Anatomie: Dreiecksbeziehungen

Um Ihre Kniegelenke gesund zu halten, sollten Sie alle Ausrichtungsprinzipien der klassischen Dreieckshaltung mit denen der gedrehten Variante verbinden.

Im Grunde ist es ganz einfach: Knie lieben eine korrekte Ausrichtung. Yoga ermöglicht diese Ausrichtung und deshalb lieben Ihre Knie Yoga. Das Kniegelenk ist trügerisch einfach aufgebaut, es ist der Knotenpunkt zwischen Oberschenkelknochen (Femur) und Schienbeinknochen (Tibia). Sind diese Knochen beim Stehen korrekt übereinander ausgerichtet, tragen sie das Körpergewicht ohne Mühe. Der Druck, den der Femur nach unten weitergibt, wird gleichmäßig auf die Oberseite des Schienbeinknochens verteilt, so dass keiner der Knochen einer erhöhten Kompression ausgesetzt ist. In dieser optimalen Haltung gibt es keine unnötigen Zwischenräume oder Abstände zwischen den Knochen. Die Bänder, Muskeln und andere zusammenhaltende Fasern im Knie werden nicht überdehnt. Sobald allerdings diese optimale Ausrichtung gestört wird, beginnt der Ärger mit den Knien.

Weil das gestreckte Dreieck (Utthita Trikonasana) relativ leicht auszuführen ist, werden Sie diese Asana vermutlich schon sehr früh in Ihrer Übungspraxis lernen und wahrscheinlich wesentlich häufiger üben als ihr Gegenstück, das gedrehte Dreieck (Parivrtta Trikonasana). Für diese Asana ist mehr Flexibilität und ein besseres Gleichgewicht nötig. Regelmäßig das gestreckte Dreieck ohne das gedrehte Dreieck zu üben, birgt jedoch ein gewisses Risiko: Nach und nach kann sich unnötiger Raum zwischen den Knochen des Innenknies bilden und der entsprechende Raum im äußeren Bereich des Knies kleiner werden. Mit der Zeit verlagert sich ein größerer Anteil des Gewichts auf die Außenseite der Kniegelenke. Dadurch kann der Knorpel des äußeren Knies (des lateralen Meniskus) übermäßig verschleißen. Zudem kann es passieren, dass die Bänder, die die Knochen des inneren Knies zusammenhalten (mediales Seitenband), überdehnt werden und den Knorpel des Innenknies (medialer Meniskus) belasten, der an dem Band befestigt ist.

Innere und äussere Balance
Indem Sie Parivrtta Trikonasana zu einem festen Bestandteil Ihrer Trikonasana-Praxis werden lassen, können Sie die innere und äußere Balance ihrer Knie stärken und eine präzise Ausrichtung der Oberschenkelknochen mit den Schienbeinknochen herstellen. Obendrein wird dadurch das Gewebe, welches das Kniegelenk stützt, geschützt. Daher sollten Sie wissen, wie Sie den Gluteus Maximus – den großen Gesäßmuskel – einsetzen müssen, um die Bewegung des Beckens zu steuern.

Der große Gesäßmuskel setzt auf der Rückseite des Beckens und am Kreuzbein an. Seine Fasern verlaufen diagonal nach unten und von dort nach vorne. Ein Teil dieser Fasern endet an der Rückseite des oberen Oberschenkelknochens, der Großteil jedoch an einem Band des Bindegewebes, welches von der Oberseite des Beckens (Darmbein) an der Außenseite des Oberschenkels entlang bis zur Außenseite des Tibia unterhalb des Kniegelenks verläuft. Diese Gewebeband ist das iliotibale Band (Tractus iliotibialis).

Wenn sich in Utthita Trikonasana das rechte Bein vorne befindet, zieht sich die rechte Seite des großen Gesäßmuskels zusammen. Dies ermöglicht eine Rotation des rechten Beins nach außen. Das Anspannen des rechten Gesäßmuskels ist eine entscheidende Aktion in dieser Asana: Die linke Beckenseite kann dadurch nach oben und zurück gehoben werden. Zwar ist diese Kontraktion wichtig, um die Asana richtig auszuführen, ihr Nachteil ist jedoch, dass ein Ungleichgewicht zwischen dem inneren und äußeren Knie entsteht. Mit dem Zusammenziehen des Gesäßmuskels wird das iliotibale Band gestrafft, so dass es die Knochen des Außenknies näher zueinander bringt. Gleichzeitig wird durch das Anheben des Beckens mithilfe des Gesäßmuskels auch der Musculus gracilis (schlanker Muskel) gestreckt. Er ist wie ein Gurt geformt, beginnt am Schambein und verläuft dann am inneren Oberschenkel entlang. Er kreuzt das innere Knie und knüpft an der Innenseite des Tibia unter dem Knie an. Für gewöhnlich hält der Musculus gracilis die Knochen des Innenknies zusammen. Durch sein Strecken entsteht eine Lockerung, die zu Zwischenräumen in den Knochen führen kann.

