„Hauptsache glücklich“ soll die Tochter werden, möglichst „happy“ das „end“ des Liebesfilms und „endlich wieder froh“ die leidgeprüfte Freundin. Seit jeher streben Menschen es an: das Glück. Doch seine Erforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Über den aktuellen Stand der Wissenschaft – ein kleiner Überblick.
Nennen wir sie Sonja. Sonja ist Mitte 40, hat kurz nach dem Ende ihrer Chemotherapie vor zwei Jahren ihren Partner bei einem Autounfall verloren, zieht ihre drei Kinder seitdem alleine groß, hat wenig Zeit und Geld, aber stets ein Lächeln im Gesicht. Insgesamt habe es das Leben doch ganz gut mit ihr gemeint, findet sie: „Guck doch, wie süß der Kleine lacht!“ Ganz anders Meike: Die erfolgreiche Geschäftsfrau hat einen netten Mann, zwei gesunde Kids und viele Freunde, doch so richtig zufrieden wirkt sie selten: „Meine Große ist echt anstrengend. Pubertät, du weißt schon. Martin hat schon wieder vergessen, Toilettenpapier zu kaufen. Und überhaupt, diese unerträgliche Kollegin …“ Irgendwas ist immer.
Bestimmt kennen auch Sie solche Menschen, deren innere Grundhaltung nicht zu den äußeren Gegebenheiten zu passen scheint, die offenbar glücklicher sind als man vermuten würde oder eben genau das Gegenteil. Woran liegt das nur?
„Jeder ist seines Glückes Schmied“, dieses Lehn-Zitat, das dem römischen Politiker Appius Claudius Caecus (ca. 340 - 273 v. Chr.) zugeschrieben wird und wie wohl nur wenige andere zum Thema bis heute unser kollektives Bewusstsein prägt, ist weit über zweitausend Jahre alt. Bis heute wird es bemüht, wenn es darum geht, sich in eine Sache hineinzuknien und/oder die richtigen Entscheidungen zu treffen. Allein – was bedeutet hier „richtig“, wie funktioniert besagtes Schmieden, und kann man das irgendwie lernen? Oder ist letztlich doch alles irgendwie … äh … Glückssache?
So wesentlich diese Fragen scheinen, so sehr man sich auf religiöser oder philosophischer Ebene damit beschäftigt hat, von den meisten Wissenschaften wurden sie erstaunlich lange vernachlässigt. Erstaunlich lange selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass einige der relevanten Forschungsgebiete eher junge Wissenschaften sind, etwa Psychologie oder Soziologie. Glück wurde, frei nach Epikur, lange schlicht als Abwesenheit von Schmerz begriffen, und so konzentrierte man sich, wie auch in der Medizin, darauf, das Negative auszumerzen, um Raum für das Gute zu schaffen: Wer nicht krank ist, gilt als gesund, wer sich von Leid befreit, wird glücklich.
Mehr als Schmerzfreiheit
Doch wie so oft lässt sich das Leben nicht so einfach in Schablonen pressen und als Schwarz-Weiß-Muster darstellen, wie so oft stellt sich dann doch alles sehr viel komplexer dar. Und so etablierte sich schließlich spät, aber doch die Glücksforschung, in die Erkenntnisse aus Neurologie, Genetik, Soziologie, Ökonomie und (Positiver) Psychologie einfließen. Welche Rahmenbedingungen brauchen Menschen, um sich als glücklich zu bezeichnen? Seit etwa den 1980er-, 90er-Jahren intensiviert sich die Suche nach Antworten darauf. Aus yogischer Sicht freilich ist diese Fragestellung schon im Ansatz problematisch, wird im Yoga doch ein glückseliger Bewusstseinszustand angestrebt, der „losgelöst von den Objekten der äußeren Welt“, also eben gerade nicht an Bedingungen geknüpft ist. Doch auf dem Weg zu diesem Ziel kann es nicht schaden, sich anzugucken, von was wir uns da eigentlich genau befreien wollen – zumal viele Ergebnisse der Glücksforschung durchaus mit der Yogaphilosophie in Einklang zu bringen sind. Etwa die Erkenntnis, dass Glück mehr ist als die Abwesenheit von Schmerz, dass beides untrennbar miteinander verbunden ist und nur der wirklich glücklich werden kann, der negative und positive Gefühle gleichermaßen an und wahrnehmen sowie damit arbeiten kann.
