Basics: Von den Wurzeln in die Weite

In dieser kompakten, kraftvollen Drehhaltung geht es um mehr als eine bewegliche Wirbelsäule und einen stabilen Oberkörper: Erst die Erdung nach unten und die Entfaltung nach oben ermöglichen ein tieferes Verständnis für die Drehung um die eigene Achse.

Von Nikki Costello

Marichyasana III //  Marichi = Name eines altindischen Weisen; Asana = Haltung

Drehhaltungen spielen eine wichtige Rolle in der Yogapraxis: Sie halten die Wirbelsäule beweglich, sie lockern und dehnen die Rückenmuskulatur insbesondere nach Vorwärts- und Rückbeugen und sie massieren die inneren Organe und unterstützen so eine gesunde Verdauung.

DetoxUm diese Vorzüge überhaupt nutzen zu können, braucht man die richtige Technik. Wie bei allen Drehhaltungen wendet man auch in Marichyasana III nicht einfach bloß den Oberkörper zur Seite. Statt dessen streckt man die Wirbelsäule in die Länge, während man sie um ihre eigene Achse windet. Dazu verwurzeln Sie die untere Körperhälfte im Boden und lassen die obere Hälfte in die entgegengesetzte Richtung wachsen. Erst dann – und nur dann – leiten Sie die Drehung ein. Das hat den Effekt, dass die Bauchmuskeln aktiviert und die Organe in der Körpermitte zusammengedrückt werden. Löst man diese intensive Kompression dann wieder auf, spürt man deutlich die Ausdehnung und vielleicht sogar einen regelrechten Energieschub.

Marichyasana III ist anspruchsvoller als andere Drehsitze, denn man dreht gegen das Hindernis des aufgestellten Beines. Dafür müssen Schultergürtel, Hüftgelenke und Beinrückseiten relativ geschmeidig sein. Recht schnell wird einem da klar, an welchen Stellen der Körper Widerstand leistet – und man kann genau dort sanft an der Dehnung und Mobilisierung arbeiten. Dazu dienen insbesondere die beiden Vorübungen. Bevor Sie mit dem Üben beginnen, sollten Sie sich klar machen, um was es bei einer Drehung geht. Stellen Sie sich vor, Sie wollten einen fest sitzenden Schraubverschluss an einem Marmeladenglas öffnen. Dazu müssen Sie das untere Ende des Glases mit einer Hand festhalten und einen gewissen Widerstand erzeugen, gegen den Sie mit der anderen Hand den Deckel drehen können. Ohne diese stabilisierende Bewegung der einen Hand würden Sie das Glas mit der anderen nur im Kreis drehen.

Angewandt auf Marichyasana III hieße das: Becken und Beine bilden die Basis, quasi den Boden des Marmeladenglases, den Sie kraftvoll nach unten verwurzeln. Von dort ausgehend richten Sie die Wirbelsäule auf und drehen den Deckel, sprich Rumpf und Schultergürtel. Dabei halten Sie Sitzknochen und Hüften stabil in ihrer geraden Ausrichtung und strecken die gesamte Wirbelsäule nach oben. So haben Ihre Wirbel mehr Platz für die Drehung und Ihr Zwerchfell kann trotz der Kompression im Bauch eine tiefe Atmung ermöglichen.

In den beiden Vorübungen helfen Ihnen die stützende Wand und verschiedene Hilfsmittel, sich diese Prinzipien einzuprägen und die nötige Mobilität aufzubauen. In der Variation im Stehen fällt es leichter, die Länge in der Wirbelsäule wahrzunehmen: Selbst bei weniger gedehnten Beinrückseiten oder einer nicht so mobilen Lendenwirbelsäule hat der Oberkörper hier genügend Raum für die Drehung. In der sitzenden Vorübung lernen Sie, die Brust zu weiten und die Drehung schrittweise von unten nach oben aufzubauen. Dabei hilft Ihnen die an die Wand gelegte Hand.

