Yogi Cameron über Schönheit, Ideale und Glück

Du hast in deinem vorherigen Job eine Menge Aufmerksamkeit bekommen, warst Schönheits-Ideal, männliches Top-Model – etwas, was viele gerne sein möchten. Was hat dich dazu veranlasst, das alles aufzugeben und ein Yogi-Star zu werden?
Jede Reise hat einen Anfang, ein Ende und einen Weg. Aber der Weg ist eine Weiterentwicklung des Anfangs. Das bedeutet, ich bin immer noch dieselbe Person mit einer anderen Richtung und Intention. Das Arbeiten in der Welt der Mode war zu einer Zeit, als ich jung war und vorwiegend an der äußeren Welt interessiert war. Ich musste mich auf eine innere Reise begeben, um mein Gleichgewicht zu finden. Jetzt weiß ich, dass beides eine Berechtigung hat, und ich finde Schönheit sowohl in der äußeren als auch der inneren Welt. Ich habe jetzt das Beste von beiden Welten.

Als früheres Top-Model kennst du dich mit der Bekleidungsindustrie gut aus – einem System, das auf Ausbeutung basiert. Sehr teure Kleidung wird in armen Ländern unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt. Wie siehst du das jetzt – mit einem gewissen Abstand?
Wenn du dir nur die Bekleidungsindustrie anschaust, ist es eine Produktion, die auf Ausbeutung basiert. Aber wenn du dir ein größeres Bild von der Welt machst, wirst du feststellen, dass wir alle irgendwie auf Kosten anderer leben und es keinen Unterschied macht, wie groß das Unternehmen ist. Wir leben in Zeiten, in denen das Ego sehr stark ist und jeder Geld, Ruhm und Aufmerksamkeit liebt. Alles, was wir herstellen, ist auf unsere Unterhaltung und unser Wohlbefinden ausgerichtet. Dadurch wird unser Leben sehr oberflächlich und es ist kein Raum für Tiefe. Wir stellen heute nicht viel her, das einen Wert für Menschlichkeit und für die Erde hätte. Es gibt ein paar Zeichen der Veränderung – aber bevor es zu einem echten Wandel kommt, müssen wir noch einen ziemlich weiten Weg gehen.

Wir leben in einer Zeit, in der sich viel verändert – eine Menge unerwarteter Dinge scheinen zu passieren. Wie können wir im Angesicht von Terror und Krieg ausgeglichen und ruhig bleiben? Hat Yoga das Potential, Menschen zu retten?
Yoga, wie wir es heute praktizieren ist nicht sehr nützlich. Den meisten Menschen geht es ja heute eher um physische Aspekte als um eine spirituelle Lebensweise, die zu einer höheren und kraftvolleren Energie führen könnte. Eine yogische Lebensweise beinhaltet einen kontrollierten Umgang mit Ernährung, mit Gedanken, Verhaltensmustern, Sprache, usw. Erst dadurch erhalten wir die Erdung, die wir benötigen, um durch turbulente Zeiten von Kriegen und Konflikten zu gelangen. Gleichgewicht kommt durch eine Grundhaltung der Akzeptanz und Anpassung an jegliche Situationen, in die wir gelangen – besonders, wenn es schwierige Situationen sind.

Wir haben uns ein sehr angespanntes, stressiges Leben für uns selbst und in der Gesellschaft erschaffen. Es wird immer komplizierter , da künstliche Lebensmittel, Elektronik, Kommunikationsgeräte zunehmen. Die Antwort ist ein natürlicheres Leben mit mehr Zeit in der Natur. Wir sollten mehr natürliche Produkte konsumieren. Je künstlicher wir unser Leben gestalten, desto mehr künstliche Ängste und Krankheiten werden wir kreieren.

Du hast 15 Jahre in Indien verbracht. Wie hat das deine Sicht auf das Leben, die Welt und den weiteren Kontext verändert?
Es hat mich wieder zurück zum einfachen Leben und zu einem Verständnis der Basics des Lebens gebracht. Es hat mir gezeigt, dass das Leben nur so kompliziert ist, wie du es dir machst. Ich habe mit Ayurveda und dem Yogaweg gelernt, dass ich mich selbst heilen kann und, dass ich mein Leben hinbekomme – egal, wie schwierig es ist.

Die Verhältnisse in dem indischen Dorf, in dem ich lebte, waren sehr einfach. Die Bedürfnisse der Menschen waren sehr einfach. Denn keiner hatte große Ansprüche, die über das Grundlegende hinausgingen. Alles war einfach und Schwierigkeiten ließen sich schnell und einfach lösen. Sobald ich in die Städte fuhr oder in den Westen reiste, merkte ich, dass das Leben komplizierter wurde und die Menschen andere Ansprüche und Wünsche haben. Indien hat mich daran erinnert, dass es nicht nur um mich und meine Gedanken geht, ich habe gelernt, vom ich zum wir umzudenken und mein Bewusstsein in diese Richtung zu lenken. Vom ich, zum Wir, zur Welt und zum Universum. Es hat mir also gezeigt, wie ich die Begrenzungen meines Geistes überwinden und mein Bewusstsein erweitern kann.