Praktiziert man Utthita Trikonasana ohne ausgleichende Asanas, kann das bewirken, dass der Gluteus Maximus stärker und straffer wird, hingegen der Musculus Gracilis schwächer und schlaffer. Aufgrunddessen kann der Zwischenraum zwischen den Innenknieknochen größer und der Zwischenraum zwischen den äußeren Knieknochen kleiner werden.

Dehnung und Stärkung
Um dieses Ungleichgewicht zu vermeiden, sollten Sie Asanas üben, die den Gluteus Maximus dehnen, ohne ihn dabei zu schwächen. Das gedrehte Dreieck eignet sich hierfür ideal, weil es den Muskel dehnt und zugleich stärkt. Dabei liefert diese Asana gerade ausreichend Lockerung im äußeren Knie, um den Druck, der zu einem Meniskusverschleiß führen kann, zu mindern und zugleich genügend Spannung im iliotibalen Band, um das äußere Knie zu stützen. Um zu verinnerlichen, wie sich der große Gesäßmuskel dehnt und kräftigt, kann man die Oberseite des Beckens nach unten und dann nach vorne drehen – von Utthita Trikonasana zu Parivrtta Trikonasana.

Das Schambein bewegt sich in Richtung Knieinnenseite, dadurch wird der Gracilis schlaff. Die Rückseite des Beckens schiebt sich weiter vom iliotibialen Band weg, wodurch der Gluteus Maximus noch mehr gedehnt wird. Diese Bewegung wird primär durch den Gluteus Maximus unterstützt. Um das Becken sanft zu senken, muss der Muskel kontrolliert Spannung abgeben. Oder, um es anders auszudrücken: Man muss den Muskel teilweise auch dann noch angespannt halten, wenn er sich dehnt. Diese Aktion wird „exzentrische Kontraktion“ genannt. Sie stärkt den Muskel sogar in der Dehnung und hilft dabei, seine Stärke kontinuierlich beizubehalten.

Durch das schrittweise Absenken des Beckens in Parivrtta Trikonasana können Sie Spannung und Dehnung des Gluteus Maximus beeinflussen. Dadurch können Sie genau bestimmen, wie viel Zug der Muskel auf das iliotibale Band bringt, und gezielt die Spannung auf das äußere Knie senken oder erhöhen, bis sie mit der des inneren Knies in Balance ist. Das Schienbein kann sich dabei punktgenau mit dem Oberschenkelknochen ausrichten. Ihre Knie werden geschont – und sie werden es Ihnen danken. Wie sich die beiden Dreiecks-Haltungen ergänzen, erkennt man, wenn man vom gestreckten Dreieck zum gedrehten und dann wieder zurück ins gestreckte geht. Legen Sie dafür eine Hand auf den Gluteus Maximus des vorderen und die andere an die Hüfte des hinteren Beins.

Kontraktion in Aktion
Ihre Füße stehen parallel und etwa einen Meter auseinander. Drehen Sie Ihren linken Fuß leicht nach innen und den rechten etwa 90 Grad nach außen. Legen Sie Ihre linke Hand an den oberen Rand des linken Beckenknochens. Die rechte Hand legen Sie an den großen Gesäßmuskel auf der rechten Seite. Mit der rechten Hand spüren Sie, wie sich rechter Gesäßmuskel anspannt – damit können Sie die Feinausrichtung der Dehnung im gestreckten Dreieck vornehmen. Spannen Sie nun den großen Gesäßmuskel fest an. Um die Kontraktion zu verstärken, drücken Sie die rechte Fußsohle fest in den Boden und kraftvoll nach rechts, als wollten Sie den Fuß über den Boden gleiten lassen. Drehen Sie dann Ihr rechtes Knie nach außen. Heben Sie gleichzeitig Ihre linke Hüfte an und zurück, bis es nicht mehr weiter geht. Neigen Sie sich gleichzeitig im rechten Hüftgelenk zur Seite, um Ihr Becken und den Oberkörper horizontal über das rechte Bein zu senken.