Achten Sie in allen drei Übungen darauf, die Bewegungen mit dem Atem zu koordinieren. Einatmend unterstreichen Sie die Aufrichtung der Wirbelsäule, ausatmend lösen Sie sich in die Drehung hinein. Je tiefer und langsamer Sie atmen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie auch langsam und wirklich mit dem Körper und der ihm eigenen Intelligenz üben – anstatt mit der Willenskraft, die schnell an ein vorgestelltes Ziel gelangen will. Lassen Sie sich lieber leiten von den feinen Wahrnehmungen des Körpers und üben Sie mit geduldiger Hingabe an das, was jetzt für Sie richtig ist.

  1. Drehung im Stehen an der Wand

Beide Beine sind aktiv. Das hilft Ihnen, Länge in die Wirbelsäule zu bringen

Marichyasana1

Aufbau

  • Stellen Sie einen Stuhl seitlich vor die Wand und sich selbst mit dem Gesicht zum Stuhl davor.
  • Beugen Sie das an der Wand stehende Bein, setzen Sie den Fuß auf die Sitzfläche des Stuhls und richten Sie das Knie über dem Fußgelenk aus.
  • Legen Sie die der Wand abgewandte Hand an die Außenseite des gebeugten Knies und die andere Hand auf Schulterhöhe an die Wand.

Verfeinerung

Aktivieren Sie das Standbein: Fußballen und Ferse sind fest gegen die Matte gedrückt, Fußgewölbe und Kniescheibe werden angehoben und der Oberschenkel zieht sich vom Knie aus nach oben Richtung Becken. Drücken Sie die am Knie liegende Hand gegen das Bein und halten Sie mit dem Bein dagegen. Dieser Druck hilft Ihnen, das Becken in seiner geraden Ausrichtung nach vorn zu stabilisieren und die Drehung vom unteren Ende der Wirbelsäule her einzuleiten. Dazu stützen Sie sich aktiv mit beiden Händen ab, strecken die Wirbelsäule lang und drehen mit einer Ausatmung Bauch, Brust und Schultern langsam und fein dosiert zur Wand hin.

Abschluss

Mit jeder Einatmung betonen Sie die Länge in der Wirbelsäule, mit jeder Ausatmung verfeinern und vertiefen Sie die Drehung. Vermeiden Sie es, sich aus der Kraft der Arme zu schnell und zu intensiv in die Drehung hineinzuhebeln. Stattdessen arbeiten Sie langsam und bewusst und achten darauf, Beine und Becken stabil zu halten.

2. Marichyasana III an der Wand

Die Wand unterstützt Sie beim Weiten der Brust

Marichyasana2

Aufbau

  • Setzen Sie sich auf eine oder mehrere gefaltete Decken mit einer knappen Armlänge Abstand vor eine Wand. Der Rücken zeigt zur Wand, die Beine sind gerade nach vorn ausgestreckt, das Becken ist aufgerichtet. Wenn Sie zur leichteren Aufrichtung des Beckens so hoch sitzen, dass die Knie in der Luft hängen, stützen Sie die linke Kniekehle etwas ab (zum Beispiel mit einem Paar aufgerollter Socken).
  • Beugen Sie das rechte Bein und stellen Sie den Fuß nahe der Sitzfläche, aber jenseits des Rands der gefalteten Decke auf.
  • Umfassen Sie das rechte Knie mit der linken Hand und richten Sie die Wirbelsäule auf. Mit einer Ausatmung legen Sie die rechte Hand auf Schulterhöhe an die Wand hinter sich. Dabei ist der Arm leicht gebeugt und Sie beginnen mit einer Position etwas vor dem Körper, die noch keine vollständige Drehung erzwingt.

Verfeinerung

Schieben Sie rechtes Knie und linke Hand gegeneinander und heben Sie die Brust. Gleichzeitig verwurzeln Sie beide Sitzknochen und das linke Bein aktiv am Boden und achten darauf, die gerade Ausrichtung des Beckens beizubehalten. Der rechte Fuß ist gebeugt, die Kniescheibe zeigt gerade nach oben. Nun beginnen Sie langsam, die linke Flanke nach vorn zum angestellten Bein hin zu bewegen. Auch hier nutzen Sie die an der Wand liegende rechte Hand als Stütze, aber nicht als Hebel. Auf beiden Sitzknochen lastet gleich viel Gewicht.

