Anna Trökes kann auf mehrere Jahrzehnte Yogaerfahrung zurückblicken. Seit 1974 ist sie Yogalehrerin, außerdem Autorin zahlreicher Bücher, CD’s und DVD’s. Kein Wunder, dass sie zu einer der bekanntesten Referentinnen zu den Themen Hatha Yoga, Pranayama und Meditation in Deutschland gehört. Wir haben sie gefragt, inwiefern Yoga tatsächlich in Lebenskrisen helfen kann.
„Die uralte Weisheit des Yoga hat mir schon oft aus den unterschiedlichsten Krisen geholfen. Als junge Frau habe ich mir beim Sportabitur die Wirbelsäule gebrochen. Ich konnte mich kaum bewegen, machte diverse Rehabilitationsmaßnahmen mit. Da erinnerte ich mich an Yoga. Ich kannte Yoga schon seit meiner Kindheit von meiner Mutter. Tatsächlich haben mir Hatha Yoga- und Atemübungen geholfen, mich wieder bewegen zu können. Das ist nun bereits 40 Jahre her. Seitdem haben mich Yoga-Philosophie, Asanas und Pranayama begleitet und mir in so mancher schwierigen Lebensphase weitergeholfen. Krisen gehören zum Leben. Das Wichtigste dabei ist meiner Meinung nach, dass man sich fragt: Wodurch bin ich in diese Lage gekommen? Gab es einen Auslöser? Oder war es nur eine Frage der Zeit, bis ich an diesen kritischen Punkt gelange?
Mir hat es in solchen Situationen viel gebracht, mich an Patanjalis Yoga Sutras zu erinnern und an das Konzept der Kleshas. Das sind tief sitzende, störende Neigungen, die jeder Mensch von Geburt an in sich trägt: Avidya (falsche Wahrnehmung), Asmita (Selbstüberschätzung), Dvesha (Ablehnung), Raga (Begierde) und Abhinivesha (tiefsitzende Angst). In Krisen hilft es, sich diese Eigenschaften selbst einzugestehen und zu überlegen, welche genau für das Problem verantwortlich sein könnten. Ich versuche dann, mir selbst eine Atmosphäre voller Liebe, Güte und Mitgefühl zu schaffen. Die Hirnforschung zeigt, dass sich unser Gehirn unter Druck ausschaltet. So findet man keine Lösung für ein Problem. Darum versuche ich, mich zu entspannen, damit ich in der Lage bin, die Situation zu erkennen, richtig einzuschätzen und angemessen darauf zu reagieren. Erst wenn ich das Gefühl habe, sicher und geborgen zu sein, kann ich mein ganzes Potenzial entfalten und meine eigene Kraft spüren. Erst dann bin ich offen für alternative Lösungsansätze.
Ich bringe in diesem Zusammenhang oft den Vergleich mit einem Kleinkind, welches gerade gehen lernt. Wieviel Vertrauen muss es haben, wenn es hunderte Male auf den Hintern plumpst, um dann wieder voller Entschlossenheit aufzustehen. Wieviel Geduld und Fehlerfreundlichkeit in diesen Momenten liegt, wieviel Freude am Wachsen! Eigenschaften, die wir Erwachsenen mit der Zeit verlernt haben. Denk an das Urvertrauen des Kindes, an seine Unbeirrbarkeit und die Neugier, welche es beim Üben und Umfallen hat, wenn wiedermal eine Krise in deinem Kopf stattfindet. Durch diese Offenheit und Geduld mit der eigenen Fehlbarkeit kann Unmögliches Wirklichkeit werden.
Früher war ich oft ungeduldig. Ich ertappe mich immer wieder dabei. Erst letzte Woche passierte es wieder: Ich wartete am Flughafen an einem vereinbarten Treffpunkt auf eine Freundin. Nach einer Weile rief ich sie ungeduldig an. Sie sagte, sie sei an dem Treffpunkt und wartete dort auf mich. Wie konnte das sein? Weit und breit keine Spur von ihr. Ich war total außerhalb meiner yogischen Gelassenheit und rotierte im Kreis. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum sie nicht am Treffpunkt war. Schließlich kamen wir darauf, dass es zwei identische Punkte am Flughafen gab, und jede von uns wartete an dem anderen. Nachdem wir uns endlich gefunden hatten, war meine Ungeduld verflogen. Früher hätte ich mich selbst geärgert, dass mich so eine banale Situtation aus der Ruhe bringt. Heute gelingt es mir eher, darüber zu lächeln, dass mich meine Gelassenheit trotz all der Yoga der Yoga-Praxis auch mal nicht zur Verfügung steht.
Ich bin überzeugt davon, dass Yoga glücklich machen kann. Durch Yoga habe ich viel mehr Geduld mit mir. Ich habe gelernt, dass ich lebenswert, wertvoll und liebenswürdig bin und dass ich Fehler machen darf. Der große Begriff des Glücks wurde von unzähligen Philosophen und Gelehrten beschrieben, für mich persönlich bedeutet Glück, bei mir selbst zu sein und gut mit mir zu leben.“
Aufgezeichnet von Eva-Maria Flucher