Halten Sie den Gluteus Maximus bei dieser Bewegung angespannt und drücken Sie Ihre Finger in den Muskel. Wenn sich die Anspannung löst, nehmen Sie die Finger kurz weg und spannen den Muskel erneut an, bevor Sie tiefer in die Asana gehen. Sie sollten nun eine Dehnung in der rechten inneren Oberschenkelseite spüren. Verstärken Sie die Dehnung, indem Sie Ihre linke Hüfte an- und zurückheben, und spannen Sie Ihren rechten Gluteus Maximus an. Je häufiger Sie diese Übung machen, desto größer wird die Öffnung ihrer rechten Knieinnenseite, während die rechte Knieaußenseite nach innen schiebt. Bewegen Sie sich nun nach und nach vom gestreckten Dreieck ins gedrehte, ohne die Position der Hand zu verändern und die Spannung im rechten Gesäßmuskel zu verlieren. Drehen Sie Ihr linkes Bein nach innen, damit Sie die linke Ferse weiter zurück bewegen können. Schieben Sie mit Ihrer linken Hand die linke Beckenseite nach unten und vorne in Richtung rechter Fuß, bis der linke und rechte Hüftknochen parallel zum Boden und auf einer Linie miteinander ausgerichtet sind. Eventuell müssen Sie dafür Ihren linken Fuß leicht anheben. Ihren Oberkörper können Sie zusammen mit Ihrem Becken drehen. Spüren Sie in mit der rechten Hand, wie der rechte große Gesäßmuskel seine exzentrische Kontraktion beibehält: Er ist noch immer fest angespannt, während er sich gleichzeitig verlängert.

Sie werden bemerken, wie – im Unterschied zu Utthita Trikonasana – in Parivrtta Trikonasa die Spannung vom inneren Knie genommen und mehr Spannung auf das äußere Knie gebracht wird. Erhöhen Sie diesen Druck, indem Sie die linke Hüfte ein wenig unter die rechte Hüfte sinken lassen. Die Dehnung des Gluteus Maximus wird dadurch noch einmal erhöht. Legen Sie Ihre linke Hand auf einem Stuhl, einem Block oder dem Boden neben Ihrem rechten Fuß ab. Ihre rechte Hand bleibt, wo sie ist. Drehen Sie Ihren Oberkörper in dieser Asana so weit wie möglich nach rechts.

Vereinte Kraft
Spüren Sie weiterhin, wie sich die rechte Seite des großen Gesäßmuskels unter Ihrer rechten Hand zusammenzieht, wenn Sie sich vom gedrehten wieder ins gestreckte Dreieck zurückbewegen. Nutzen Sie die Spannung Ihres Gesäßmuskels, um Ihr rechtes Knie nach außen zu drehen, während Sie die linke Seite Ihres Beckens so weit wie möglich ist nach oben und hinten heben. Ihr Oberkörper folgt der Beckenbewegung, um dadurch in die klassische gestreckte Dreieckshaltung zu kommen. Während dieses Übergangs werden Sie spüren, wie sich die rechte Außenseite Ihres Knies verkürzt, während sich die Innenseite verlängert. Lösen Sie die Asana auf, in dem Sie Ihren Oberkörper aufrichten. Dann drehen Sie Ihre Füße und wechseln die Seite.

Obwohl es wichtig ist, Utthita Trikonasana mit Parivrtta Trikonasana zu ergänzen, müssen Sie die beiden Asanas nicht streng nacheinander praktizieren – auch nicht am selben Tag oder zu einer bestimmten Zeit. Sollten Sie jedoch die eine Variante regelmäßig in Ihre Übungspraxis einbauen, tun Sie gut daran, auch die andere in regelmäßigen Abständen zu üben. Mit der Zeit werden Sie ein Gespür dafür entwickeln, wie es sich anfühlt, die Innen- und Außenseite Ihrer Knie in gleichem Maß stabil und flexibel zu halten. Sie werden erkennen: Yoga hat ein Herz für Knie.

Dr. Roger Cole ist zertifizierter Iyengar-Yogalehrer in Del Mar, Kalifornien.

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