Abschluss

Mit jeder Einatmung richten Sie die Wirbelsäule auf. Mit jeder Ausatmung beobachten und vertiefen Sie die Drehung von der Basis der Wirbelsäule aus nach oben hin. Dabei bleiben Becken und Beine gut nach unten verwurzelt und ausgerichtet. Die Brust weitet sich, die Schlüsselbeine breiten sich zu den Seiten aus und die Rückenmuskeln arbeiten aktiv, während Sie die Drehung mehr und mehr verfeinern. Nacken und Gesicht bleiben mittig über der Brust. Nach 1 bis 3 Minuten lösen Sie die Drehung ebenso langsam und behutsam wieder auf und nehmen einen tiefen Atemzug im Sitzen mit gestreckten Beinen, bevor Sie die Drehung nach links üben.

Elemente der Praxis
3. Marichyasana III

Bauch und angestelltes Bein werden nach und nach dichter zueinander bewegt

Marichyasana3

Aufbau 

  • Setzen Sie sich in Dandasana (Stabhaltung) mit ausgestreckten Beinen und aufgerichtetem Becken. Wenn das Becken dazu neigt, nach hinten zu kippen, setzen Sie sich erhöht auf eine Decke (siehe Schritt 2).
  • Beugen Sie das rechte Bein, stellen Sie den rechten Fuß dicht an den rechten Sitzknochen und verwurzeln Sie Becken und Beine fest am Boden.
  • Richten Sie den Oberkörper auf und legen Sie den linken Ellenbogen behutsam an die Außenseite des rechten Knies. Wenn diese Armhaltung wie ein Hebel wirkt, der Sie in eine zu intensive Drehung zieht, legen Sie den Arm stattdessen um das Knie herum. In beiden Fällen schieben Sie linken Arm und rechtes Bein stabilisierend gegeneinander.
  • Setzen Sie die rechte Hand hinter dem Becken auf dem Boden oder auf einem Block auf.

Verfeinerung

Bei entsprechender Beweglichkeit arbeiten Sie nun daran, die Innenseite des rechten Oberschenkels und den Bauch nach und nach dichter zu-einander hin zu bewegen. Dabei wandert der linke Arm am Knie entlang nach vorn, bis die Außenseite des Knies an der Achsel liegt. Gleichzeitig bewegen Sie die linke Hälfte des Rückens nach innen und drehen den Bauch von links nach rechts. Einatmend schieben Sie die stützende hintere Hand deutlich gegen die Matte und heben den Rumpf. Die Sitzfläche bleibt tief geerdet, das Becken gerade ausgerichtet. Die Schultern sind nach hinten und unten gerollt, der Nacken ist möglichst weich. Bei Spannungen drehen Sie den Kopf behutsam nach rechts und links, um eine möglichst gelöste Haltung zu finden.

Abschluss

Wenn die Drehung sehr kompakt geworden ist, können Sie die Aus-atmung durch ein aktives Zusammenziehen der Bauchmuskeln akzentuieren. Mit jeder Einatmung ziehen Sie die Oberkörpervorderseite vom Schambein bis zum Brustbein in die Länge, ausatmend schmiegen Sie sich behutsam tiefer in die Drehung hinein. Dabei dreht zuerst der Bauch und erst dann allmählich die Brust und der Schultergürtel. Erst ganz zum Schluss wenden Sie vielleicht auch den Kopf behutsam nach rechts. Bleiben Sie fünf bis acht tiefe, gleichmäßige Atemzüge lang in der Haltung. Dann lösen Sie sie langsam und achtsam wieder auf und wechseln die Seiten.


Nikki Costello ist zertifizierte Iyengar-Yogalehrerin und lebt in New York City.

Fotos: David Martinez // Yoga Journal 41 Ausgabe 05/2015

 

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