Aber fangen wir noch mal bei Null an: Wenn es nicht bloße Leidfreiheit ist, was verstehen wir dann ganz irdisch überhaupt unter Glück? Ganz vorsichtig gesagt handelt es sich dabei um ein angenehmes Gefühl, so weit dürfte Einigkeit herrschen. Auch dass dieser Gemütszustand durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen erreicht wird, dass dabei körpereigene Botenstoffe (Serotonin, Noradrenalin, Dopamin) eine Rolle spielen, gilt derzeit als belegt. Ebenso, dass das Talent zum Glücklichsein teilweise in den Genen liegt – inwieweit, darüber wird noch diskutiert, doch von Zahlen bis zu 50 Prozent ist mitunter die Rede. Verhaltensgenetiker wie der 2006 verstorbene Zwillingsforscher David T. Lykken sprachen gar von mindestens 50 Prozent. Ein so hoher Prozentsatz klingt ziemlich frustrierend und ist auch umstritten. Prägungen in der Kindheit spielen offenbar ebenfalls eine große Rolle. Wer früh lernt, sich Herausforderungen zu stellen, diese zu meistern, aber auch mit Rückschlägen umzugehen, der wird später davon profitieren. Unser Gehirn ist nämlich im Grunde wie ein Muskel, den man trainieren kann – und das zum Glück (!) auch noch im Erwachsenenalter.
Ein gutes Gefühl also, das ist dieses Glück. Gehen wir weiter ins Detail, fragen wir konkreter nach dem Wie und dem Warum, wird es immer komplizierter, und das nicht zuletzt deshalb, weil die Glücksforschung auf die Aussagen von Studienteilnehmern angewiesen ist, was naturgemäß einen gewissen Mangel an Objektivität nach sich zieht. Wer sich gerade mit seinem Partner gestritten hat, wird sich im Fragebogen vielleicht etwas weniger glücklich einschätzen als ein Frischverliebter, obwohl dieser Wert ein paar Tage später schon wieder anders aussehen könnte. Und wer gelernt hat, unglücklich zu sein bedeute Schwäche, der redet sich seine Traurigkeit womöglich schön. Dazu kommt, dass das Zusammenspiel physischer, psychischer, kultureller und persönlicher Faktoren so komplex und individuell ist, dass Aussagen wie „XY macht glücklich“ stets mit einer gewissen Skepsis zu betrachten sind. Wer sich beispielsweise durch das Online-Archiv „World Database of Happiness“ des Rotterdamer Sozialpsychologen Prof. Ruut Veenhoven wühlt, das zigtausend Forschungsergebnisse zur subjektiven Lebensfreude von Menschen in aller Welt enthält, der wird mit der Zeit immer schlauer und gleichzeitig verwirrter, so unterschiedlich fallen bisweilen die Betrachtungsweisen aus, so wenig messbar scheint es dann letztlich zu sein, dieses Mysterium namens Glück.
Macht Geld doch glücklich?
Unsere sonst so reiche deutsche Sprache kommt hier übrigens ein wenig dürr daher, benutzen wir doch für die englischen Begriffe „luck“ und „happiness“ dasselbe Wort und tragen damit noch weiter zur Verwirrung bei. Ein Beispiel: Werden bei der Ziehung der Lottozahlen die meinen gezogen, dann habe ich „Glück gehabt“ (Zufallsglück, „luck“), doch glücklicher (im Sinne von Lebensglück, „happiness“) werde ich dadurch vermutlich nicht. Das sagt der Volksmund („Geld macht nicht glücklich“), aber auch die Forschung: In einer der frühesten und bis heute vielzitierten Studie der Glücksforschung stellte das US-Psychologenteam Philip Brickman, Dan Coates und Ronnie Janoff-Bulman 1978 fest, dass weder ein Sechser im Lotto noch ein schwerer Unfall mit Beinverlust das Glückslevel der Betroffenen langfristig verändern: Nach einem halben Jahr fühlten sich beide Personengruppen bereits wieder ähnlich glücklich oder unglücklich wie vor dem einschneidenden Erlebnis. Es gibt jedoch auch Gegenstimmen und andere Forschungsergebnisse, die besagen, dass Geld unter bestimmten Umständen eben doch das subjektive Glücksempfinden erhöhe. Bis zu einem Jahreseinkommen von ca. 75 000 Dollar, also rund 60 000 Euro, steige es durchaus, so die Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und Angus Deaton, danach habe ein höheres Einkommen keinerlei Einfluss mehr. (Wobei für Länder mit deutlich anderen Durchschnittsgehältern andere Zahlen gelten dürften.) Man kann das nachvollziehen: Ein solches Gehalt garantiert hierzulande ein zumindest in materieller Hinsicht relativ sorgenfreies Leben. Auch die Erfüllung einiger Wünsche dürfte drin sein. Und hier gelangen wir an einen entscheidenden Punkt: Nur die Erfüllung bestimmter (durchaus mit Geld bezahlbarer) Wünsche macht glücklich, fand man heraus. Der Sportwagen, das Brillantcollier oder die Designerhose sind es nicht. Erkaufte Zeit jedoch, etwa durch das Engagement eines Babysitters oder einer Putzhilfe, erhöht die Lebensfreude. Gleiches gilt für Erlebnisse wie Reisen, Konzerte oder ein Dinner mit Freunden. Das legen verschiedene Studien aus Europa, Kanada und den Vereinigten Staaten nahe.
