil meines Alltags etabliert. Nach Experimenten, die darauf abzielten, andere Bewusstseinszustände zu erreichen, weiß ich inzwischen, dass ich viel -weiter- komme, wenn ich erstmal überhaupt nichts will, sondern stattdessen lerne, einfach nur zu sein. Aufgrund einer Knieprothese ist die sogenannte „Easy Pose“, also der Schneidersitz, für mich nicht mehr so easy und der Lotos leider -völlig außer Frage. Also sitze ich aufrecht auf einem Stuhl, am liebsten mit Lehne.

Wie geht es dann weiter?

Alexander: Zwanzig Minuten, wenn’s geht einmal, lieber zweimal am Tag, aber in jedem Fall vor einem Auftritt. Dabei arbeite ich mit unterschiedlichen Ansätzen, am erfolgreichsten jedoch mit auf ein Mantra abgestimmer rhythmischer Atmung. Bisher suche ich für meine Meditation die Stille, was in erster Linie an meinem Beruf liegt: Als Musiker fällt es mir schwer, bei Klängen das analytische Hören abzuschalten. Außerdem gibt es einfach wenig, was mir gerade für diesen Zweck gefällt. Um das zu ändern, haben wir aber nun diese Platte gemacht und selbstverständlich alle drei Stücke in der Praxis ausprobiert, gemeinsam und allein.

Mit deiner Band „EinstürzendeNeubauten“ hast du zu einer neuen Wahrnehmung von Musik und Klang beigetragen. Ihr früher Sound galt als „unhörbar“. „Unity“hat ebenfalls – wenn auch völlig anders – eine intensive Wirkung auf den Körper. Wie beeinflusst Meditation die Wahrnehmung?

Alexander: Meditation ändert die Wahrnehmung nicht, aber sie verändert das Bewusstsein, mit dem wir jegliche Wahrnehmungen verarbeiten. Und auf die Veränderung des Bewusstseins kommt es an. Die Erkenntnis, auf dieser Ebene Veränderungen herbeiführen zu können, ist weitaus erfüllender und auch ergiebiger als beispielsweise ein Drogenrausch.

Zitat von der Band-Website: „Einstürzende Neubauten forschen weiter auf ihrer ewigen Suche nach dem noch unentdeckten Geräusch.“ Könnte das die Stille
sein?

Alexander: Stille ist heutzutage auch die ultimative Bedrohung. Der moderne Mensch ist zutiefst beunruhigt, wenn der stetige Fluss von Information und Unterhaltung plötzlich abreißt. Kein Netz, kein Wifi? Ein Radio-DJ kann seinen Job verlieren, wenn er versehentlich kurz mal kein Signal in den Äther schickt. Für mich als Musiker ist es essenziell, wann ich bewusst welchen Ton spiele – und wann ich ihn nicht spiele. Ich habe mir das Wort „Silence“ als Lebensmotto auf den Bauch tätowieren lassen.

Meditations-Soundtracks werden häufig mit Naturgeräuschen bestückt, gerne sollen sie „positiv“ klingen. Jenseits von Vogel-zwitschern und Wasserplätschern – woher kommt die Inspiration für euren intensiven Sound, der spürbar auch die dunklen Seiten nicht außer acht lässt?

Danielle: Leider wird „positiv“ sehr oft mit oberflächlich und leicht verwechselt. Tatsächlich sind im -Leben aber die meisten wirklich positiven Dinge mit einer Anstrengung verbunden. So fühlt man sich zum Beispiel leicht und positiv, nachdem man Sport gemacht, etwas gelernt oder einen Schmerz überwunden hat. „Einfach“ oder ausschließlich positiv gibt es selten, das versucht man uns nur zu verkaufen. Glück und Leid, das Helle und Dunkle liegen nebeneinander. Nur wenn man das akzeptiert und sich dem ergibt, kann wirklich Größe entstehen, auch in der Musik. Wir spielen außerdem echte Instrumente. Ihre Wärme trägt dazu bei, dass die Musik lebendig und intensiv ist, nicht oberflächlich oder seicht.