Du bist nach Indien gereist, um Yoga, Ayurveda und Naturheilverfahren zu studieren. Was waren Deine ersten Erwartungen als du deine Reise geplant hast und war es deine Intention 15 Jahre dort zu bleiben?
Ich hatte eigentlich keinen großen Plan. Ich wollte studieren. Aber dann bemerkte ich, dass ich nicht nur lernen und unterrichten, sondern dem Yogaweg folgen, ein Yogi sein wollte. Ich wollte erst selber den Yogiweg gehen und das Wissen dann weitergeben. Es ist nun 15 Jahre her, dass ich teils in Indien, teils in Kalifornien gelebt habe. Indien ist meine Heimat, aber ich muss immer noch viel um die Welt reisen, um zu unterrichten.

Was magst du am meisten an Yoga und daran, ein Yogalehrer zu sein?
Ich bin wirklich nicht der Yoga-Lehrer im klassischen Sinne. Als Yogi folge ich den Pfad von Raja, Tantra und Bhakti. Yoga-Haltungen sind nur ein kleiner Teil des Pfads. Das meiste ist Ritual und Praxis der Hingabe an ein höheres Selbst und eine innere göttliche Kraft.

Ich unterrichte eine breite yogische Praxis und mein Anliegen ist es, die kraftvollsten und feinstofflichsten Praxen zusammenzustellen, so dass die Teilnehmer sie in ihr Leben integrieren können und so zu Frieden und Ruhe gelangen und den Sinn und Zweck in ihrer Lebenszeit erkennen.

Wie sieht deine tägliche Morgen-Routine aus?
Ich stehe um 4:30 oder um 5 Uhr morgens auf und dusche, danach folgen ayurvedische Ölanwendungen. Dann stehen Reinigungspraktiken auf dem Programm, sogenannte Shatkarmas. Dann praktiziere ich Puja, was ein Hingabe-Ritual ist, Dann mache ich 12-15 Haltungen, Pranayama, Mudras, Bhandas, Mantras und Meditation. Für alles zusammen brauche ich 3 Stunden.

Wie lautet dein persönlicher Schlüssel zum Glück?
Ich strebe Zufriedenheit an und vermeide Glücklich-Sein . Zufriedenheit ist wie eine warme Welle, die sanft vor Dir bricht, während Du im Meer spielst. Glücklich-Sein ist wunderschön, hat aber auch eine Kehrseite, die Traurigkeit. Glücklich-Sein und Trauer sind die zwei Extreme, die Du fühlen wirst, denn was aufsteigt, muss an einem bestimmten Punkt auch wieder fallen. Der Schlüssel zu Zufriedenheit ist es, flexibel im Geist und im Denken zu sein. Auch wenn wir nicht mit jemandem oder etwas übereinstimmen, wenn wir anpassungsfähig sind, werden wir Konflikte nicht entstehen lassen.

Mit Zufriedenheit haben wir mehr einen Zustand als ein Gefühl. Es ist der Zustand der Zustimmung und dem Wissen, das Karma eine große Rolle spielt.

Wofür bist du am meisten dankbar?
Ich bin dankbar dafür, dass ich den Yogaweg gehen darf – dadurch habe ich eine einzigartige Sicht auf das Leben erhalten. Es hat mir gezeigt, dass ich dankbar für alles und demütig gegenüber allem sein kann. Dankbar bin ich für all die großartigen Dinge, die mir in meinem Leben passiert sind, wie eine wundervolle Beziehung, eine großartige Tochter oder eine tolle Familie aber auch für all die Schwierigkeiten und Herausforderungen, durch die ich gehen musste. Auch diese Teile lieben zu lernen ist ein großer Teil des Wegs hin zur Dankbarkeit.

Alles in allem ist es einfach Menschen zu lieben, die dich auch lieben. Aber können wir auch die lieben, die uns nicht mögen?

Gibt es etwas, das du unseren Lesern für ihre Yogapraxis mit auf dem Weg geben möchtest?
Es ist sehr wichtig, diese Praxis täglich zu machen, da es sonst keinen kontinuierlichen Effekt in deinem Leben geben kann. Wenn du es schaffst, als erstes am Morgen zu praktizieren und deine Ausrichtung für den Tag festzulegen, wird dein Leben an Bedeutung gewinnen und du wirst stabiler. So wirst du geerdet sein, egal, wie der Tag sich entwickelt und wie Menschen auf dich zugehen.

Wir können nicht die Welt kontrollieren aber wir können lernen, uns selbst zu kontrollieren.

Vielen Dank für das nette Gespräch.


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Copyright: Yogi Cameron

Mehr Infos unter: www.yogicameron.com

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