Zu den Erlebnissen, die glücklich machen, zählen jedoch nicht nur Freizeitaktivitäten. Auch unser Beruf (und/oder unsere Berufung) tragen zur Lebensfreude bei. Entscheidend ist hier, dass wir das, was wir tun, selbst als sinnvoll erachten, dass wir von anderen Wertschätzung für unsere Arbeit erfahren und dass uns unsere Tätigkeit weder über- noch unterfordert. Ist diese Balance gegeben, haben wir dazu ein klares Ziel vor Augen und das Gefühl, die Kontrolle über unsere Arbeit zu haben, erleben wir im besten Fall regelmäßig das Phänomen, für das der ungarischstämmige, in den USA tätige Psychologieprofessor Mihály Csíkszentmihályi in den 1970er-Jahren einst den Begriff „Flow“ prägte: ein Aufgehen im Tun, ein Einssein mit der Situation, in der wir alles um uns herum zu vergessen scheinen – ganz wie spielende Kinder. Besonders ausgeprägt ist dieses Phänomen häufig bei Sportlern und Künstlern, aber auch die Computerspezialistin, die bis in die Nacht hinein tüftelt, kann sich im Flow befinden, oder der Lehrer, der Schüler für sein Thema zu begeistern versucht. Diese völlige Konzentration, in der Raum und Zeit zur Nebensache werden, weist im Grunde deutliche Parallelen zu dem auf, was Yogis bei der Meditation empfinden oder auch in der Asana-Praxis, wenn sie völlig eintauchen ins körperliche Erleben.
Annehmen und Verarbeiten positiver wie negativer Emotionen, neue Erfahrungen und Erlebnisse sowie das Gefühl, einer sinnhaften Tätigkeit nachzugehen, gehören also zu den wesentlichen Faktoren, die ein glückliches Leben ausmachen. Glücksfaktor Nummer Eins jedoch scheint noch etwas anderes zu sein, wie eine aufwendige Langzeitstudie der Harvard University in Cambridge nahelegt. Ahnen Sie es? Genau: die Bindung zu anderen Menschen. Und zwar nicht allein die zu einem Partner oder Kindern, vielmehr geht es allgemein darum, wie wir unseren Mitmenschen gegenüber eingestellt sind, ob wir sie wohlwollend betrachten, ob wir bereit sind, anderen zu helfen und uns helfen zu lassen, ob wir einander zuhören, anlächeln, einfach mitfühlend sind. Was also erst einmal altruistisch wirkt – etwa das Ausüben eines Ehrenamtes oder das Trösten einer liebeskummerkranken Freundin – gibt durchaus auch dem Gebenden etwas: Er fühlt Sinn und Verbundenheit und damit – Glück. In diesem Sinne: Gibt es da nicht jemanden, den Sie schon längst mal wieder anrufen wollten …? Vielleicht Ihre Freundin Sonja?
Es gibt Orte, die CARMEN SCHNITZER besonders glücklich machen: Bord-Restaurants in Zügen. Die Kombination aus Essen, Trinken, Menschen und Reisen wärmt ihr immer wieder das Herz.