Alexander: Herkömmliche New Age-Musik macht mich in erster Linie aggressiv. Für mich ist jede -Kunstform Transportmittel für eine einzige Sache: Wahrheit. Genauso- wenig, wie mich die Zimmerdekoration einer Hotelkette stimuliert oder ich mich für Texte der Trivialliteratur interessiere, kann ich etwas mit Musik anfangen, die besten-falls als Ersatz für keine -Musik konzipiert ist. Eine Filmproduzentin hat mal gesagt, meine Komposition für ihren Film sei ihr nicht „einlullend“ genug. Damit hatte sie genau auf den Punkt gebracht, was ich nicht machen will. Einem Kunstwerk muss doch eine Erkenntnis, eine Haltung oder von mir aus auch nur ein wirklich origineller Gedanke zu Grunde liegen. -Irgendwelche -Synthie-Sounds aus der Konserve, unterlegt mit Vogelzwitschern oder Meeresrauschen, erfüllen dieses Kriterium für mich nicht.

Ich persönlich bin den Chakras selten so nahe gekommen wie bei „Wheels of Light“ mit Alexanders Kehlkopfgesang. Wo hast du ihn gelernt?

Alexander: Freut mich, wenn es ankommt. Als Kind habe ich meine- Klassenkameraden unterhalten, indem ich wie ein Roboter -gesprochen, also statt meinen Stimm-bändern meinen Kehlkopf in Schwingung gebracht habe. Mit der früh einsetzenden Obsession für Musik entdeckte ich auch die Gesänge der -Inuit-Leute – als man sie noch, politisch inkorrekt, Eskimos nannte. Denen komme ich mit dem, was ich da mache, noch am nächsten.

Woher kam die Idee zu einer Reise durch das Chakra-System?

Danielle: Ich habe die Chakras intensiv studiert und auch die Blockierungen, die entstehen können, wenn sie vernachlässigt werden. Ich wollte herausfinden, ob diese Behauptungen stimmen. Ich war be-geistert und erstaunt, wie schnell durch Chakra-Übungen tatsächlich seelische Veränderungen und Heilung stattfinden können. Deswegen war es mir wichtig, auf unserem Album eine Chakra-Übung dabei zu haben.

Überhaupt hat das Album für mich einen fast hypnotischen Sog. Falls es überhaupt einen gibt: Worin liegt für euch der Unterschied zwischen Trance und meditativem Zustand?

Danielle: Für mich gibt es den Unterschied „sich zu verlieren“ oder „sich zu finden“. Ich glaube, dass bei Trance beides möglich ist. Bei Meditation, denke ich, geht es hauptsächlich darum, aufmerksam den Moment wahrzunehmen.

Alexander: Meditation spielt sich für mich im Idealfall eher in einem Zustand absoluter Klarheit ab. Mich reizt die bedingungslose Autonomität, die ich während der Meditation über meine Lebenszeit besitze, -wogegen man sich in Trance – im ebenso idealen Fall – vom Hier und Jetzt komplett verabschiedet und in ganz anderen Gefilden wandelt.

Meditation kann zur Essenz, zum puren Kern zurückführen – steht das in Spannung zur Idee von „Performance“?

Danielle: Generell sollte man diesen Anspruch in allem, was man macht, aufrecht erhalten. Meiner Meinung nach entsteht nur so wertvolle Kunst. Ich denke aber, dass es auch im Alltag wichtig ist, sich immer wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Alexander: Die Performance ist das- Tun, der Befreiungsschlag, das Ritual, die Lobpreisung oder auch nur das gezielte Aufräumen. Meditation sollte davor praktiziert -werden, um im Nicht-Tun die Bahn frei zu machen für das, was in der Performance zu erledigen ist. 


Die CD „Unity“ ist unter anderem über www.neubauten.org erhältlich. Über ihr nomadisches Leben mit Alexander Hacke hat Danielle di Picciotto auch ein Buch veröffentlicht.

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